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Gewalt bei Teenagern: Mädchen schlagen zu

Die gängige Meinung, Mädchen prügeln sich nicht, ist widerlegt. Die Polizei registriert eine zunehmende Gewalt bei Teenagern und auch die Mädchen schlagen zu.

Berlin - Früher haben Mädchen in brenzligen Situationen meist mit dem großen Bruder gedroht. "Heute wehren sie sich selbst und schlagen auch zu", sagen Ermittler, die sich mit der Jugendkriminalität in Deutschland befassen. Die zunehmende Gewalt junger Mädchen ist für die Polizei erschreckend.

Vor wenigen Tagen erst griff eine Bande in Bremen unvermittelt eine 14-Jährige an, die mit ihrem Freund aus einem Bus gestiegen war. Das Opfer erlitt einen Nasenbeinbruch, eine Platzwunde und mehrere Prellungen. In Frankfurt (Oder) brachen vor zwei Wochen zwei 14-Jährige einer zwei Jahre Jüngeren einen Finger, weil sie ihnen angeblich vier Euro schuldete. Das Opfer wurde zunächst bespuckt, geschlagen und geschubst. Während der Auseinandersetzung wurden die Täterinnen von ihrer Clique angefeuert.

Keine Einzelfälle

Eine 16-Jährige wiederum muss sich derzeit in Würzburg vor Gericht verantworten, weil sie ein Mädchen gezwungen haben soll, von einer zwölf Meter hohen Brücke in den Main zu springen. Die Angeklagte soll ihr Opfer zunächst geschlagen und mit Kniestößen ins Gesicht die Nase gebrochen haben. Zudem wird ihr vorgeworfen, den Kopf des Mädchens in einem Brunnen mehrmals unter Wasser gedrückt zu haben.

"Das sind leider keine Einzelfälle mehr", sagt der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg. "Die gängige Meinung, Mädchen prügeln sich nicht, ist längst widerlegt", betont er. Die Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) verzeichnet einen starken Anstieg der Gewaltkriminalität von Mädchen. Die Zahl der Tatverdächtigen stieg bei den 14- bis 18-Jährigen seit 1996 um 62 Prozent von knapp 4400 auf mehr als 7100. Bei den männlichen Jugendlichen dieser Altersgruppe gab es im vergangenen Jahrzehnt einen Zuwachs von 28 Prozent.

Mädchencliquen in den Großstädten

"Die weiblichen Teenager holen auf, auch wenn es noch weitaus weniger Taten sind", so die Erfahrungen der Kriminalisten. Männliche Jugendliche waren 1995 für 21.500 Gewalttaten verantwortlich, 2005 für rund 27.500. "Geschlechter-Stereotypen greifen nicht mehr", sagt Kirsten Bruhns von Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München. Auch Mädchen versuchten zunehmend, sich mit Gewalt durchzusetzen und so Anerkennung zu erhalten. "Doch oft bleibt es im Gegensatz zu Jungen bei Mobbing und psychischer Gewalt", erklärt die Wissenschaftlerin. Schwere Körperverletzungen seien hingegen nach wie vor gering. Es gebe aber die Tendenz, "nicht nur zu quatschen, sondern auch mal zuzuschlagen".

Die Polizei beobachtet zunehmend Mädchencliquen, die vor allem in Großstädten "Gebiete erobern und dann auch verteidigen". Diese Banden seien vor allem in sozialen Milieus anzutreffen, wo es meist keine Perspektiven gebe, sagt Freiberg. "Weder in Schule noch Job finden sie Erfolg. Schon im Elternhaus haben sie Gewalt erlebt, wurden nicht geachtet", erläutert er. In Gesprächen erfährt Soziologin Bruhns immer wieder, "dass die Mädchen erst auf der Straße Liebe, Zuneigung und Trost finden, den sie im Alltag zu Hause vermissen".

"Wer schon in seiner Familie als Verlierer aufwächst, nicht beachtet wird, neigt viel öfter zum Ausbrechen", sagt der Leiter der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, Rudolf Egg. Auf der Straße imitierten gewaltbereite Mädchen dabei oft männliches Verhalten. "Sie erobern sich auf der Straße ihre Freiräume - mit anscheinend immer mehr Erfolg", erläutert der Kriminologe. "Sie stehen hinter den Jungen nicht mehr zurück." (Von Wolfgang Schönwald, ddp)

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