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Gesundheit: Wie man einen Schiffbrüchigen aus Plastik rettet

Am Wassersportzentrum der FU können Studierende preiswert Segeln lernen / Den Kitzel gibt es gratisVON PETER HERGERSBERG"Halt back die Fock an Steuerbord!" gibt die Steuerfrau in unverfälschtem Seglerlatein das Kommando loszuschippern.

Am Wassersportzentrum der FU können Studierende preiswert Segeln lernen / Den Kitzel gibt es gratisVON PETER HERGERSBERG"Halt back die Fock an Steuerbord!" gibt die Steuerfrau in unverfälschtem Seglerlatein das Kommando loszuschippern.Vorschoterin Corinna Ulmer kauert vor dem Mast des Segelschiffchens, eine Leine in der Hand.Auf die Anweisung von Steuerfrau Heide Knipping, die rittlings auf dem Heck der Jolle hockt, zieht sie das Vorsegel, die Fock, in den Wind.Eine leichte Brise bläht das dreieckige Tuch, das sich vom Bug bis zur Mastspitze spannt, und drückt die Jolle vom Bootssteg ab.Dann greift der Wind auch in das Hauptsegel, das Boot beschleunigt sein Tempo, und eine Zeit lang ist nur zu hören, wie das Wasser am Rumpf entlang sprudelt. Segeln auf dem Wannsee kann beschaulich sein, obwohl die Teilnehmer des Anfängersegelkurses der FU und Technischen Fachhochschule (TFH) ein straffes Übungsprogramm haben. "Beim Segeln ein bißchen abspannen", mehr will Heide Knipping, die sich gerade auf das Examen ihres Pharmaziestudiums vorbereitet, heute nicht.Für den flauen Luftzug ist sie deshalb dankbar.Frischt der Wind stark auf, verwandelt sich das kontemplative Dahingleiten auf dem Wasser in einen kraftraubenden Kampf mit den Elementen."Wenn es richtig bläst, rotiert man im Boot ganz schön", sagt Pharmaziestudentin Corinna Ulmer. Einstweilen aber halten die Übungsleiter André Schulz und Henriette Lüder vom Wassersportzentrum der FU ihre sechzehn Segellehrlinge in Atem.Von ihrem motorisierten Floß aus rufen sie Kommandos auf den See hinaus.Denn wer nach dem Kurs den "Sportbootführerschein/Binnen der Segler" in die Brieftasche schieben möchte, muß in einer Prüfung beweisen, daß er grundlegende Manöver beherrscht.Das amtliche Papier berechtigt Inhaber oder Inhaberin, ein Segelschiff auf Binnengewässern selbständig zu steuern.Für seinen Erwerb muß man sich zudem in der Theorie des Segelns und der Schiffahrt - Verkehrszeichen, Fahnen- und Lichtercodes, Strömungslehre - firm zeigen.Die Theoriestunden geben die Segellehrer für die Dauer der Kurse allwöchentlich an der FU."Das ist nicht ohne, weil man kein Symbol vorher kennt, anders als bei der Theorie für den Autoführerschein", gibt Corinna Ulmer zu. Vor jeder der zwölf praktischen Einheiten erläutern die Kursleiter das Übungsprogramm des Tages.Der Parcours, den die studentischen Segler durchschippern sollen, führt vom Floß zur Boje "Nummer sieben".Schon beim geraden Kurs auf den orangen Schwimmer hat der Probeprüfer etwas zu mäkeln: "Der Großbaum, der das Hauptsegel mit dem Mast im rechten Winkel aufspannt, sollte bei der Fahrt luvwärts, gegen die Windrichtung also, nicht über den Rand des Schiffes hinauswandern".Mit der korrekten Segelstellung kommt man auch in die Fahrtrichtung hart am Wind recht flott vorwärts.Eine Sache der Aerodynamik: "Der Wind muß das Segel im richtigen Winkel anströmen", ergänzt Henriette