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Gesundheit: Was sollen Kunst und Wissenschaft leisten?

Als hätten die Organisatoren des 50. Hochschulverbandstages die turbulenten Entwicklungen der Berliner Kultur- und Wissenschaftpolitik geahnt, stellten sie doch ihre Jubiläumsveranstaltung unter das Motto: Macht des Geistes.

Als hätten die Organisatoren des 50. Hochschulverbandstages die turbulenten Entwicklungen der Berliner Kultur- und Wissenschaftpolitik geahnt, stellten sie doch ihre Jubiläumsveranstaltung unter das Motto: Macht des Geistes. Sogar die Nachrichtensender Phoenix und N 24 kamen, um die hochkarätig besetzten Streitrunden live aus dem Hilton Hotel zu übertragen.

"Ein wahres Streitgespräch, keine wissenschaftlichen Kosereien" wünschte sich SFB-Intendant Horst Schättle als Moderator des Streitgesprächs zwischen Jenoptik-Chef Lothar Späth und dem Wuppertaler Ästhetik-Professor Jürgen Bazon Brock. Thema der Diskussion war die fundamentale Frage, was Kunst und Wissenschaft leisten sollen. Schättles Wunsch wurde von Brock sofort in die Tat umgesetzt, der die Krisensdiskussionen der letzten Zeit als "völligen Unsinn abtat". "Es gibt keine Krise. Seit 5000 Jahren wird immer von Krisen gesprochen. Das ist völliger Unsinn." Er sehe vielmehr sehe in der Wissenschaft eine einzige Erfolgsgeschichte, die jetzt an ihrem Erfolg zu scheitern drohe. Brock begründete seine Auffassung damit, dass sich das Selbstverständnis von Wissenschaftlern und Künstlern in den letzten Jahrzehnten radikal gewandelt habe. "Früher beriefen sich immer die Künstler auf die Singularität ihrer Auffassungen. Das hat sich komplett gewandelt. Jetzt sind es die Wissenschaftler, die die innovative Kraft haben, sich auf ihre künstlerische Einzigartigkeit berufen zu können." Als Beispiel nannte er den Arzt, der sich am Operationstisch nur auf sich selbst verlassen könne.

Damit aber nicht genug. Das Berufen auf die eigene Meinung hätten die Wissenschaftler auch erfolgreich auf die Öffentlichkeit übertragen können. So sei jeder in der Lage, in der heutigen hochkomplexen Umwelt Entscheidungen treffen zu können, ohne sich in den Bereichen richtig auszukennen. "Wir sollten stolz darauf sein, dass heute eine so hohe Anzahl von Leuten sich in Bereichen bewegen können, die sie gar nicht kennnen können, und trotzdem richtige Entscheidungen treffen können." Hierin liege aber auch die Gefahr für die Universitäten: denn auf Regierungsebene und in der Hochschulverwaltung habe man es mit Leuten zu tun, die sich zwar ihre Meinung bilden könnten, aber keine Sachkompetenz besäßen.

Diese Position konnte Lothar Späth nur bedingt teilen. Grundsätzlich, so Späth, stimme er Brock darin zu, dass der Gedanke der Individualität stärker betont werden müsse. "Ich sehe mit großer Sorge, dass wir dabei sind, einen Fehler zu machen und die Wissenschaft auf die Frage der Effizienz einzuengen. Die Wissenschaft darf nicht nur den neuesten Anwendungen in der Wirtschaft nachspringen nach dem Prinzip: Wie bringen wir die nächsten Vierteljahresprognose wieder in Ordnung?" Effizienz in der Wissenschaft müsse vielmehr bedeuten, dass an den Universitäten wieder Studenten zu Persönlichkeiten gebildet werden. In der Hinsicht könne die Wissenschaft von der Kunst lernen, sich Freiräume zu schaffen. "Das Tolle an der Kunst ist, dass sie vieles offen lässt. Diesen Weg von der Ausbildung hin zur Offenheit sollte auch die Wissenschaft gehen." Späth ging dabei ausdrücklich auf die laufende Diskussion um den Mangel an Fachkräften in der IT-Branche ein. Hier werde die eingeschränkte Sicht auf die Probleme deutlich. "Ich diskutiere tagtäglich mit jungen Unternehmern aus der Branche. Die sagen mir: der Mangel an Programmierern ist gar nicht das Problem der Zukunft. Das wird bald alles automatisch geschehen. Was wir brauchen, sind neue Formen des Internet-Designs. Dazu brauchen wir die Zusammenarbeit mit Künstlern."

Späth beendete die Diskussion mit einem eindeutigen Plädoyer für die Wissenschaft: Gerade in der Globalisierung müsse sich Europa auf die ursprüngliche Rolle der Wissenschaft in seiner Kulturgeschichte besinnen. Das sei wichtiger als die Frage, ob ein europäisches Land auf Platz sechs oder elf in der liste der Pro-Kopf-Einkommen liege.

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