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Gesundheit: Wissenschaft „in Geiselhaft“

Die Länder blockieren wichtige Investitionen, meinen die Vertreter der großen Forschungsorganisationen

„Entlasst uns aus der Geiselhaft!“ Mit diesem dramatischen Appell haben sich die großen Wissenschaftsorganisationen jetzt in Berlin an die Politik gewandt. Der Föderalismusstreit, eine machtpolitische Auseinandersetzung, dürfe nicht länger auf dem Rücken der Wissenschaft ausgetragen werden. Ohne nennenswerte Investitionen in Forschung und Entwicklung werde Deutschland von den internationalen Wettbewerbern überrollt werden. Aus Sorge sind die großen Forschungsorganisationen, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und der Wissenschaftsrat, erstmals gemeinsam vor die Öffentlichkeit getreten.

Es geht um Milliarden für die Forschung – und auch um entscheidende Weichenstellungen in der Hochschulpolitik. Monatelang lagen die „Exzellenzinitiative“ für die Hochschulen und der „Pakt für Forschung und Innovation“ für die außeruniversitären Einrichtungen auf Eis. Seit dem Scheitern der Föderalismuskommission ist nicht mehr auszuschließen, dass sie sterben.

Dabei waren sich der Bund und die Wissenschaftsminister der Länder längst einig. Im Oktober legte die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) eine Vereinbarung für den Exzellenzwettbewerb der Hochschulen auf der Basis eines Kompromisses vor. Doch die Ministerpräsidenten kassierten das Papier ein: Sie wollten das Thema mit in die Verhandlungsmasse gegen den Bund in die Föderalismuskommission einbringen. Die Verfassungsreform platzte. Seitdem blockieren die Ministerpräsidenten – allen voran die der Union – auch den ebenfalls in der BLK beschlossenen „Pakt für Innovation“. Die Ministerpräsidenten wollen den Bund so weit wie möglich aus der Forschungspolitik drängen, auch vor dem Hintergrund der Bundestagswahl im kommenden Jahr. Doch „Bund und Länder sind zur Zusammenarbeit verdammt, wenn Deutschland international eine Rolle spielen will“, sagte Peter Gaehtgens, der Sprecher der Allianz der Forschungsorganisationen und Präsident der HRK.

Beim „Exzellenzwettbewerb“ der Universitäten geht es um insgesamt 1,9 Milliarden Euro. 75 Prozent der Mittel will der Bund aufbringen, 25 Prozent wollten die Sitzländer der von einer wissenschaftlichen Kommission ausgewählten Hochschulen beisteuern. Der „Pakt für Forschung“ sah vor, dass Bund und Länder den vier großen Forschungs- und Wissenschaftsorganisationen, der Helmholtzgemeinschaft, der Fraunhofergesellschaft, den Max- Planck-Instituten und der Leibniz-Gemeinschaft, eine jährliche Haushaltssteigerung von drei Prozent bis zum Jahr 2010 geben. Damit wollten Bund und Länder dazu beitragen, den Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt von jetzt 2,6 Prozent auf drei Prozent im Jahr 2010 zu erhöhen. Sieben Milliarden mehr müssten dazu investiert werden, sagte DFG–Chef Ernst-Ludwig Winnacker. Im Ausland sei zu beobachten, dass verstärkte Investitionen der öffentlichen Hand für die Forschung auch die privaten Geldgeber zu stärkeren Anstrengungen animieren.

Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen hat nichts gegen den Vorschlag der Union, der DFG in Zukunft zusätzlich auch Geld für den „Overhead“, also für die Finanzierung der Forschungsinfrastruktur (Gerätekauf, Verwaltung usw.) von Drittmittelprojekten zu geben. Im Gegenteil. Es könne nicht angehen, dass ein neu angeworbener Sonderforschungsbereich in der Medizin sich zu einer Bedrohung für die anderen Forscher einer Fakultät entwickle, weil bisher die Hochschule für die Grundausstattung der Projekte aufkommen müsse. Doch die Union sieht in den Zahlungen für den „Overhead“ einen Ersatz für den Elitewettbewerb. Nicht so die Wissenschaftsorganisationen. Aus ihrer Sicht geht es bei dem Elitewettbewerb um mehr als um Geld, nämlich um eine strukturelle Veränderung der Hochschullandschaft.

Für Karl Max Einhäupl, den Vorsitzenden des Wissenschaftsrats, ist das Eliteprogramm geeignet, überfällige Reformen anzuschieben: Vor allem die Ausdifferenzierung der Hochschullandschaft, also der Abschied von der Illusion, „alle Hochschulen von Flensburg bis Freiburg seien gleich gut“. Die weltweit besten Studierenden und Wissenschaftler sollen von deutschen Hochschulen in der Spitzenliga der Rankings angezogen werden. Der Elitewettbewerb könnte den Hochschulen einen weiteren Impuls für eine Mittelverteilung nach Leistung geben. „Die Erbhöfe an den Universitäten müssen abgeschafft werden, Berufungszusagen müssen nichtig werden, wenn jemand die versprochene Leistung nicht bringt“, sagte Einhäupl. Die Berufungskommissionen dürften nicht länger auf der Basis eines einstündigen Vortrags Entscheidungen treffen, die sich 25 Jahre auf die Hochschule auswirken.

Einhäupl wehrte sich auch erneut gegen Pläne, die Finanzierung des Hochschulbaus in Zukunft allein den Ländern zu überlassen. Denn das werde die Hochschulen entscheidend schwächen: „Die Unis müssen das Rückgrat der Forschung bleiben.“ DFG-Präsident Winnacker sagte, Deutschland sei mit der Mischfinanzierung der Forschung jahrzehntelang gut gefahren und werde darum im Ausland beneidet. „Verschiedene Geldgeber machen die Forschung unabhängig von der Tagespolitik.“

In die „Geiselhaft“ der Länder ist auch die Förderung des „Bolognaprogramms“ der Hochschulrektoren geraten. Hessens Ministerpräsident Roland Koch hat, wie berichtet, in der vergangenen Woche eine Klage in Karlsruhe eingereicht. Denn der Bund unterstützt ohne Zustimmung der Länder mit 4,4 Millionen Euro „Bolognaexperten“, die an 20 ausgewählten Unis bei der Umstellung auf die neuen Studiengänge helfen sollen. „Koch torpediert ein sinnvolles Programm aus Gründen, die mit den Hochschulen nichts zu tun haben“, sagte Gaehtgens.

In welche Schwierigkeiten Koch die Hochschulen bringt, zeigt das Beispiel der Freien Universität Berlin, die sich im Wettbewerb der HRK durchgesetzt hat. Die FU habe ihren Bologna-Experten bereits eingestellt, sagt FU-Präsident Dieter Lenzen: „Wir klagen uns zurück in den Provinzialismus der fünfziger Jahre. Statt den Föderalismus zu überwinden, verstärken wir ihn.“ Die Länder hätten die Pflicht, sich zusammenzureißen.

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