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Gesundheit: Walverwandtschaften

Kein Säugetier pflegt so enge Familienbindungen wie der Orca

Unser Verhältnis zu Walen ist von Faszination geprägt – und schlechtem Gewissen. Den Meeressäugern wird hohe Intelligenz, ja sogar Kultur nachgesagt. Trotzdem hätten wir in den letzten 200 Jahren in einem beispiellosen marinen Massenmord beinahe viele Walarten ausgerottet.

Auch die Schwerwale (Orcas) standen einmal kurz vor dem Aus, allerdings ganz ohne menschliche Nachhilfe – wie der Molekularbiologe Rus Hoelzel von der britischen Universität Durham mit einer Studie über die genetischen Walverwandtschaften nun nachweisen konnte. Die Studie ist im britischen Fachblatt „Proceedings of the Royal Society“ erschienen.

Hoelzel untersuchte die Gene verschiedener, weltweit lebender Schwertwalpopulationen. Erstes Ergebnis: Das Erbgut einzelner Familienverbände, die aus fünf bis 30 Tieren bestehen, ist rekordverdächtig ähnlich. Schwertwale haben nämlich ein sehr bemerkenswertes Sozialleben: Kein Säugetier hat so enge Familienbindungen wie der Orca. Das geht sogar so weit, dass auch die Gesänge der Schwertwale eindeutige Familiendialekte aufweisen. Fremde Walbullen haben kaum eine Chance bei den Walkühen. Inzest ist weit verbreitet.

Meeresbiologen vermuten schon seit längerem, dass die engen Familienbande mit dem Jagdverhalten der Schwertwale zusammenhängen. Der Nahrungsfang ist bei den Orcas eine hochkomplexe Angelegenheit. Alle Familienmitglieder arbeiten eng zusammen, um beispielsweise Heringsschwärme in die Enge zu treiben. Doch neben den Fischfängern gibt es auch Gruppen, die sich von Robben ernähren und Fischkost verschmähen. Eine Gruppe von amerikanischen Walforschern hat Orcas sogar dabei beobachtet, wie sie eine Herde von Pottwalen angegriffen haben. Nur, wo liegt der Zusammenhang zwischen Jagd und engem Familiensinn? Die unterschiedlichen Jagdstrategien müssen den jungen Schwertwalen von den anderen Familienmitgliedern beigebracht werden. Und dieser Lernvorgang kann Jahre dauern. Die Herde muss daher eng verbunden bleiben, und dabei wird auch Inzest in Kauf genommen, die Folge: genetische Armut.

Doch der Molekularbiologe Hoelzel entdeckte bei seinen Genanalysen noch etwas Bemerkenswertes: Schwertwale besitzen auch weltweit eine überraschend geringe genetische Vielfalt. Nicht nur Familienmitglieder unterscheiden sich genetisch kaum, auch die einzelnen Walherden weisen untereinander praktisch keine Unterschiede auf. Hoelzel vermutet, dass die Orcas einen „genetischen Flaschenhals“ durchlaufen haben – eine beschönigende Formulierung von Evolutionsbiologen dafür, dass diese Art einmal kurz vor dem Aussterben stand. Nur wenige Individuen überlebten, und alle heute noch lebenden Nachkommen tragen ihre Gene.

Molekularbiologisch lässt sich der Zeitpunkt des Beinahe-Aussterbens sogar berechnen: Es fand vor etwa 14 000 Jahren statt. Eine Eiszeit sorgte damals für äußerst ungünstige Lebensbedingungen. Zu dieser Zeit grübelten unsere Vorfahren noch über die Herstellung von einfachen Werkzeugen nach. Kein Mensch dachte damals schon an Walfang. Das ist die gute Nachricht: Wenigstens an diesem Walsterben waren wir ausnahmsweise einmal nicht schuld. Erik Schmolz

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