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Gesundheit: Wachsendes Wohlbefinden

Bei der Depression sind Teile des Gehirns geschrumpft – Medikamente lassen die Nervenzellen wieder sprießen

Bisweilen therapieren Ärzte Patienten erfolgreich, obwohl sie die Wirkungsweise ihrer Behandlung nicht völlig verstehen. So hieß es in der Neuropsychologie lange Zeit, depressive Menschen litten an einem gestörten Chemiebaukasten im Gehirn – und nur stimmungsaufhellende Medikamente wie Fluoxetin (in den USA unter dem Namen „Prozac“ bekannt), brächten die Schieflage der Botenstoffe und damit das Gemüt ins rechte Lot zurück.

Doch jetzt kündigt sich ein radikales Umdenken an. Jüngste Studien legen nahe, dass Antidepressiva im Gehirn nicht nur die Konzentration von Botenstoffen wie Serotonin oder Noradrenalin erhöhen. Diese Neurotransmitter sind an der Regelung von Stimmung und innerem Antrieb beteiligt. Ebenso regen sie das Wachstum neuer Nervenzellen im Hippocampus („Seepferdchen“) an, einem tief im Schläfenlappen liegenden Teil des Gehirns.

Hinweise, dass „Neurogenese“, wie das Nachwachsen der Nervenzellen im Fachjargon heißt, hilft, Depression zu bekämpfen, gibt es schon einige Zeit. So wissen Forscher längst, dass Stress, der nicht selten depressive Schübe auslöst, die Nervenzellproduktion unterdrückt.

Bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanz-Tomographie haben gezeigt, dass der Hippocampus bei chronisch depressiven Patienten normalerweise kleiner ist als bei gesunden Menschen. Zudem schlagen „Glückspillen“ wie Prozac meist erst nach sechs Wochen an, was sich bisher nicht so recht erklären ließ. Schließlich wurde vor einigen Jahren festgestellt, dass Antidepressiva bei Ratten das Wachstum neuer Nervenzellen im Hippocampus anregen.

Doch all diese Befunde fügten sich zu keinem eindeutigen Szenario, nach dem neue Neuronen tatsächlich Depressionen eindämmen. So meinte beispielsweise die Hirnforscherin Elizabeth Gould von der Universität Princeton in New Jersey: „Antidepressiva bewirken vermutlich etliches, was rein gar nichts mit der therapeutischen Wirkung zu tun haben muss.“

Zweifel säte auch die Tatsache, dass der Hippocampus bisher kaum mit dem Gefühlsleben verbunden wurde. Dieser Teil des Gehirns gilt eher als Schaltstelle für Gedächtnisbildung und Lernvorgänge.

René Hen indessen, Neuroforscher an der New Yorker Columbia-Universität, und sein Team ersannen kürzlich mit Hilfe von Mäusen, die sich als Modell für das menschliche Gehirn eignen, eine raffinierte Versuchsanordnung. Hen legte den Nagern in der Mitte ihres Käfigs Futter unter einen grellen Strahler, obwohl die Tiere das helle Licht scheuen.

Die Zeitspanne, bis die Mäuse unter die Lampe huschten und ihr Häppchen zu sich nahmen, diente als Maßstab für die Angst. Je länger es dauerte, desto größer stufte man sie ein. Dann begann das Hen-Team, die Mäuse mit Fluoxetin zu behandeln. Nach vier Wochen holten sich die Mäuse ihr Fressen schon um ein Drittel flinker als eine unbehandelte Gruppe. Gleichzeitig stieg das Wachstum neuer Neuronen im Bereich ihres Hippocampus um 60 Prozent.

Im zweiten Teil des Experiments tötete Hen die neuen Nervenzellen durch mehrfache Bestrahlung ab, gab den Nagern aber weiter Stimmungsaufheller. Selbst nach monatelanger Behandlung blieben nun die Versuchstiere ängstlich und gestresst. Sie fürchteten sich nicht nur, ihr Futter zu holen; sie führten auch ihre täglichen Putzrituale nicht mehr durch. Das bewies erstmals, dass der chemische Haushalt allein keineswegs jene ausschließliche Rolle spielte, die ihm Neuropsychologen zugeschrieben hatten. Ohne das Wachsen neuer Nervenzellen verpufft die medikamentöse Hilfe.

Das Ergebnis hebt die wichtige Rolle hervor, die der Hippocampus für den Gefühlshaushalt spielt. Es werde allerdings noch etliche Zeit dauern, glaubt Hen, ehe man mit medizinischen Wirkstoffen gezielt Neuronen wachsen lassen könne.

Diese Erkenntnis mindere aber nicht die Bedeutung erhöhter Konzentration von Neurotransmittern, wie sie von den medikamentösen Stimmungsaufhellern hervorgerufen werde. In weiteren Experimenten wies Hen nach, dass Fluoxetin das Wachstum von Nervenzellen nicht anregen kann, wenn sich nicht gleichzeitig die Konzentration des Botenstoffs Serotonin erhöht. Diese Substanz stimuliert die sprießenden Nervenzellen, zu wirken – eine Aufgabe, die auch der Botenstoff Noradrenalin erfüllen kann.

„Wie diese Botenstoffe das Zellwachstum im Detail bewirken, können wir noch nicht sagen", sagt Hen. Dennoch ergibt sich allmählich ein neues Bild der Depression. Die Befunde erklären auch, warum die Wirkstoffe erst nach Wochen wirken: Einmal von Transmittern auf Trab gebracht, müssen sich die Stammzellen des Gehirns erst teilen. Dann gilt es, zu Neuronen heranzuwachsen, in das neue Hirnareal einzuwandern und dort Verbindungen mit anderen Neuronen zu bilden. Das dauert eine gewisse Zeit.

Außerdem erklärt Hens Entdeckung womöglich auch, wie Schäden am Hippocampus zur Depression beitragen können. So spekuliert der Psychiater Gerd Kempermann vom Berliner Max Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin: „Es ist gut möglich, dass wir im Hippocampus Lernvorgänge emotional bewerten. Ist die Schaltstelle geschädigt, können womöglich zahllose Informationen emotional nicht mehr verarbeitet werden , und das mag zur Depression beitragen.“

Zugleich schränkt Kempermann ein, dass eine Depression gewiss keine Krankheit des Hippocampus ist. Andere Gehirnregionen müssen sich täglich neuen Herausforderungen anpassen – und diese Funktionen können gestört sein. „Die gestörte Neurogenese im Hippocampus ist sicher nur die Spitze des Eisbergs.“

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