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Gesundheit: Von Karies bis Aids – arme Kinder haben ein großes Gesundheitsrisiko Vom 8. Kongress „Armut und Gesundheit" in Berlin

„Weil du arm bist, musst du früher sterben“ – das weiß man im Grunde seit Virchow. Es gilt auch für Länder wie Deutschland, in denen Wohlstand herrscht.

„Weil du arm bist, musst du früher sterben“ – das weiß man im Grunde seit Virchow. Es gilt auch für Länder wie Deutschland, in denen Wohlstand herrscht. Die Lebenserwartung sinkt kontinuierlich von der obersten zu untersten Einkommens- und Bildungsschicht. Ganz unten sterben Männer durchschnittlich neun Jahre früher als ganz oben, denn fast alle Krankheiten sind um so häufiger, je niedriger der soziale Status. Dieses Gefälle nimmt überall in Europa noch zu.

All dies erfuhr man jetzt beim Kongress „Armut und Gesundheit“ auf dem Campus des Virchow-Klinikums, veranstaltet von der Landesarbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung „Gesundheit Berlin e.V.“. Dies ist mittlerweile die größte Public–Health-Tagung Deutschlands. Einer der Schwerpunkte lag bei der Gesundheitsgefährdung sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher. Denn von Altersarmut, die noch vor kurzem als sehr verbreitet galt, spricht heute niemand mehr. Stattdessen rückt die Armut von Kindern in den Mittelpunkt, samt ihren gesundheitlichen Folgen.

In Berlin zum Beispiel sind nur 2,7 Prozent der über 65-Jährigen, aber 26,8 Prozent der unter Dreijährigen auf Sozialhilfe angewiesen; keine Randgruppe also. Wie es sich auf die Gesundheit auswirkt, wenn Kinder in schwierigen Verhältnissen aufwachsen, schilderte Elisabeth Pott, Direktorin der „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“ in Köln. Schon im Mutterleib müssen sie häufig mitrauchen und mittrinken, werden zu früh und untergewichtig geboren, und die Säuglingssterblichkeit ist in den untersten Schichten am größten.

Die Kinder werden oft nicht geimpft und nicht zu den Vorsorgeuntersuchungen gebracht. Fehlende Zuwendung kann bei kleinen Kindern, die von überforderten, oft allein erziehenden Müttern ständig vor dem Fernseher oder dem Computer „geparkt“ werden, zu Entwicklungsstörungen und psychischer Krankheit führen. Wie ein guter sozialer Rückhalt nicht nur die Gesundheit von Kindern fördert, machte Horst Noack deutlich, Sozialmediziner an der Universität Graz. Dabei berief er sich auf eine Fülle wissenschaftlicher Befunde.

Armut schneidet von sozialen Ressourcen ab und ist oft mit Unwissen gepaart. Das erhöht das Risiko von Krankheiten – von der Karies bis zu Aids, so Noacks Befunde. Fehlernährung führt zu Übergewicht und legt den Grund für spätere chronische Krankheiten. Jugendliche, die ihr „Berufsleben“ womöglich gleich mit Arbeits- und damit Perspektivlosigkeit beginnen, greifen vermehrt zu Alkohol, Zigaretten und illegalen Drogen.

So klar die „Diagnose“ der sozial bedingten Gesundheitsgefährdung ist, so unklar ist die „Therapie“. Wissenschaftlich gesichert ist nur, dass man bei den Umständen ansetzen muss, weil sie das Verhalten bestimmen. Die gängige Gesundheitsförderung durch Informationsbroschüren, Kurse oder Selbsthilfegruppen zeigt allenfalls bei der Mittelschicht Wirkung. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung versucht, mit Comics und Piktogrammen, Musik und Theater Leseungeübte zu erreichen. Dabei muss sie sich auf ausländische Interventionsstudien stützen, denn es gibt keine einzige deutsche Untersuchung über die Wirkung von Maßnahmen für einen besseren Gesundheitszustand von Unterschichtkindern – ein weiteres Defizit der Versorgungsforschung, obwohl auf diesem Gebiet der größte „Gesundheitsgewinn“ zu erreichen wäre.

„Was wir im Augenblick erleben, ist eine verbale Konjunktur der Prävention“, kritisierte Rolf Rosenbrock, Gesundheitsforscher im Wissenschaftszentrum Berlin, „alle Sonntagsredner sind sich einig.“ Aber es geschieht zu wenig. „Wir wissen zwar noch nicht genug, aber wir wären sehr viel weiter, wenn wir umsetzten, was wir wissen.“

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