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Gesundheit: Wahnsinnig begabt

Genies sind verrückt, heißt es. Tatsächlich kann eine leichte Psychose der Kreativität auf die Sprünge helfen

„Krankheit, Wahnsinn und Tod hielten wie schwarze Engel Wacht an meiner Wiege. Sie haben mich durch mein ganzes Leben begleitet“, seufzte der norwegische Maler Edvard Munch – und gab uns mit dem „Schrei“ ein Bild von den Qualen seiner Seele.

Robert Schumann träumte schon mit 19, er wäre „im Rhein ertrunken“. Jahrzehnte später, depressiv, unter musischen Halluzinationen leidend, die ihm den Schlaf raubten, stürzte sich der Komponist in Düsseldorf von der Alten Rheinbrücke. Er überlebte den Selbstmordversuch und verbrachte die restlichen Jahre in einer Nervenanstalt.

John Nash, ein Wunderkind der Mathematik, erkrankte im Alter von 30 an paranoider Schizophrenie. Das Zahlengenie war fest davon überzeugt, Außerirdische würden mit ihm über die „New York Times“ kommunizieren. In den 90er Jahren „erwachte“ Nash aus seiner Psychose und erhielt den Nobelpreis.

Maler, Musiker, Mathematiker – ist es nur ein allzu strapaziertes Klischee, dass Künstler und Top-Wissenschaftler oft nicht ganz richtig ticken? Schon Seneca vermutete: Es gibt kein Genie ohne eine Beimischung von Wahnsinn. Auch Platon glaubte, Grundlage der Kreativität sei eine Art „göttliche Verrücktheit“.

Neuere Untersuchungen scheinen den Denkern der Antike Recht zu geben: Genies neigen nicht etwa zufällig zu Neurosen; ihr Wahnsinn hat Methode.

Was sich hinter der „göttlichen Verrücktheit“ verstecken könnte, darauf gibt ein Versuch der Psychologin Shelley Carson von der Harvard-Universität einen ersten Hinweis. Die Forscherin prüfte die Fähigkeit von Studenten, irrelevante Reize auszublenden. Ein Teil der Studenten hatte zuvor in Kreativitätstests besonders gut gepunktet.

Zunächst spielte die Psychologin ihren Testpersonen sinnlose Wortsilben vor. Die Probanden sollten zählen, wie oft eine bestimmte Wortsilbe („bim“) vorkam. Ein Störgeräusch, das hin und wieder auftauchte, erschwerte die Sache – am besten, man ignorierte es einfach.

Nun kam es zum entscheidenden Test. Die Probanden wurden vor einen Bildschirm gesetzt, auf dem wiederholt eine gelbe Scheibe aufleuchtete. Die Aufgabe bestand darin, die Scheibe so schnell wie möglich ausfindig zu machen. Der Clou: Auch diesmal präsentierte die Psychologin das „Störgeräusch“, jetzt aber kündigte es immer das Auftauchen der gelben Scheibe an. Aus dem Störreiz war plötzlich eine nützliche Informationsquelle geworden. Wie würden die Studenten damit umgehen?

Die meisten Studenten blendeten den Reiz weiterhin aus. „Normale Menschen hören das Störgeräusch in der Testphase gar nicht mehr, weil sie es als unbedeutend abgetan haben“, sagt die Harvard- Forscherin Carson. Ganz anders die Kreativen: Sie nutzten den Stimulus auf Anhieb für die Identifikation der Scheiben.

Dieses Phänomen beobachtet man ansonsten nur bei Menschen mit einer Psychose, einer Schizophrenie zum Beispiel. Sowohl schizophrene als auch kreative Menschen haben, wie es scheint, die Neigung, alle Reize, die in ihr Gehirn eintreffen, ungefiltert an sich ranzulassen, mit Risiken und Nebenwirkungen: Die Gefahr ist, in der Reizüberflutung unterzu- gehen. Denkstörungen und Halluzinationen sind die Folge – die beiden Kardinalsymptome der Schizophrenie. Manchen Menschen jedoch, den Kreativen, gelingt es, das Chaos im Kopf für sich nutzbar zu machen, auch wenn man bis heute nicht genau weiß, wie. Vermutlich helfen ihnen eine hohe Intelligenz sowie ein gutes Arbeitsgedächtnis.

Sicher ist: Genialität und Geisteskrankheit sind eng verwoben. Nur so lässt sich auch erklären, weshalb Erbanlagen, die anfällig machen für psychische Störungen, sich im Laufe der Entwicklungsgeschichte überhaupt durchsetzen konnten: Diese Gene machen nicht nur gaga, sondern auch kreativ – ein klarer Überlebensvorteil.

Reine Spekulation? Nicht ganz, entdeckte kürzlich Jon Karlsson vom Institut für Genetik in Reykjavik. Der Genforscher analysierte den Werdegang zahlreicher Studenten mit exzellenten Noten sowie deren Familienmitglieder. Gerade die besten Studenten, so das Ergebnis, erkrankten häufig an Schizophrenie. Außerdem erwiesen sich die psychisch unauffälligen Verwandten von Psychotikern ebenfalls als recht erfolgreich, vor allem in Mathematik. „Die erhöhte geistige Stimulation, die man in Familien mit Psychosen vorfindet, könnte kreative Formen des Denkens fördern“, lautet das Fazit des Forschers.

Selbstverständlich heißt das nicht, dass alle Genies zur Neurose neigen, so wenig umgekehrt Geisteskranke automatisch genial werden, im Gegenteil. Genies ticken oft nur ein bisschen anders. „Die kalte Hand der Schizophrenie tötet alle Kreativität“, stellte schon der amerikanische Intelligenzforscher Hans Eysenck fest. „Es sind die milden Formen psychischer Störung, welche ihre Entfaltung ermöglichen.“

Dafür spricht auch eine Untersuchung der beiden Psychologen Ruth Richards und Dennis Kinney von der Harvard-Universität. Sie gingen der kreativen Ader von 17 manisch-depressiven Patienten auf den Grund – mit Hilfe von Tests und einer Analyse der schöpferischen Leistungen aus dem Privat- und Berufsleben – und verglichen sie mit 16 Patienten, die unter einer leichteren Form der Erkrankung litten. Ergebnis: Die leicht Erkrankten waren nach allen Maßstäben eindeutig kreativer als die schwer Manisch-Depressiven.

Jahrzehnte lang, als die Erkrankung John Nash im Griff hatte, veröffentlichte das Mathegenie nichts. „Wenn du geisteskrank bist, bist du damit beschäftigt, geisteskrank zu sein – die ganze Zeit“, schrieb die amerikanische Dichterin Sylvia Plath, die sich im Alter von 30 das Leben nahm. Eine Prise Wahnsinn kann der Genialität auf die Sprünge helfen. Zuviel davon führt oft in die Tragödie.

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