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Am Gymnasium in Alsdorf können die Schüler der Oberstufe erst zur zweiten Stunde kommen.

© dpa

Gleitzeit beim Unterrichtsbeginn: Warum eine Schulstunde an die Müdigkeit verschenken?

Die innere Uhr folgt ein paar natürlichen Gesetzen. Doch Zeit ist immer noch moralisch normiert. Es bräuchte einen neuen gesellschaftlichen Takt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Friedhard Teuffel

Eine Frage, nur mal so aus Interesse: Wie viel Uhr ist es eigentlich? Von der Uhrzeit wird schließlich auch abhängen, wie dieser Text bei Ihnen ankommt. Ob davon ein, zwei Gedanken länger im Gedächtnis bleiben. Oder ob Sie darauf sogar gereizt reagieren. Wie aufnahmefähig der Mensch ist, liegt eben daran, was die Uhr gerade anzeigt, die äußere und die innere. Die innere Uhr geht ganz individuell, auch sie lässt sich zwar verstellen, doch es gibt ein paar natürliche Gesetze. Kurios ist es daher, dass auf eines davon erst langsam reagiert wird.

In Alsdorf bei Aachen dürfen Schüler des Gymnasiums künftig eine Stunde später zum Unterricht kommen. Oder so wie bisher. Schulzeit wird Gleitzeit. Das liegt am besonderen pädagogischen Ansatz der Schule, aber ein Umstand ist wissenschaftlich hinreichend belegt. Dass sich bei Jugendlichen ungefähr vom 14. Lebensjahr an der Rhythmus verändert. Sie bleiben abends länger wach und brauchen dafür noch morgens ihren Schlaf. Das hat nichts mit Generation Schluffi zu tun. Es ist die Macht der Hormone.

Dennoch wird der Einwand kommen: Schüler sollen auf das Arbeitsleben vorbereitet werden, und wenn sie nicht rechtzeitig lernen, früh aufzustehen, werden sie später auch keine Leistung bringen. Eine merkwürdige Logik. Als ob das wochentägliche Besiegen der inneren Uhr ein sinnvolles Training wäre. Andersherum wird ein Schuh draus. Wenn die Gesellschaft Jugendliche auf die Arbeitswelt bestmöglich vorbereiten möchte, warum verschenkt sie dann eine Stunde Lernstoff an die Müdigkeit?

Der ganze Familienalltag hängt vom Unterrichtsbeginn ab

Zeit scheint noch immer moralisch normiert zu sein. Respekt bekommt der Frühaufsteher. Wer verschläft, hat etwas falsch gemacht. Die Chronobiologie, die sich mit dem Rhythmus von Schlafen und Wachsein befasst, wirkt exotisch wie Sternedeuten. Unterstützt von der Wissenschaft lohnt sich jedoch ein Blick ins Stundenglas

Der Unterrichtsbeginn ist schließlich nicht nur eine Entscheidung darüber, wann die Glocke zum ersten Mal am Tag bimmelt. An ihm hängt die Gestaltung des Familienalltags. Veränderte Schulzeiten bedeuten veränderte Familienzeiten. Je nachdem, wann die Eltern anfangen zu arbeiten, findet ein gemeinsames Frühstück statt oder fällt leider aus. Gemeinsame Mahlzeiten können jedoch ähnlich wichtig sein wie ausreichend Schlaf, auch da bietet die Wissenschaft Erkenntnisse an. Gemeinsame Mahlzeiten schützen vor dem Zunehmen, haben Forscher herausgefunden.

Es geht also nicht nur um die persönliche innere Uhr, sondern auch noch um einen gesellschaftlichen Takt. Von der Arbeitswelt verlangt das Flexibilisierung, wo immer Flexibilisierung möglich ist. Die Grundlage dafür ist jedoch, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse überhaupt einmal ernst genommen werden. Die letzte große Debatte um veränderte Arbeitszeiten lösten die späten Anstoßzeiten bei der Fußball-WM vor zwei Jahren in Brasilien aus. Die Arbeitgeber sollten darauf doch bitteschön Rücksicht nehmen. Im Thema steckt also viel Folklore.

Arbeitszeit hat in der Tat zuerst mit betrieblichen Erfordernissen zu tun, oft genug jedoch mit Gewohnheit. Und wer die Zeit einteilt, hat viel Einfluss. Die Wirkung eines Büroschlafs wird noch belächelt, und dass ein Ruheraum die Leistung der Belegschaft verbessern kann, dürfte sich auch noch nicht durchgesetzt haben. Wer daran etwas ändern will, muss nicht einmal früh aufstehen.

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