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Gesundheit: Was hilft dem Patienten wirklich?

Ärzte: Gute Studien sind noch immer Mangelware

„Wir wissen es nicht.“ Der Satz wiederholte sich wie ein Leitmotiv. Auf medizinischen Kongressen werden neue Forschungsergebnisse oft euphorisch gepriesen. Hier aber herrschte illusionsloser Realismus. Und doch konnte man nach zwei Diskussionstagen auch mit Hoffnung nach Hause gehen, weil ein schwieriges Problem endlich angepackt wird:

Wie lichtet man den medizinischen Dschungel und findet in all dem wuchernden Wildwuchs das wirklich Heilsame? Wie der Nutzen medizinischer Leistungen für den Patienten zu bewerten ist und welche juristischen Fußangeln diese Bewertung hat, dies diskutierten Ärzte, Versorgungsforscher, Juristen und Gesundheitsökonomen in Berlin. Geladen hatte der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen, der über die Anerkennung von Verfahren als Kassenleistung zu entscheiden hat, zusammen mit dem von ihm gegründeten Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), das ihm die wissenschaftlichen Grundlagen für diese Entscheidungen liefert.

Anfangs habe er gedacht, es gehe bei der Arbeit seines Instituts nur um rein medizinisch-wissenschaftliche Fragen, sagte IQWiG-Leiter Peter Sawicki. Kann das Behandlungsverfahren den Patienten nützen, kann es dies nicht – oder wissen wir das noch nicht? Bald aber habe er erkennen müssen, wie vielen nichtmedizinischen, vor allem juristischen Einflüssen diese Bewertung standhalten muss.

In der Tat: Wer sich aufmacht, den medizinischen Dschungel zu durchforsten, der muss sich, wie diese Tagung zeigte, durch einen ebenso dichten rechtlichen Dschungel kämpfen, den der sehr unterschiedlichen Interpretationen schon allein der Gesetzestexte. Die legen fest, dass einem (Kassen-)Patienten die notwendigen medizinischen Leistungen zustehen, sofern deren Nutzen nach dem Stand der Wissenschaft nachgewiesen ist.

Der moderne medizinische Begriff für die Heilkunde, die den strengen Nachweis des Nutzens von sich fordert, ist „evidenzbasierte Medizin“. Diese Forderung ist nun auch im Sozialgesetzbuch V verankert und gehört zum juristischen Vokabular. Rainer Hess, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, zitierte aus dessen Verfahrensordnung, dass die Bewertung des Nutzens immer evidenzbasiert sein muss.

Bis die gesamte angewandte Medizin durchleuchtet ist, wird viel Zeit vergehen. Zunächst hat der Gemeinsame Bundesausschuss beim IQWiG, seiner unabhängigen Tochter, unter anderem ein halbes hundert Gutachten aus dem Bereich der wichtigsten Volkskrankheiten in Auftrag gegeben. Ein gerade publizierter Vorbericht zu einem dieser Gutachten betrifft die Aplastische Anämie, eine Blutbildungsstörung. Zu ermitteln war, ob den Kranken mit einer Transplantation von Stammzellen Nichtverwandter (nur jeder Dritte findet einen verwandten Spender) besser zu helfen ist als mit Medikamenten.

„Wir wissen es nicht“, lautet die Antwort. Notwendig wären methodisch einwandfreie Studien zum Vergleich beider Verfahren. An guten Studien fehlt es aber allenthalben, zum Beispiel in der Chirurgie und selbst in der Arzneitherapie, obwohl die Hersteller vor Zulassung eines Medikaments dessen Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nachweisen müssen.

Ein echter Zusatznutzen neuer Medikamente sei selten, sagte der Berliner Krebsspezialist Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Die Hersteller lieferten den Krankenhäusern zu ihren pseudoinnovativen Präparaten die Argumentations-CD gleich mit, und viele medizinische Fachgesellschaften übernähmen die Herstellerargumente unbesehen. Zum Zeitpunkt der Zulassung wisse man nur wenig über die Wirksamkeit, fast nichts über die Sicherheit und gar nichts über den Stellenwert eines Arzneimittels im Vergleich zum bewährten Standard.

Gerade in Ludwigs eigenem Fachgebiet ist die Unsicherheit groß. Ergebnisse von Studien seien in der Versorgungsrealität oft nur auf wenige Patienten anwendbar. „Es ist unsere Aufgabe als Arzt, den Patienten zu sagen, was wir wissen und was wir nicht wissen.“ Aufgabe der klinischen und Versorgungsforschung aber ist es, Patienten und Ärzten mehr Sicherheit über Nutzen oder Nutzlosigkeit von Mitteln und Methoden durch unabhängige Studien zu verschaffen.

Das IQWiG hat Mühe, Studien in ausreichender Qualität zu finden. Industrievertreter und Mediziner werfen dem Institut Einseitigkeit vor. IQWiG-Leiter Sawicki zum Tagesspiegel: „Das ist wie Goldwaschen, und die Industrie sagt: Wenn ihr kein Gold findet, dann nehmt doch Sand!“ Nach seiner Meinung sollten die dringend nötigen unabhängigen Studien – auch an Arzneimitteln nach der Zulassung – von den Krankenkassen finanziert werden. „Wie andere Unternehmen auch sollten sie ein Prozent oder wenigstens ein halbes ihres Budgets für Forschung und Entwicklung aufwenden.“

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