zum Hauptinhalt

Gesundheit: Wo wir stehen

Von den Kenntnissen, nach denen Pisa fragt, hängt Deutschlands Zukunft ab. Eine Bestandsaufnahme

Im Herbst 2005 soll in Deutschland gewählt werden. Welche Rolle die Schulpolitik im Wahlkampf spielen wird, ist noch nicht abzusehen. Vorstöße von Bundeswissenschaftsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) und des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach in Richtung Gemeinschaftsschule sind in den letzten Wochen nicht wiederholt worden. Offenbar haben die Sozialdemokraten erkannt, dass in Deutschland mit der flächendeckenden Einführung von Gesamtschulen auf Kosten der Gymnasien und Realschulen keine Wahlen zu gewinnen sind.

Im internationalen Pisa-Vergleich glänzen zwar die Länder mit Gesamtschulen oder Gemeinschaftsschulen. Aber seit der nationalen Auswertung von Pisa 2000 wissen wir, dass die Länder Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen in Deutschland an der Spitze stehen. Sie haben nur wenige Gesamtschulen. Die Länder mit den meisten Gesamtschulen, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg, schneiden wesentlich schwächer ab. Nordrhein-Westfalen liegt nur im Mittelfeld und Brandenburg steht unter den 16 deutschen Ländern auf dem vorletzten Platz. Dass die erfolgreichen deutschen Länder in der neuesten Pisa-Auswertung der Bundesländer, die morgen in Berlin veröffentlicht wird, wieder die Sieger sein werden, ist zu erwarten.

Warum ist Pisa so wichtig für Deutschland? Im Maschinenbau und der Elektrotechnik haben die Deutschen einen Ruf zu verteidigen. Im 20. Jahrhundert galten sie in beiden Disziplinen als führend in der Welt. Hohe Ingenieurleistungen haben jedoch viel mit Mathematik und Naturwissenschaften zu tun und von daher ist es besorgniserregend, wenn in international vergleichenden Tests die deutschen Schüler in Mathematik und Naturwissenschaften nicht über den Durchschnitt hinauskommen. Pisa 2003 stellt die Mathematik in den Mittelpunkt.

In einem der ersten Tests dieser Art, der 1997 unter dem Stichwort Timss in die Schulgeschichte eingegangen ist, lag Deutschland im unteren Mittelfeld. Damals kam Deutschland in der Mathematik unter 40 Ländern auf den 24. Platz und in den Naturwissenschaften auf den 20. Platz. Der Pisa-Vergleich aus dem Jahr 2003 unter 40 Ländern brachte Deutschland immerhin den 16. Platz ganz knapp über dem OECD-Durchschnitt.

Anders als im normalen Schulunterricht wird bei den international vergleichenden Tests nicht das Pensum einer Klassenarbeit abgefragt. Es werden auch keine Noten vergeben. Denn die Tester wissen nur zu genau: In den Schulen wird für eine Klassenarbeit gepaukt und nachdem die geschrieben worden ist, gerät das meiste in Vergessenheit. In den Tests der OECD wird vielmehr nach verwertbarem Wissen gefragt, das auch nach einem Jahr und vielen Klassenarbeiten in der Zwischenzeit als mathematisches Verständnis oder als Leseverständnis von 15-Jährigen jederzeit abgerufen werden kann. Das zeigt sich vor allem bei Aufgaben, die dem Leben abgelauscht sind.

Die Bewertung der Tests erfolgt nach Kompetenzstufen, die mit römischen Zahlen I bis VI (in Mathematik) oder I bis V (Lesen) definiert werden. Wer die Kompetenzstufe I erreicht, kann nur mit einem Minimum an mathematischem Wissen oder Lesefähigkeiten aufwarten und wird schon in der Berufsausbildung größte Schwierigkeiten haben. Ein qualifizierter Beruf dürfte für Jugendliche mit der Kompetenzstufe I unerreichbar bleiben. Die Kompetenzstufen V oder VI entsprechen dem Niveau von Oberstufen an Gymnasien und befähigen zum Studium in diesen Fächern (siehe nebenstehenden Text).

Die Streuung in den Mathe-Leistungen ist enorm. In Deutschland ist die Risikogruppe der Schüler in der Kompetenzstufe I und noch darunter mit 21,6 Prozent „deutlich höher als in allen anderen west- und nordeuropäischen Ländern“. Diese Risikogruppe ist in den Hauptschulen und integrierten Gesamtschulen besonders stark vertreten. In den Gesamtschulen erreichen die meisten Schüler die Kompetenzstufen II und III, was einem nur durchschnittlichen Niveau entspricht Bei den Realschülern weitet sich die Skala der Kompetenzen von II bis Stufe IV.

