zum Hauptinhalt

Gesundheit: „Wir müssen auf die Quote schauen“

Heute Relativitätstheorie, morgen Lebenshilfe – Ulrich Bleyer präsentiert den Berlinern in der Urania Wissenschaft zum Anfassen

In die wissenschaftlichen Veranstaltungen der Urania kommen mal 20 Leute, und dann tritt jemand wie Eugen Drewermann auf, und die Leute rennen Ihnen die Bude ein.

Bei nur 20 Besuchern ist das Thema falsch gewählt. Wir müssen auf die Quote schauen. Daher haben wir ein sehr breites Programm, für das besonders Vorträge mit erkenntnistheoretischem Hintergrund wichtig sind. Herr Drewermann, Theologe und Psychologe, trennt in seinen Analysen bewusst zwischen wissenschaftlicher und religiöser Wahrheit. Das Bedürfnis nach Spiritualität ist ungeheuer groß. Da die Kirchen dieses Bedürfnis nicht ausreichend zu bedienen scheinen, hat er ein großes Publikum.

Wie groß?

Bei Eugen Drewermann brauchen wir etwa 1000 Plätze.

Welche Themen gehen ansonsten gut?

Wir hatten gerade einen sehr schönen, aber ziemlich komplizierten Vortrag „Einstein und die Quanten". Es war rappelvoll. Die Allgemeinheit interessiert sich vor allem für Grundfragen, für Themen wie „Der Urknall und…“. Wo kommt das Universum her? Wo kommen wir her? Was darüber hinaus wirklich gut geht, sind Psychologie, Medizin und Gesundheit und der ganze Bereich, den man praktische Lebenshilfe nennt, etwa Partnerschaftsprobleme oder Beruf und Karriere.

Wer kommt zu den Vorträgen?

Zu Herrn Drewermann kommt ein gemischtes Publikum, bei „Einstein und die Quanten“ sind es erstaunlich viele junge Leute.

Das ist aber nicht die Regel.

Nein. Die 25- bis 40-Jährigen leben bildungsmäßig weitgehend vom Eingemachten.

Würden Sie den Deutschen mangelhafte naturwissenschaftliche Kenntnisse attestieren?

Ich bin nicht berufen, darüber zu urteilen. Aber es ist erschreckend, was alles nicht gewusst wird. Das liegt auch daran, dass es im Moment nicht modern ist, sich den Mühen der Naturwissenschaften zu unterziehen. Man studiert lieber Betriebswirtschaft.

Gibt es nicht auch in der Forschung Moden?

Natürlich, wenn ich nur an die Zeit denke, als die Chaostheorie aufkam.

In welcher Mode leben wir jetzt gerade?

Im Moment ist es da ein bisschen flau.

Stammzellen?

Das ist ein spannendes Forschungsfeld, aber es ergreift die Massen nicht. Da können die Leute nicht einfach mitreden.

Und Nanotechnik?

Dazu haben wir sehr schöne Veranstaltungen. Zum Beispiel zu der Frage, wie sich Insekten an der Decke mit winzigen Saugnäpfen festhalten – da kommt dann die Nanotechnologie mit noch kleineren Instrumenten. Das ist hochspannend, aber es sind nicht viele Menschen bereit, sich einen Abend lang darüber zu informieren. In Berlin ist das Angebot so groß, da müssen Sie schon besondere Referenten und Themen aufbieten.

Und warum haben Sie dann immer wieder Mathematik im Programm?

Mathematik läuft erstaunlich gut. Vor zehn Jahren haben Berlins Mathematiker festgestellt, dass es keine Mathematikvorträge in der Urania gab. Sie haben sich sehr engagiert, hier etwas anzubieten. Daraus ist auch ein Buch entstanden: „Alles Mathematik“.

Forschungsinstitute und Universitäten legen auf ihre Präsentation in der Öffentlichkeit seit einigen Jahren sichtlich größeren Wert. Es gibt die Initiative „Wissenschaft im Dialog“, es gibt die Kinderuni und Schülerlabors.

