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Gesundheit: Zahltag

Studiengebühren sollen sozialverträglich sein und vollständig in die Lehre fließen, haben die Länder zugesichert. Stimmt das? Die Pläne auf dem Prüfstand

Die in mehreren Bundesländern gegen Studiengebühren protestierenden Studierenden bekommen unerwartete Unterstützung. Ernst-Ludwig Winnacker, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), sagte gestern, er habe Verständnis für die Demonstranten. So äußert sich auch Klaus Landfried, ehemaliger Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Winnacker und Landfried, eigentlich beide Befürworter von Gebühren, halten die jetzigen Rahmenbedingungen für „nicht akzeptabel“: „Die Voraussetzungen für sinnvolle Studiengebühren sind noch nicht verwirklicht“, sagt Landfried. In der Tat muss bezweifelt werden, ob die Länder ihre drei zentralen Versprechen für die Einführung von Gebühren gehalten haben.

VERSPRECHEN 1: „Die Studiengebühren sind sozialverträglich.“

„Sozialverträglich“ lautet die Lieblingsfloskel der Politiker, wenn es um Studiengebühren geht. Um diesen Anspruch einzulösen, haben die Länder Kreditprogramme aufgelegt. Die Studenten sollen den Kredit für die Gebühren während des Studiums aufnehmen und zwei Jahre nach der letzten Prüfung beginnen, das Darlehen zurückzuzahlen.

Doch sind diese Kreditmodelle tatsächlich sozial? Der Münsteraner Staatsrechtler Bodo Pieroth kommt in einem Gutachten zu dem Schluss, dass die Pläne keineswegs „sozialverträglich“, sondern vielmehr verfassungswidrig sind – die Kredite seien schlicht zu teuer. Denn anders als beim Bafög, das zinslos ist und nur zur Hälfte zurückgezahlt werden muss, fallen bei den Gebührendarlehen Zinsen und Zinseszinsen an. Es verstoße gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes, wenn arme Studenten deutlich mehr Geld zahlen müssen als reiche.

Tatsächlich könnten für ein zehnsemestriges Studium aus 5000 Euro Gebühren knapp 10 000 Euro Schulden werden, ergeben Berechnungen der L-Bank Baden-Württemberg, die Darlehen im Südwesten anbietet. „Viel zu hoch“ seien die Zinssätze von derzeit fünf bis sechs Prozent, kritisiert Achim Tiffe vom Hamburger Institut für Finanzdienstleistungen, das die Europäische Kommission und die OECD berät. Der Satz dürfe höchstens bei drei Prozent liegen, wenn die Banken tatsächlich nur ihre Verwaltungskosten einspielen wollten, wie die Länder es darstellen. Der Unterschied zwischen drei und sechs Prozent Zinsen ist erheblich: Bei dem niedrigeren Zinssatz verringern sich nach Berechnungen des Instituts für Bankwesen der Humboldt-Universität die Schulden für fünf Jahre Studium um bis zu 3200 Euro.

Die Konditionen für die Darlehen seien zudem „völlig intransparent“ dargestellt, kritisiert Tiffe: wie bei einem schlechten Kaufvertrag, in dem die wahren Fallstricke für den Kunden im Kleingedruckten stehen. So setzen die Landesbanken den Zinssatz jedes halbe Jahr neu fest und könnten ihn dabei auch sukzessive erhöhen. Eine „Obergrenze“ für die Schulden gilt zudem in vielen Ländern nur für die Schulden, die während des Studiums anfallen. Wenn ein Student im Studium bei 15 000 Euro Schulden aus Bafög, Gebührenkredit und Zinsen angekommen ist, werden ihm also die Raten und Zinsen des Gebührenkredits erlassen, die noch bis zum Examen anfallen. Nicht erlassen werden ihm die Zinsen, die er dann nach dem Examen bezahlen muss, bis der Kredit getilgt ist – diese Zinsen nach Studienende können mehrere tausend Euro ausmachen.