Die Gymnasien erreichen ihre größte Leistungsdichte in den Stufen IV und V. 12 Prozent der Gymnasiasten erklimmen sogar die höchste Kompetenzstufe VI. Schüler auf diesem Niveau können in der Mathematik reflektieren und sind in der Lage, zur Lösung von Aufgaben mathematische Denkmodelle einzusetzen. Sie sind für Studium oder Beruf gut vorbereitet.

Die Schulforscher um das federführende Mitglied des nationalen Pisa-2003-Konsortiums Manfred Prenzel, und den Leiter der Pisa-Studie 2000, Jürgen Baumert, stellen fest: Die Reform des Mathematik-Unterrichts, die in Schulversuchen nach den negativen Timss-Befunden seit 1997 eingeleitet wurde, habe in den Realschulen und den Gesamtschulen zu einigen Verbesserungen geführt, aber nicht in den Hauptschulen. Die größten Leistungssteigerungen seien in den Gymnasien zu beobachten.

Die Lesefähigkeit ist eine Schlüsselfunktion, wenn man das Leben bewältigen will. Wer Texte nicht gut verstehen und interpretieren kann, wird nach der Schulzeit kaum in der Lage sein, selbstständig weiter zu lernen. Bei Pisa 2003 werden für die Lesefähigkeit fünf Kompetenzstufen zu Grunde gelegt. Wer die Kompetenzstufe I bewältigt, ist kein Analphabet, aber es fehlt ihm die Möglichkeit, mit Hilfe des Lesens den Alltag zu gestalten, um sich neues Wissen und neue Fertigkeiten anzueignen. Bei der Lesefähigkeit liegt Deutschland mit 401 Punkten knapp unter dem OECD-Durchschnitt von 404 Punkten. Das bedeutet international den 18. Platz.

Die Pisa-Auswerter kommen zu dem Ergebnis: „Deutschland gehört zu den Ländern, in denen sowohl Schülerinnen und Schüler mit außergewöhnlich guten als auch mit außergewöhnlich schlechten Leistungen überrepräsentiert sind.“ In Deutschland gehören 22,3 Prozent der 15-Jährigen zu jener Risikogruppe, die selbst einfachste Leseaufgaben nicht bewältigen können. In den Pisa-Spitzenländern dagegen erbringen selbst die schwächsten Leser „noch verhältnismäßig gute Testleistungen“.

In den deutschen Hauptschulen erreichen über 60 Prozent der Schüler nur die Kompetenzstufen I bis II. Schüler in den integrierten Gesamtschulen erreichen meist die Kompetenzstufen II und III. In den Realschulen dominiert der gute Durchschnitt. Bei den Gymnasiasten dagegen sind die Kompetenzstufen IV und V am stärksten vertreten. Nur in den Gymnasien also ist die deutsche Lesewelt noch in Ordnung.

In den Naturwissenschaften erreicht Deutschland den 15. Rang und liegt mit 502 Punkten knapp über dem OECD-Durchschnitt von 501 Punkten. Das wird von den Experten bereits als positiv bewertet, denn gegenüber dem Jahr 2000 haben sich die deutschen Schüler um 15 Punkte verbessert und damit eine signifikante Steigerung erreicht. Dennoch waren die Bildungsexperten mit diesem Ergebnis nicht zufrieden, denn im unteren Leistungsbereich hat sich die Situation „eher verschlechtert“.

In den Naturwissenschaften geht es darum, die Phänomene nicht nur zu beschreiben, man muss sie auch verstehen und erklären können. Die Leistungsunterschiede in den Naturwissenschaften sind im Vergleich zu Pisa 2000 zwischen Hauptschulen und Gymnasien noch größer geworden.

Die Risikogruppe, die nicht in der Lage ist, das naturwissenschaftliche Wissen weiter auszubauen, umfasst die Hälfte der Hauptschüler (52 Prozent). In den integrierten Gesamtschulen liegt die Risikogruppe bei 26 Prozent und an den Realschulen bei 14,6 Prozent. Nur an den Gymnasien gibt es mit 0,7 Prozent so gut wie keine Risikogruppe mehr.

Uwe Schlicht

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false