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Gesundheit: Wenn Winzlinge unter Strom sind

Wenn Neurochirurgen Erkrankungen im Gehirn behandeln wollen, dürfen sie nur sehr vorsichtig vorgehen, um das gesunde Gewebe nicht zu zerstören. Die Apparate, die sie dafür benötigen, müssen entsprechend klein sein und präzise arbeiten.

Wenn Neurochirurgen Erkrankungen im Gehirn behandeln wollen, dürfen sie nur sehr vorsichtig vorgehen, um das gesunde Gewebe nicht zu zerstören. Die Apparate, die sie dafür benötigen, müssen entsprechend klein sein und präzise arbeiten. Sie sollten überdies per Computer zu überwachen und zu steuern sein – gerade dann, wenn der Operateur das eigentliche Arbeitsfeld nicht direkt betrachten kann.

All diese Anforderungen erfüllen heutige Mikrosysteme bereits, nicht nur in der minimalinvasiven Chirurgie. Sie sind aus modernen Fertigungsverfahren nicht mehr wegzudenken und werden darüber hinaus allenthalben in Schwerpunktprogrammen weiter erforscht. Ihre Einsatzgebiete reichen von der Feinmechanik bis hin zur Autoindustrie. Aber die winzige Technik soll nun durch künstliche Muskeln aus Ruß Verstärkung bekommen: durch Nanoröhrchen aus Kohlenstoff.

Es geht um kleinste Bauteile, die Bewegungen ausführen können, die Fachleute sprechen von Stellgliedern oder Aktuatoren. Solche Aufgaben werden jetzt noch zum Beispiel von hydraulisch, elektromagnetisch oder thermisch angetriebenen Apparaturen übernommen. Bewährt hat sich aber auch die Piezoelektrik. Wir kennen diese Technik vom Elektronikfeuerzeug oder vom Plattenspieler mit Kristallsystem: Werden bestimmte Kristalle unter Druck gesetzt, dann geben sie die Bewegungsenergie an ihrer Oberfläche wieder ab, umgewandelt in elektrischen Strom.

Und dieses Prinzip ist umkehrbar: Setzt man die Kristalle unter Strom, dehnen sie sich aus oder fangen an zu schwingen. Das wird bei Alltagsprodukten etwa für Handy-Klingeln oder für Lautsprechersysteme ausgenutzt. In der Mikrosystemtechnik können damit – präzise gesteuert – kleinste Bewegungen ausgeführt werden. Der Hirnchirurg etwa benötigt Hebel und Zangen, die nur auf ganz geringem Raum wirken. Leider ist jedoch die Längenausdehnung der Piezokristalle begrenzt, zudem brauchen diese eine sehr große Spannung, damit sie überhaupt ansprechen.

Deshalb kommen die Nanoröhrchen ins Spiel. An den Kohlenstoff-Ketten selbst arbeiten Wissenschaftler weltweit seit einigen Jahren. Es ist ihnen gelungen, sie zu kleinsten Röhrchen zu formen, millionstel Teile eines Millimeters „dick“. Und diese Röhrchen zeigen ganz besondere Materialeigenschaften, so reagieren sie eben auch auf elektrischen Strom, und zwar in vielerlei Hinsicht deutlich günstiger als die Piezokristalle.

Die Nanoröhrchen benötigen nur wenige Volt Spannung, um sich in Bewegung zu setzen, ihre Ausdehnungsfähigkeit ist dabei jedoch etwa 30-mal so groß wie die ihrer rein kristallinen „Geschwister“. Man kann die Röhrchen zu Fasern, zu ganzen Muskel-Paketen bündeln, sie also gut auf die Anforderungen der bevorstehenden Aufgaben anpassen. Sie vertragen inzwischen schon Temperaturen von etwa 1000 Grad und lassen sich preisgünstig herstellen. Alles gute Gründe, weshalb die Wissenschaftler hier von einem wichtigen Bauteil der Mikrosystemtechnik sprechen, die ihrerseits eine der Schlüsseltechnologien dieses Jahrhunderts darstellen soll.

Und die Entwicklungshelfer? Die Stuttgarter Technologie-Entwicklungsgruppe der Fraunhofer-Gesellschaft geht jetzt gemeinsam mit dem Schwesterinstitut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik daran, die schon vorhandenen Forschungsergebnisse zur praktischen Anwendungsreife zu bringen: „Wir sehen uns als Bindeglied zwischen Forschung und Unternehmen“, betont Günter Hörcher, Abteilungsleiter der Produktentwicklung in Stuttgart. „So wollen wir erreichen, dass neue Technologien möglichst schnell in marktfähige Produkte umgesetzt werden können.“ Gideon Heimann

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