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Gesundheit: Völker, riecht die Signale!

Ernteameisen markieren den Weg zum Futterplatz mit Düften – oft kommt es zum tödlichen Kampf um die Nahrung

Die Ameisenspäherin hat Glück. Einen solchen Fund macht sie hier im Südwesten der USA nicht alle Tage. Gerade mal fünf Meter weit ist sie durchs Gelände gewandert, da stößt sie plötzlich auf ein Häufchen zusammengewehter Pflanzensamen.

Eile tut Not, denn in der Halbwüste, in der die Ernteameise lebt, ist Futter nicht üppig. Die Konkurrenz um den Fund ist groß, die Aggressivität der Ameisen hoch. Wie Bert Hölldobler, Ameisenforscher von der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg, festgestellt hat, kann es zu heftigen Konfrontationen mit vielen Toten kommen, sobald sich zwei Ameisenvölker begegnen.

Die Kundschafterin hastet daher zurück zu ihrem Nest, einem Ameisenhügel, der einige Meter entfernt liegt und in dem ihr Volk zu Hause ist. Während des Sprints verspritzt sie ab und zu winzige, intensiv duftende Tröpfchen aus ihrer Giftdrüse. Zu Hause angekommen, macht sie ihre Nestgenossen sofort auf den Geruch aufmerksam. Diese werden unruhig und folgen den Duftmarken. Schnell finden sie den Weg, den die Späherin nahm. Eine ganze Karawane von Sammlerameisen bricht auf, die begehrten Samen zu bergen. Es dauert nicht lang, bis der Tross die Fundstelle findet.

Doch mittlerweile haben auch Späherinnen des Nachbarvolkes den Platz entdeckt und ihrerseits Sammlerinnen rekrutiert, die bereits dabei sind, die Samen wegzuschleppen.Es kommt zum Kampf. Tiere beider Gruppen stürzen übereinander her und beißen aufeinander ein. Mandibeln bohren sich in Chitinpanzer, Beine werden durchtrennt, Körperteile abgerissen. An den Körpern mancher Kämpfer baumeln Überreste geschlagener Gegner. Bald ist das Schlachtfeld von Hunderten Ameisenleichen übersäht.

Hölldobler und seine Kollegen haben mehrere derartige Gemetzel unter den Ernteameisen beobachtet. Diese gehören in den USA zu den häufigsten Ameisenarten. Es gibt unterschiedliche Ernteameisen-Spezies, ihre lateinischen Namen lauten Pogonomyrmex barbatus oder P. rugosus. Doch eines ist ihnen allen gemeinsam: Sie beuten Futterquellen wie Sträucher aus, von denen Früchte fallen, oder Bodenvertiefungen, in denen Pflanzensamen zusammengeweht werden.

Der Tod der Arbeiterinnen

An den Kampfhandlungen sind nur Arbeiterinnen beteiligt, die sich nicht fortpflanzen können. Trotzdem bedeutet ihr Tod eine Arbeitseinbuße. Gäbe es um jede Futterquelle eine Massenschlacht, dann wären die Kosten des Nahrungserwerbs höher als der erzielte Gewinn. Um dauerhaft existieren zu können, müssen benachbarte Ameisenvölker also die geschilderten Konfrontationen möglichst vermeiden. Die Forscher fanden heraus, dass den Tieren das mit einer scheinbar simplen Strategie gelingt: Sie laufen sich gegenseitig (fast) nicht über den Weg. Nachbarkolonien sind typischerweise 20 bis 30 Meter voneinander entfernt. Zwischen ihnen befinden sich die Futterquellen – lose und zufällig verteilt. Es zeigte sich nun, dass die Futterplätze fest zugewiesen sind: Jedes Volk hat seine eigenen „Felder“, die es regelmäßig „aberntet“. Sobald ein Platz belegt ist, ist dieser für andere Völker quasi tabu.

Futterquelle und Nest sind mit fest angelegten Straßen verbunden, die nur von Angehörigen eines Volkes benutzt werden, Ameisen anderer Völker lassen sich auf diesen Dauerstraßen nicht blicken. Die Wege sind manchmal über 40 Meter lang, bleiben über Wochen und Monate bestehen und überdauern sowohl heftige Regenfälle als auch lange Trockenperioden.

Verblüffenderweise halten sich die Tiere peinlich genau an das vorgegebene Straßennetz: Sie verlassen die ihnen „zugewiesenen“ Routen nur für kurze Suchexkursionen und kehren auf diesen Straßen wieder zum Nest zurück. „Wir haben niemals gesehen, dass sich Dauerstraßen von Nachbarkolonien kreuzen“, sagt Hölldobler.

Aber woher weiß eine Ameise, dass sie diese Straße benutzen darf, jene aber nicht? Das Geheimnis liegt im Geruch – oder vielmehr in einer Vielzahl von Düften. Findet eine Späherin eine neue Futterquelle, dann legt sie von dort eine Duftspur zum Nest. Sie verspritzt aus ihrer Giftdrüse winzige Flüssigkeitströpfchen, die ein „ Rekrutierungspheromon“ enthalten. Das ist eine Substanz, die für Ameisen stark riecht, an der sie sich folglich gut orientieren können. Allerdings ist das Rekrutierungspheromon flüchtig. Es verdunstet schnell und die Spur geht verloren.

Das Parfum

Zudem ist das Pheromon nicht spezifisch. Es aktiviert Ameisen verschiedener Arten und Völker. Das Rekrutierungspheromon kann also nicht die Erklärung für jene langlebigen und individuellen Auslaufstraßen sein, die für Ernteameisen typisch sind. Hier kommt ein zweiter Duft ins Spiel.

Wenn sich eine Futterquelle als stabil und reichhaltig erweist, dann lohnt die Anlage fester Wege. Die Ameisen verspritzen dazu aus einer zweiten Stacheldrüse, der „Dufour-Drüse“, eine Art Paraffinöl. Dieses besteht aus vielen verschiedenen Kohlenwasserstoffen und hat bei jedem Ameisenvolk einen eigenen, unverwechselbaren Duft.

Die Einzigartigkeit des Aromas bestimmt sich aus der Mischung der Kohlenwasserstoffe – so wie man mit gleichen Zutaten verschieden riechende Parfüms herstellen kann, indem man das Mischungsverhältnis ändert. Überdies ist das Paraffinöl auch beständig und bleibt lange Zeit auf der Erde haften. Die Ameisen brauchen also keine Autobahnschilder. Sie folgen nur der Duftspur, die am vertrautesten riecht.

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