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Golf von Mexiko: „Das Öl wird alles töten“

Mit der schwarzen Pest kommt für die Betroffenen an den Küsten des Golfs von Mexiko auch die Wut auf die Verantwortlichen.

Kim Champlain ist wütend. Der Garnelenfischer, dessen Haut vom Salzwasser und der Sonne so zerfurcht ist wie das unzugängliche Marschland hier im südlichsten Zipfel von Louisiana, sitzt auf einer Turnhallentribüne der Boothville-Schule und flucht. In einer Woche sollte die Fangsaison beginnen, doch die Netze werden wohl in diesem Jahr nicht mehr zum Einsatz kommen. „Das Öl“, sagt der 51-Jährige, „wird alles töten.“

Das Öl. Es ist der immer sichtbarer werdende Feind, der seit knapp zwei Wochen ungebremst aus der Bohrstelle der „Deepwater Horizon“ sprudelt. Und der auch im 60 Kilometer vom Unglücksort entfernten Venice das Leben Tausender aus der Bahn werfen wird. Die zähen schwarzen Klumpen und Schlieren, die – von starken Winden getrieben – bereits ungehindert über die roten und gelben Ölsperren schwappen und sich in den Austernbänken, Garnelengründen und den Brutstätten der Braun-Pelikane festsetzen, sind keine abstrakte Gefahr mehr. Als Vorboten der Verschmutzung der Küste mussten Helfer bereits viele Hunderte Meeresvögel mit schwarzgeteertem Gefieder aus dem Wasser bergen.

Wie eine dunkle Wolke hat sich die Gefahr über die Zukunft der Region gelegt. Wie geht es weiter? Wer ersetzt die Schäden? Keiner der rund 600 Fischer, die mit ihren Familien am Wochenende in die Sporthalle gekommen sind, weiß derzeit eine Antwort. Und aus der Unsicherheit wächst Zorn – nicht nur in Venice, sondern überall in den Küstenorten des Mississippi-Deltas. Zorn auf die Ölbohrer, die Coast Guard, das Heimatschutzministerium. „Die sind doch alle,“ sagt Champlains Sitznachbar Jimmy Lanier, „viel zu spät aufgewacht. Und haben uns belogen.“ Als sich herumspricht, dass Barack Obama am Sonntag nun doch ins Krisengebiet kommen will, gibt es Gelächter: „Nimmt er denn das Öl mit nach Washington?“

Der beleibte wie beliebte Sheriff, der sich sonst meist Barschlägern widmen muss, ist gleich mit fünf Kollegen zur Schule angerückt. Schließlich gilt es zwei Vertreter des Ölgiganten BP zu schützen. Das ernst blickende Duo steht im Mittelkreis der Halle, wo sonst die Basketballer der „Buras Oilers“ auf Körbejagd gehen, und versucht sich an Beschwichtigungen. Denn BP benötigt – so kurios dies klingen mag – die Hilfe der Fischer.

1200 Dollar pro Tag, rund 900 Euro, sollen sie als Minimum dafür erhalten, dass sie mit ihren Booten bei heftigem Seegang herausfahren und beim Legen aufblasbarer Ölsperren helfen. „Nun brauchen sie uns, weil sich sonst niemand in den Gewässern zurechtfindet“, höhnt Champlain, der seit 25 Jahren vom Garnelenfang lebt. Die BP-Männer teilen Verträge aus. „Bitte gleich unterschreiben.“ Viele Fischer zögern. Sie wollen Zeit, um den Inhalt zu prüfen. „Wie sollen wir wissen, was da wirklich drinsteht?“, sagt Champlain zu dem eng bedruckten Schriftstück. Doch der Ölkonzern hat keine Zeit. Mit jeder Stunde schleicht sich der rapide wachsende Ölteppich weiter in Richtung Küste voran – mit dem Ausblick auf Langzeitschäden, die niemand zu kalkulieren vermag. Und das Wetter spielte am Wochenende weiter nicht mit: Heftige Winde legten die verzweifelten Versuche, den Ölfilm in Schach zu halten, weitgehend lahm. Erst im Laufe der Woche wird eine deutliche Verbesserung erwartet.

„BP wird zahlen. Das kann ich versprechen,“ wirbt der Mann am Mikrofon. Von Versprechungen aber haben die Kutterkapitäne die Nase voll. Hatte die Küstenwache nicht einige Tage nach dem Untergang der Bohrplattform erklärt, man habe die Situation im Griff? Und was sind schon 1200 Dollar pro Tag für einen befristeten Notfalleinsatz, wenn die sechsmonatige Garnelensaison sonst manchem 70 000 Dollar bringt? „Mein ganzes Leben,“ sagt Champlain, „geht jetzt den Bach runter.“ Die Wut in Venice, dem Venedig Louisianas und der selbst ernannten „Fischereihauptstadt der Welt“, spaltet jedoch die Bürger wie eine Mauer. Da sind zum einen die Fischer und Großhändler, die auch die feinen Restaurants in New Orleans beliefern und um ihre Lebensperspektive fürchten. Und zum anderen die entlang des Highway 23 angesiedelten Serviceunternehmen, die den Ölkonzernen auf den Plattformen im Golf von Mexiko zur Hand gehen. Chevron, Halliburton, Conoco – alle haben Ableger in der Stadt. Geben Hunderten – wie den Helikopterpiloten – Lohn und Brot. Kleinere Ölunfälle hätten zur Normalität gehört, sagt Kevin Aderhold. Die habe man beherrschen können. Aber diesmal? Eine Rettungsstation kümmert sich bereits um die schwarz verschmierten Seevögel.

„Da kommt die ganz große Katastrophe“, fürchtet Aderhold, der mit seiner Yacht „Strike Zone“ sonst Hobbyfischer herumschippert und im Hafen von Venice einem Fernsehteam aus Rom anbietet, es zum Ölteppich zu bringen. 1200 Dollar plus Sprit will der Kapitän, doch die Italiener beißen nicht an, als Aderhold von „ziemlich hohen Wellen“ spricht.

Wenige Meter entfernt sitzt ein Dutzend Männer erschöpft auf Stühlen, die Schwimmwesten sind noch angelegt. Sie blicken ernst und lassen die Köpfe hängen. Die angeheuerten Arbeiter haben das Öl aus der Nähe gesehen und den fauligen Moder gerochen, als sie stundenlang Sperren zu legen versuchten, die wenig später brachen oder überspült wurden. In den nächsten Stunden soll Verstärkung kommen, jetzt sind die Katastrophenhelfer hungrig. Sie bestellen auf der Terrasse des nahen „Harbor Seafood“-Restaurants Austern, am Morgen erst in 120 Pfund schweren Leinensäcken an Land gebracht.

Es könnte für Jahrzehnte die letzte frische Ware sein, die vor Venice gefangen wurde. Laura serviert die Austern mit Zitronen und einem kurzen Lächeln. So, wie sie es immer getan hat.

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