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© ddp

Gorch Fock: Auf Wache ohne Rettungsweste

Eine Kadettin stürzte vor Norderney bei Nacht in die rauhe Nordsee, die Crew der „Gorch Fock“ ist geschockt. Wer ist schuld an dem Vorfall und wie kam er zustande?

Berlin – Die Suche nach der in der Nacht zum Donnerstag vom Segelschulschiff „Gorch Fock“ gestürzten Kadettin geht weiter – obwohl die Marine nach eigener Auskunft kaum Hoffnung hat, die Frau lebend aus der Nordsee zu retten. Inzwischen untersucht auch die Staatsanwaltschaft Kiel, wie es zu dem dramatischen Zwischenfall auf dem Großsegler vor der Insel Norderney kommen konnte. „Wir ermitteln in alle Richtungen“, sagte der Sprecher der Kieler Staatsanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Uwe Wick, am Freitag dem Tagesspiegel. Unterdessen wird die Mannschaft des Segelschulschiffs, das nun außerplanmäßig in Wilhelmshaven vor Anker liegt, psychologisch betreut. „Die Crew steht unter Schock“, sagt Korvettenkapitän Krüger. Noch sei unklar, ob die Gorch Fock ihre Fahrt nach Klärung des Vorfalls fortsetzen könne.

Hätte die junge Offiziersanwärterin an Bord der Gorch Fock eine Rettungsweste getragen, wäre sie womöglich noch am Leben. Jeder Kadett auf dem Segelschulschiff führt bei den Ausbildungsfahrten – wie auch alle anderen Seefahrer auf Dickschiffen der Marine – eine Spezialrettungsweste mit sich, die sich bei Wasserkontakt automatisch aufbläst. Ein darin enthaltener Ganzkörpergummianzug, den die Soldaten im Wasser überstreifen müssen, soll die Überlebenschancen im Meer erhöhen: Er hält die Körperwärme und schützt die Seefahrer zumindest eine Zeitlang vor Unterkühlung. In die Weste integriert sind eine Trillerpfeife und eine Leuchte, mit denen die Soldaten im Wasser auf sich aufmerksam machen können.

Auch die 18-jährige Kadettin, die aus bislang ungeklärten Gründen bei der nächtlichen Seewache auf der Gorch Fock über Bord ging, hat eine solche Weste gehabt. Doch sie trug sie nicht, als sie bei Dunkelheit, zwei Meter hohem Wellengang und sieben Windstärken in die zu diesem Zeitpunkt 17 Grad kalte Nordsee stürzte. Eine angelegte Schwimmweste hätte, so heißt es aus Seglerkreisen, nicht nur die Überlebenschancen der jungen Frau im kalten Wasser verbessert, sondern auch die, in der rauen Nordsee überhaupt entdeckt zu werden. Warum also trug die Offiziersanwärterin keine Rettungsweste, als sie über Bord stürzte?

Laut Marine-Sprecher Korvettenkapitän Arne Krüger müssen die Offiziersanwärter auf der Gorch Fock ihre Schwimmweste an Deck nur anlegen, wenn der Kommandant des Schiffs dies für ein bestimmtes Manöver anordnet. „Bei der Seeroutine würde die Schwimmweste die Soldaten bei der Arbeit behindern“, sagt Krüger. Handlichere Westen kommen für einen Einsatz auf einem Kriegsschiff nicht in Frage: Die Standardweste an Bord der Gorch Fock entspricht den Vorgaben des internationalen Abkommens zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (Solas).

Allerdings zieht die Staatsanwaltschaft Kiel neben einem Unglück offenbar auch noch einen anderen Hintergrund in Erwägung: Die Offiziersanwärterin aus Nordrhein-Westfalen könnte sich absichtlich von der Gorch Fock ins Meer gestürzt haben. „Wir können im Moment nichts ausschließen“, sagte Oberstaatsanwalt Wick. Für einen möglichen Freitod spricht, dass es allein aus technischen Gründen relativ schwierig ist, vom Oberdeck der Gorch Fock über die Reling zu stürzen: Es handelt sich dabei um ein knapp 1,50 Meter hohes, stabiles Geländer, das nach Auskunft von Korvettenkapitän Krüger selbst für Soldaten mit großer Statur ohne eigenes Zutun kaum zu überwinden ist. Auch die Statistik spricht dafür: Alle fünf Soldaten, die bislang auf der Gorch Fock zu Tode kamen, stürzten nicht von Deck, sondern aus der Takelage.

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