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Gesundheit: Werbung für Falter und Spinnen

Vogel, Insekt, Weichtier des Jahres: Gibt es eine Inflation der „Jahrestiere“?

Vorreiter haben es nicht leicht. Das musste zumindest Loki Schmidt erfahren, als sie mit ihrer 1976 gegründeten „Stiftung zum Schutze gefährdeter Pflanzen“ vier Jahre später zum ersten Mal die „Blume des Jahres“ kürte: den Lungenenzian. Er sollte „als schöne, aber geschützte Pflanze auf die bedrohten Flachmoore und feuchten Heiden aufmerksam machen“, schrieb die Frau von Alt-Kanzler Helmut Schmidt im Rückblick. Denn sie hatte eingesehen, dass nicht nur Kunstdünger, Ackergifte und schweres Gerät der Bauern Wildblumen und -kräutern den Garaus machten, sondern „auch schlichte Unkenntnis“.

Also wollte Loki Schmidt möglichst vielen Menschen bewusst machen, was an Schönem rings um sie sprießt und blüht. Doch das Presse-Echo war mager, „zum Teil bösartig“. Einen „Blümchentick“ warfen die Medien der damaligen Kanzlergattin vor. Doch die Hamburger Blumenfreunde ließen sich nicht entmutigen und wählten 1981 die Narzisse aus, weil diese seltene Pflanze in Deutschland nur noch in der Westeifel und im Hunsrück vorkommt; 1982 folgte das Rote Waldvögelein, eine seltene einheimische Orchidee. Steter Tropfen höhlte auch hier den Stein: Jahre später war das Medienecho „riesig“, freute sich Loki Schmidt. Inzwischen steht bei der Auswahl der Blume des Jahres der Schutz eines gefährdeten Biotops im Vordergrund: Das kann der Trockenrasen, der Waldrand oder das Moor sein.

Nach der Wahl des Wanderfalken zum ersten „Vogel des Jahres“ im Jahr 1971 durch den Deutschen Bund für Vogelschutz (heute Naturschutzbund NABU) war die Kür der „Blume des Jahres“ erst die zweite vergleichbare Aktion. Heute kreucht, fleucht und wächst auf diesem Gebiet allerhand und wirbt um öffentliches Augenmerk: So gibt es seit 1989 den „Baum des Jahres“ (damals die Eiche), später die Heilpflanze, das Säugetier, das Biotop und die Orchidee des Jahres.

Außerdem werden jährlich gewählt: das Nutztier, das Gemüse, die Staude, der Schmetterling, die Flechte, das Weichtier und die gefährdete Nutztierrasse; obendrein der Fisch, der Pilz, die Spinne, die Streuobstsorte – nicht zu vergessen das Insekt des Jahres. Dieses war 1999 erstmals die Florfliege, 2004 trug den Titel die Hain-Schwebfliege, ein oft mit Wespen verwechselter Nützling, der in der Luft stillstehen kann. Und 2005 ist es nun die Steinhummel (Bombus lapidarius) – stellvertretend für die 30 heimischen Hummelarten. Ebenfalls in diesem Jahr gibt es sogar erstmals den „Boden des Jahres“ – und zwar die Schwarzerde.

Die Pioniere der Idee sehen diese Entwicklung kritisch. „Inzwischen sind die Objekte des Jahres zur Inflation geworden“, sagt Johannes Martens, Geschäftsführer der Stiftung Naturschutz Hamburg und enger Mitstreiter Loki Schmidts. Aktionen wie die „Heilpflanze“ oder das „Weichtier des Jahres“ findet Martens fragwürdig. „Für den normalen Bürger ist das doch nicht mehr zu überschauen“, sagt der Biologe. Und Loki Schmidt wirft die Frage auf: „Wann erlahmt das Interesse der Öffentlichkeit?“

Doch abkupfern, oder freundlicher ausgedrückt: von anderen lernen, ist nicht verboten – und aus dem Blickwinkel der Veranstalter von Jahresaktionen allzu verständlich. Schließlich geht es Naturschutzverbänden wie dem NABU oder den im „Kuratorium Baum des Jahres“ versammelten Organisationen wie der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald ganz legitim auch um Spendengelder – und bekannte Piepmätze wie Zaunkönig, Haussperling oder Buntspecht wecken mehr Sympathien als Vögel am Rande der Aufmerksamkeit. Allerdings will der NABU mit seiner Auswahl auch den jeweiligen Lebensraum und so auch weniger auffällige Vögel und andere Lebewesen mitschützen – ein viel tiefer greifender Ansatz als simpler Artenschutz mit Nistkästen.

Die Wahl des Kuratoriums „Insekt des Jahres“ fällt meist auf „bekannte oder erkennbare Arten, mit denen sich allgemeine Umwelterkenntnisse verbinden lassen“. Die Wahl der Florfliege zum ersten „Insekt des Jahres“ 1999 „war nach unseren Erfahrungen sehr hilfreich, weil einem Millionenpublikum erstmals jenes Tier und sein beachtlicher Nutzen ins Bewusstsein gebracht wurde", sagt der Entomologe Holger Dathe. Auch die Hainschwebfliege (2004) sei als Nützling gekürt worden, die Feldgrille (2003) wegen ihrer Bindung an die selten gewordenen Trockenrasen. Und Plattbauch-Segellibelle (2001) und Zitronenfalter (2002) wurden auserwählt, weil sie auf die schwindenden Feuchtgebiete angewiesen seien.

Bei der Auswahl der Jahresspinne gehe es „nicht darum, eine bestimmte Art zu schützen“, sagt Peter Jäger vom Frankfurter Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg. Das würde „nur über den Biotopschutz“ gehen. „Vielmehr wollen wir grundsätzlich die Spinnen mehr in der Öffentlichkeit halten“. Letztlich sei es „piepegal“, wie die Wahl ausfalle, räumt Jäger ein. Die Große Zitterspinne, Achtbeiner des Jahres 2003, sei eine „stinknormale Spinne, die nie gefährdet sein wird“. Bei ihrer Kür war ein Aspekt, dass jeder sie zu Hause beobachten kann. Wiederkehrende Aktionen wie die Wahl zur „Spinne des Jahres“ hält der Biologe jedenfalls für ein nützliches Mittel im Kampf darum, dass „die Natur nicht ganz aus den Köpfen der Nintendo-Generation verschwindet“.

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