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Gesundheit: Wenn sich die Brust zusammenschnürt

Daten des Berliner Herzinfarktregisters zeigen: Nach wie vor kommen viele akut Herzkranke zu spät in die Klinik

Herzinfarkt und Todesangst – das gehört zusammen. Und doch: An einem Infarkt muss man meist nicht mehr sterben, sofern er sofort behandelt wird. In den letzten Jahren wurden zunehmend wirksamere Verfahren entwickelt und sie werden im medizinischen Alltag meist auch angewandt.

Der Anteil der Infarktpatienten, die in einem Berliner Krankenhaus sterben, sinkt stetig und das liegt nicht allein an der verkürzten Verweildauer. Ob die Entwicklung überall so positiv ist, kann man nicht sagen. Sicheres weiß man in Berlin – wie auch anderswo – nur über jene Kliniken, die genau registrieren, in welchem Alter und welcher Verfassung die Kranken sind, wie sie behandelt werden und welchen Nutzen ihnen das bringt. In der Geburts- und Krebsmedizin werden solche Register schon lange geführt. Sie haben nicht nur die Patientenversorgung in den beteiligten Kliniken verbessert, sondern auch die Wissenschaft weitergebracht.

Seit einiger Zeit gibt es auch kardiologische Register, anonymisiert und von Datenschützern abgesegnet. In Berlin führten Kardiologen 1999 ein Herzinfarktregister ein, angesiedelt beim Insitut für Gesundheitswissenschaften der TU und mitgetragen von der Ärztekammer sowie einer großen, wechselnden Zahl von Krankenhäusern.

Eine Zwischenbilanz zog jetzt, auf einer überregionalen Tagung in der Ärztekammer Berlin, der gemeinnützige Verein „Berliner Herzinfarktregister“, dessen Ziel es ist, die Vorbeugung, Erkennung und Behandlung des Infarktes zu verbessern.

Der Trend ist positiv, es ließe sich aber noch viel mehr erreichen, wenn die Behandlung schneller beginnen könnte, wie der Vorsitzende des Vereins, der Kardiologe Walter Thimme, sagte: Noch immer, so ergab die Auswertung des Registers, kommen 40 Prozent der akut Herzkranken erst drei Stunden nach dem Infarkt oder noch später ins Krankenhaus, ein Zehntel sogar erst nach zwölf Stunden. Und viele rufen zuerst den Hausarzt oder lassen sich von Angehörigen ins nächstbeste Krankenhaus fahren. Nur 46 Prozent wählen die Notfallnummer 112 – das einzig Richtige, denn jede Minute zählt.

Die Feuerwehr kennt die Kliniken mit kardiologischer Kompetenz und kann einen Notarztwagen schicken, in dem die Behandlung schon anfängt, um das Absterben des nichtdurchbluteten Herzmuskelbezirks noch zu verhindern. Die Information der Bevölkerung wie auch die Kommunikation mit den Patienten im Krankenhaus beeinflussen den Krankheitsverlauf und gelten daher als wichtige Qualitätskriterien. Hier wurden Defizite festgestellt, die das Register aber nicht ausreichend erfasst. „Qualitätsmanagement ist ein lernendes System, per Knopfdruck lässt sich Qualität nicht einführen“, sagte der Nürnberger Kardiologe Martin Gottwik. Eines aber konstatierten die Herzspezialisten aus verschiedenen Regionen übereinstimmend: In allen an Registern beteiligten Kliniken ist die Behandlung besser geworden. Sie wissen nun, was sie tun, wie sie im Vergleich mit anderen stehen und an welchen Mängeln sie noch arbeiten müssen. Die Wissenschaft aber gewinnt durch solche Register Daten, auf denen die Versorgungsforschung aufbauen kann – mit dem Ziel einer real existierenden Patientenversorgung, die dem Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht.

Auf dem Berliner Herzinfarktregister zum Beispiel basieren schon eine ganze Reihe medizinischer Dissertationen und gesundheitswissenschaftlicher Magisterarbeiten. Auch gesundheitspolitische Folgen sind bereits erkennbar. Im Konkurrenzkampf werden die Krankenhäuser nur durch nachgewiesene Qualität bestehen können. In Schweden kann man im Internet nachsehen, in welchem Krankenhaus nur fünf Prozent und in welchem 20 Prozent der Infarktpatienten sterben, berichtete Anselm Gitt (Herzzentrum und Institut für Herzinfarktforschung Ludwigshafen). Solche Zahlen können jedoch täuschen. Werden in eine Klinik vielleicht die schwersten Fälle eingeliefert, weil sie besondes gut ist? Liegen im Einzugsgebiet eines Krankenhauses womöglich besonders viele Pflegeheime mit sehr alten Patienten?

Vernünftiger scheint eine Vereinbarung des Berliner Senats mit den Krankenkassen, die Thimme gegenüber dem Tagesspiegel erwähnte: Infarktpatienten sollen künftig nur noch in Kliniken mit günstigen Voraussetzungen behandelt werden – vom ständig bereitstehenden Herzkatheder-Team bis zu qualitätssichernden Maßnahmen wie der Beteiligung am Herzinfarktregister. Mit Kliniken, die nicht die bestmögliche Kompetenz nachweisen können, werden die Kassen dann sicher keine Verträge mehr abschließen.

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