Lüder. Plötzlich ruft Übungsleiter Schurz dem Boot "Boje über Bord" hinterher.Steuerfrau Heide Knipping läßt einen Plastikschwimmkörper über die Bordwand fallen - der simulierte Notfall, in dem ein Matrose unfreiwillig ins Wasser geht.Blitzschnell berechnet sie nun den Kurs voraus, auf den sie ihr Schiff bringen muß.Nach einigem Drehen und Wenden soll der Kahn gegen den Wind, luvwärts, neben dem Schiffbrüchigen liegenbleiben: Je nach dem Winkel, den Fahrt- und Windrichtung einschließen, korrigiert sie erst leicht den Kurs, um das Schiffchen im geeigneten Augenblick halb um die eigene Achse zu drehen und zurück zu dem Plastik-Schiffbrüchigen zu steuern.Auf seiner Höhe angelangt, stellt Heide Knipping die Jolle mit einer kleinen Kursänderung direkt in den Wind.Dann flattern die Segel schlapp in der bremsenden Brise, und die Vorschoterin Corinna Ulmer kann das Plastikopfer an Bord hieven. André Schurz wird auch an dem Rettungsmanöver noch einige Handgriffe beanstanden, deren Beherrschung bei starkem Wind und im Ernstfall lebensrettend sein kann."In diesem Semester hatten wir viel Flaute", bedauert er die milden Ausbildungsbedingungen.Regt sich einmal gar kein Lüftchen oder tobt ein Sturm, müssen die Seeleute an Land bleiben und im Wassersportzentrum theoretisch segeln lernen.Dann flimmern Lehrvideos über den Bildschirm im Vorbereitungsraum."Oder die Kursteilnehmer üben die acht Knoten ein, die sie in der Prüfung knüpfen müssen", sagt André Schurz.Im Wintersemester gibt es keine Segelkurse. Wen es raus aufs Meer zieht und wer für Binnengewässer schon eine Fahrerlaubnis besitzt, der kann an der Ostseeküste die Fahrt auf offener See üben."Wir bieten eine zweiwöchige Ausbildungstörn an, um die für den Meeresführerschein obligatorischen 300 Seemeilen zu sammeln", sagt Henriette Lüder.Mit einem Schein fürs Binnensegeln können Sommerfrischler, die noch studieren oder an einer Uni arbeiten, ein Schiffchen chartern."Wir haben immer Boote zum Mieten an Land liegen", sagt Henriette Lüder. Ein kleiner Umbau der Jollen, die am Wannsee liegen, ermöglicht das Segeln auch für behinderte Menschen, für die eigens ein integrativer Kurs angeboten wird.Sie sitzen in einem Hartschalensitz und können sich auf einer Schiene unter dem etwas höher angebrachten Großsegel halb um den Mast drehen.Mit an Bord ist immer noch ein Assistent. Ein ausgetüfteltes System von Rollen, Scharnieren und Gelenken läßt alle Fäden bei dem in der Mitte thronenden Kapitän zusammenlaufen.Er hat sowohl auf die Leine des Vorsegels, als auch auf die Schot, wie die Segelleine fachwörtlich heißt, des Großsegels und das Ruder Zugriff.Einen Außenbordmotor braucht man in einer behindertengerechten Jolle nicht. Praktisch ist ein solcher Motor jedoch auch auf gewöhnlichen Segelschiffen: "Bei Hafenein- und ausfahrten, oder wenn der Wind plötzlich abflaut, ist so ein Ding schon nützlich, aber mit Sport hat das nichts zu tun", betont Heide Knipping.Für die dröhnenden Außenbordmotoren hat auch Corinna Ulmer nichts übrig, obwohl sie sich für das Wasser generell bestimmt fühlt: "Unter Sportlern gibt es solche, die es in die Berge zieht, und solche, die zieht es zum Wasser.Ich gehöre zu den Wasserratten!"

PETER HERGERSBERG

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