Wir begrüßen das natürlich sehr. Es gab Jahre, da waren wir einsame Rufer auf weiter Flur, da war es unheimlich schwer zu vermitteln, dass öffentliche Wissenschaft wichtig ist. Und man muss nach wie vor sagen: Diese öffentliche Wissenschaft hat, wie die Haushälter es ausdrücken würden, immer noch keinen Titel. Sie steht mittendrin zwischen Wissenschafts- und Kulturförderung. Sie sehen das schon daran, dass die Urania ohne öffentliche Mittel leben muss.

Ist das eine Aufforderung an das Land Berlin, mehr für die Wissenschaften zu tun?

Unbedingt! Doch was das Finanzielle angeht, sind die Hoffnungen sehr gedämpft. Es bleibt daher den Einrichtungen selbst überlassen, sich noch mehr zu engagieren.

Wie zum Beispiel?

Das leuchtende Beispiel ist die „Lange Nacht der Wissenschaften“, in der sich eine Vielzahl von Einrichtungen zusammenfindet, um Berlin als Stadt der Wissenschaft zu präsentieren. Berlin war in den 20er Jahren das Wissenschaftszentrum überhaupt. Es ist eines der größten Zerstörungswerke, das der Nationalsozialismus hinterlassen hat, dass dies kaputtgegangen ist. Das ist nur schwer wieder gutzumachen. Erst mit den Entwicklungen nach der Wiedervereinigung, mit Adlershof oder den neuen Max-Planck-Instituten, wird die Lage wieder hoffnungsvoller. Berlin sollte in seiner angespannten finanziellen Situation die Kapazitäten, die es hat, stärker bündeln und vernetzen.

In welcher Weise?

Berlin hat ein Großplanetarium, zwei öffentliche Sternwarten, die Humboldt-Sammlung, das Naturkundemuseum, ein Technik-Museum, die Urania als Vortragszentrum für Wissenschaft und noch einiges mehr. Wenn man dies alles bündeln und die Käseglocke Science-Center darüber stülpen würde, hätte man über Nacht das größte, berühmteste Science-Center der Welt, ohne einen Cent zu investieren. Denn die Tradition, die da mit dranhängt, die hat sonst niemand.

Was können Sie als Urania dafür tun?

Wir können viele unserer Veranstaltungen ohnehin nur mit Kooperationspartnern realisieren – das sehen Sie schon, wenn Sie unser Programm durchblättern. Sehr erfreulich ist, dass wir Persönlichkeiten aus der Wirtschaft, der Wissenschaft und den Medien gewinnen konnten, die sich zu einem beratenden Kuratorium der Urania zusammenfinden. In einem solchen Kreis kann man Aktivitäten bündeln und Vernetzungen fördern.

Gibt es einen Referenten, den Sie schon immer bekommen wollten, aber nie gekriegt haben?

Da gibt es natürlich viele. Zum Beispiel wünschen wir uns, dass wir unsere Reihe „Nobelpreisträger in der Urania“ fortsetzen können. Preisträger wie der Physiker Wolfgang Ketterle waren noch nicht hier.

Sprechen Forscher nicht lieber in Hörsälen vor akademischem Publikum als bei Ihnen?

Das Urania-Publikum, das ist der ganz normale Mensch von der Straße. Der fühlt sich nicht eingeladen in die Universität oder das Atrium einer Bank. Es gibt zu viele Ressentiments: Das verstehe ich doch nicht. Insofern ist die Urania der Ort für die breite Öffentlichkeit. Wir konkurrieren natürlich mit anderen Einrichtungen, wenn berühmte Leute in der Stadt sind. Aber dass die Wissenschaftler nicht aus ihrem Elfenbeinturm hinausgehen, konnten wir noch nie bestätigen.

Das Interview führten Thomas de Padova und Hartmut Wewetzer.

-

Zur Startseite