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Gesundheit: „Viele Anbieter versprechen das Blaue vom Himmel“ Der Arzt Edzard Ernst zu Nutzen und Risiken der Alternativmedizin

EDZARD ERNST hat einen Lehrstuhl für Komplementärmedizin an der britischen Universität Exeter. Foto: University of Exeter Warum haben alternative Heilmethoden so viel Zulauf?

EDZARD ERNST

hat einen Lehrstuhl für Komplementärmedizin

an der britischen

Universität Exeter.

Foto: University of Exeter

Warum haben alternative Heilmethoden so viel Zulauf?

Dieser Zulauf ist durchaus nicht neu. So gab es Anfang des letzten Jahrhunderts in Deutschland bereits mehr nicht-ärztliche Naturheiler als Ärzte. Die jetzige Welle an Popularität hat auch andere Länder ergriffen, etwa die USA. Über die Motivation, Komplementärmedizin anzuwenden, wurde schon viel geforscht. Der Erkenntnisstand lässt sich etwa wie folgt zusammenfassen: Zum einen sind viele Menschen unzufrieden mit der konventionellen Medizin und der Wissenschaft überdrüssig. Manche sind verzweifelt, etwa, weil sie unheilbar erkrankt sind. Hinzu kommt als „positives“ Motiv ein Hang zum Natürlichen und Übersinnlichen, die Hoffnung auf Heilung ohne Nebenwirkungen und das Ansinnen, mehr Kontrolle über die eigene Gesundheit zu gewinnen. Aber man sollte auf dem Teppich bleiben und bedenken, dass viele Anbieter das Blaue vom Himmel versprechen und manche Konsumenten mehr Leichtgläubigkeit und Geld haben als Verstand.

Von welchen Verfahren würden Sie eher abraten?

Die minimale Anforderung an ein Heilverfahren ist, dass es keinen Schaden anrichtet. Daher wäre ich bei Methoden wie Chirotherapie, Colontherapie, Chelattherapie und einigen anderen mehr äußerst zurückhaltend.

Greifen Sie selbst auch auf Alternativmedizin zurück?

Gott sei Dank bin ich gesund und brauche keine Medizin.

Wie sieht es mit dem Problem der Nebenwirkungen aus? Sind die Kontrollen ausreichend?

Nebenwirkungen werden relativ selten berichtet. Dabei ist meist unklar, ob dies deswegen so ist, weil keine auftreten, oder weil keine berichtet werden. In einigen Fällen, so vermute ich, trifft letzteres zu. Wir haben zum Beispiel Hinweise darauf, dass Zwischenfälle nach einer Chirotherapie so gut wie gar nicht ans Tageslicht kommen.

Bei welchen Krankheiten empfehlen sich alternative Verfahren, bei welchen nicht?

Zu empfehlen sind solche Verfahren immer dann, wenn sichergestellt ist, dass mehr Nutzen als Schaden resultiert. Dafür gibt es Beispiele, etwa die Akupunktur bei Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer Krebstherapie. Oder autogenes Training zur Stress-Bewältigung, Teufelskralle bei rheumatischen Schmerzen, Ingwer bei Reisekrankheit, Ginkgo bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit, der „Schaufensterkrankheit“. Weitere Beispiele sind Glucosamin und Chondroitin bei Arthrosen, Weißdorn bei Herzinsuffizienz, Rosskastanienextrakt bei Krampfadern, Sägepalme bei gutartiger Prostata-Vergrößerung, Johanniskraut bei milder Depression, Massage bei Rückenschmerzen und Yoga gegen Herz-Kreislauf-Risikofaktoren. Also eine ganze Menge!

Wo kann man sich beraten lassen?

Bei einem gut ausgebildeten Arzt für Naturheilkunde.

Wie schätzen Sie die Homöopathie ein, die ja eine lange Tradition in Deutschland hat?

Zur Homöopathie sind die Daten uneinheitlich. Die meisten der besten Studien zeigen keinen Effekt, der über den eines Placebo, also eines Scheinmedikaments, hinausgeht.

Was halten Sie von der Pflanzenheilkunde?

Da gibt es viele positive Studien und etliche gut belegte Anwendungsgebiete.

Und von der Akupunktur?

Auch da gibt es gut belegte Anwendungsgebiete. Der Nutzen der chinesische Kräutermedizin ist dagegen viel weniger belegt.

Anthroposophische Medizin?

Da gibt es keine ausreichenden Wirksamkeitsnachweise.

Wie sieht es mit alternativer Ernährung aus, zum Beispiel Fasten oder Trennkost?

Fasten und vegetarische Diät sind gut belegt, die meisten anderen „alternativen“ Ernährungsformen dagegen nicht.

Das Gespräch führte Hartmut Wewetzer.

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