Wie man Studiengebühren organisiert, ohne arme Studenten zu benachteiligen, machen nach Ansicht des Staatsrechtlers Pieroth die Australier vor. Dort werden Gebührendarlehen nur mit der Inflationsrate verzinst (in Deutschland sind das zwei Prozent), denn Banken und ihre Interessen spielen im australischen Modell keine Rolle.

VERSPRECHEN 2: „Es wird genügend Stipendien geben. “

Als das Bundesverfassungsgericht 2005 den Weg für Studiengebühren in Deutschland frei machte, versprachen Politiker, umfangreiche Stipendienprogramme aufzulegen. Anders als ein Darlehen ist ein Stipendium quasi ein Geschenk. In Deutschland erhalten derzeit aber nur zwei Prozent der Studierenden ein Stipendium.

Jetzt, da tatsächlich bald Gebühren gezahlt werden müssen, schieben sich die Beteiligten gegenseitig die Verantwortung für neue Programme zu. Bei Stipendien sollte sich „der Staat völlig raushalten“, sagt der niedersächsische Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (CDU). Stattdessen sollten die Unis einen Teil der Gebühreneinnahmen für Stipendien ausgeben. Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt sagte unlängst, die Unternehmen würden die Studierenden bereits in großem Maße unterstützen, zusätzliche Förderungen seien nicht nötig. Dem widerspricht Bernd Huber, der Rektor der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität: „Der Aufbau eines vernünftigen Stipendiensystems ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Der Staat und die Wirtschaft dürfen die Unis damit nicht allein lassen.“

Dabei ist es nicht unmöglich, schnell neue Angebote zu schaffen. In Österreich, wo die Studenten seit fünf Jahren 360 Euro Gebühren zahlen, hat sich die Wirtschaft neue Programme einfallen lassen. Mehrere Unternehmen finanzieren ausgewählten Studenten die Gebühren. Im Gegenzug leisten diese während des Studiums ein Praktikum bei ihnen ab. In Großbritannien richtete die Regierung Blair kurz nach der Einführung von Studiengebühren ein „Office for Fair Access“ ein. Das soll darüber wachen, dass die Hochschulen tatsächlich ausreichend Stipendien anbieten. Andernfalls dürfen sie die Gebühren nicht in voller Höhe kassieren. Inzwischen wetteifern die Unis um die attraktivsten Angebote, schließlich können sie mit guten Stipendien auch gute Studienbewerber anlocken.

VERSPRECHEN 3: „Die Studiengebühren gehen komplett an die Hochschulen. “

Politiker behaupten, die Gebühren würden komplett dafür eingesetzt, die Lehre und den Studienalltag an den Unis zu verbessern. Tatsächlich wurde aber in den Studiengebührengesetzen der Länder bereits festgelegt, dass die Hochschulen einen Teil der Studiengebühren postwendend wieder abgeben müssen. Und zwar an die Banken, die die Studiengebührenkredite anbieten. In Nordrhein-Westfalen sollen die Hochschulen 23 Prozent der Gebühreneinnahmen an die Banken überweisen, zehn Prozent sind es in den meisten anderen Bundesländern. Mit dem Geld sollen so genannte Ausfallfonds gebildet werden. Aus diesen Fonds erhalten die Banken ihr Geld zurück, wenn Absolventen nach dem Studium den Kredit nicht zurückzahlen können. In anderen Ländern wie in Österreich und Großbritannien gibt es für Unis diese Extrakosten nicht: Dort springt der Staat für einkommensschwache Absolventen ein.

Die Gebührenpläne, sagt Klaus Landfried, seien „allein durch die fiskalischen Bedürfnisse der Länder diktiert“. Wenn es so weitergehe, erwarte er, dass die Länder bald den Staatszuschuss an die Hochschulen um die Summe streichen, die sie durch die Gebühren einnehmen.

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