zum Hauptinhalt

Gesundheit: Vor dem Oberaffen stellen sich die Rangniederen dumm

Die Verhaltensforschung stellt bereits seit einigen Jahrzehnten mit immer ausgefeilteren Laborexperimenten die intellektuellen Fähigkeiten von Affen unter Beweis. Doch jetzt gibt es plötzlich Bedenken, ob die schlauen Primaten (Herrentiere) dabei wirklich immer bis an die Grenzen ihres geistigen Leistungsvermögens gehen.

Die Verhaltensforschung stellt bereits seit einigen Jahrzehnten mit immer ausgefeilteren Laborexperimenten die intellektuellen Fähigkeiten von Affen unter Beweis. Doch jetzt gibt es plötzlich Bedenken, ob die schlauen Primaten (Herrentiere) dabei wirklich immer bis an die Grenzen ihres geistigen Leistungsvermögens gehen. Sozial untergeordnete Rhesusaffen stellen nämlich nach neuen Forschungsergebnissen ihr Licht vorsätzlich unter den Scheffel, wenn bei der Leistungsmessung hochrangige Artgenossen anwesend sind.

Die kognitiven Leistungsmessungen wurden in der Vergangenheit in den meisten Fällen an isolierten Versuchstieren vorgenommen. Dahinter stand die Überzeugung, dass ein Tier unter allen Bedingungen seine geistigen Kompetenzen ausreizt, bei denen es sich um feststehende Eigenschaften zu handeln schien. Doch es gab schon seit längerer Zeit Verdachtsmomente dafür, dass die in sozialen Hierarchien lebenden Primaten unter bestimmten Bedingungen ihre Fähigkeiten verbergen und "sich dumm stellen".

Das gilt sogar für das Herrentier Homo sapiens. So hielten Kegelspieler aus der Unterschicht im Wettbewerb mit sozial Höherstehenden ihren beachtlichen sportlichen Leistungsstand hinterm Berg, schildern die beiden Psychologen Christine M. Drea und Kim Wallen vom Yerkes Primatenforschungszentrum in Atlanta ein Beispiel aus unserer Spezies in der Wissenschaftszeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" (Band 96, Seite 12965).

Um den Einfluss sozialer Hierarchien auf die geistigen Leistungen zu erhellen, haben die Forscher Experimente mit Rhesusaffen angestellt. Diese meerkatzenartigen Primaten besitzen nicht nur ein herausragendes Lernvermögen, das bereits in vielen Laborstudien getestet wurde. Sie führen auch einen erbitterten Dominanzwettbewerb.

Im ersten Teil der Studie bekamen die Tiere die Aufgabe, mit den Händen zu ertasten, welcher von mehreren, mit Farben markierten Behältern die begehrten Erdnüsse oder ähnlich große Kieselsteine enthielt. Die Aufgabe war in dem Augenblick gelöst, in dem die Affen die Zuordnung von Delikatesse und Farbe begriffen.

Im zweiten Teil der Studie konnten sich die Primaten erneut an den markierten Behältern bedienen. In einer Variante wurden die ranghohen und die rangniedrigen Affen bei der Aufgabe zusammengepfercht. In der anderen Variante wurde die Oberschicht von der Unterschicht getrennt.

Ranghöhere sind nicht klüger

Die Forscher ziehen aus der Studie folgendes Fazit: Solange nur Gleichrangige anwesend waren, lösten die untergeordneten Tiere die Aufgabe genauso gut wie die "Oberaffen". Sie griffen zielstrebig nach dem markierten Leckerbissen. Doch in Gegenwart der "Macker" kaschierten sie ihren Lernerfolg und stellten sich dumm. Hochstehende Rhesusaffen kamen mit der Aufgabe unter allen sozialen Bedingungen gleich gut zurecht.

Damit ist zunächst der Verdacht ausgeräumt, dass rangniedrige Tiere per se "dümmer" sind als ranghohe und schlechter lernen. Es stimmt auch nicht, dass Unterlegene in Anwesenheit von Ranghohen "ein Brett vor dem Kopf" haben und mangels Konzentration schlechter Zusammenhänge erlernen. Denn die Beziehung zwischen Farbe und Nüssen prägten sich die niederen Tiere auch im Beisein hoher Affen ein. Tatsache ist vielmehr, dass rangniedrige Primaten im Beisein ranghoher Artgenossen ihren bereits erreichten Leistungsstand vorsätzlich herunterspielten.

Sie wurden auch keineswegs durch Repressalien seitens der Alphatiere zu diesem Understatement genötigt: Während der Testphase waren fast keine aggressiven Interaktionen zwischen den Versuchstieren zu verzeichnen, betonen die Forscher. Das schließt natürlich nicht aus, dass die Oberaffen den Untergebenen mit subtilen Signalen zu erkennen gaben, wo der Hammer hängt. Sehr wahrscheinlich stellten die rangniedrigen Tiere ihr Licht wohlweislich unter den Scheffel, um bei den Oberen keine Provokation auszulösen.

Rhesusaffen erkennen einander persönlich, können die soziale Position des anderen einschätzen und sehen die Reaktionen auf ihr eigenes Verhalten voraus. Vermutlich gingen sie den Konflikten aus dem Weg, die das rasche Hervorkramen der Nüsse ihnen hätte einbringen können, auch wenn sie dadurch auf eine Delikatesse verzichten mussten.

Es ist noch gar nicht abzusehen, welche Implikationen diese Befunde für unserer eigene Spezies haben, die ebenfalls soziale Hierarchien pflegt, spekulieren die Wissenschaftler. Seit längerem wird der Verdacht geäußert, dass Menschen aus der unteren Sozialschicht sowie Mitglieder eines unterdrückten Geschlechtes oder einer unterdrückten Rasse hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben, solange sie in der Anwesenheit von Mitgliedern der dominanten Klasse getestet werden.

Rolf Degen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false