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Panorama: Grausam ohne Grenze

In Aachen hat der Prozess gegen die geständigen pädophilen Mörder der Kinder Tom und Sonja begonnen

Von Robert Esser,

Aachen

Hunderte Polizisten in Kampfmontur, Straßensperrung, zwei Demonstrationen, zehn Fernsehteams, dutzende Fotografen, brüllende Anwälte, mehr als 50 Journalisten aus der ganzen Republik – die Folgen eines beispiellosen Sexualverbrechens: Sieben Monate nach dem Doppelmord an den Geschwistern Tom (11) und Sonja (9) stehen die geständigen Täter – Markus Lewendel (33) und Markus Wirtz (28) aus dem rheinischen Eschweiler, dem Heimatort der Kinder – seit gestern vor dem Landgericht Aachen. Der Prozess-Auftakt, knapp 30 Minuten lang, gerät zum Medienspektakel. Vor dem Gerichtsgebäude verläuft der steile Adalbertsteinweg; unten skandieren 170 Protestler eines linken Bündnisses gegen 40 Sympathisanten der rechtsextremen NPD, die 300 Meter oberhalb lautstark und mit Bierdosen wie Plakaten im Anschlag die „Todesstrafe für Kinderschänder“ fordern. „Nazis = Kindermörder“ lautet der Slogan der Gegendemonstranten. Zur direkten Konfrontation kommt es dank massiver Polizeipräsenz nicht. Am frühen Morgen war der genehmigte Demo-Platz der NPD vor einer Kirche noch von der Feuerwehr abgespritzt worden: NPD-Gegner hatten nachts eimerweise Gülle als Willkomensgruß für die braune Gesellschaft verschüttet.

Im Gerichtssaal 339 ist ebenfalls ein Schutzgürtel gezogen: aus massiven, rollbaren Panzerglas-Scheiben, die sich das Aachener Gericht von Bonner Kollegen geliehen hat. Punkt 9.30 Uhr wird das Duo hineingeführt: Im Blitzlichtgewitter der Kameras verblasst Lewendels Lächeln zu einem fahlen Grinsen. Durch seine düstere Sonnenbrille linst der Kindermörder in schwarzem T-Shirt und Winterjacke in die Objektive der Foto-Reporter. Die drängen sich am Sicherheitsglas vor der Anklagebank. Drei Minuten lang lichten sie den Gebäudereiniger Lewendel und den Elektroniker Wirtz inmitten ihrer vier Anwälte ab. Wirtz wirkt – im Gegensatz zu seinem Komplizen – in seinem dunkel-gestreiften Anzug gedrungen, klein und reichlich verschüchtert.

Nervös zupft er an seiner Krawatte. Um 9.33 Uhr platzt Lewendels Verteidiger Wolfram Strauch (60) unvermittelt der Kragen: „Raus jetzt!“ brüllt er die Fotografen an.

Durch einen Hintereingang werden 50 Zuschauer zu ebenso vielen Medienvertretern eingelassen. Erst als der Vorsitzende der 1.Schwurgerichtskammer, Richter Gerd Nohl (55), eintritt, beruhigt sich die Atmosphäre. Als Oberstaatsanwalt Albert Balke Auszüge aus der Anklageschrift verliest, fließen bei einigen Zuhörern Tränen – Wirtz sinkt zusammen, auch seine Augen scheinen feucht. Seufzer von den Zuschauerbänken sind zu hören. Zu grausam die Details. Die Angeklagten bleiben stumm.

Der Ankläger schildert das Martyrium, das die beiden neun und elf Jahre alten Kinder durchmachten. Es ist an Grausamkeit kaum zu überbieten: Am Nachmittag des 30. März halten „die pädophil veranlagten Angeschuldigten auf einer Spazierfahrt Ausschau nach Kindern“. Mit den Worten „Halt. Stehen bleiben. Polizei“ stoppen sie Tom und Sonja, die auf einem alten Zechengelände in der Nähe ihres Elternhauses spielen. In einem Fiat Punto werden die Kinder direkt geknebelt und gefesselt. Wirtz erwürgt Tom, dem er eine Plastiktüte über den Kopf stülpt, noch am Entführungstag auf einem Parkplatz bei Zweifall. Die Täter verschleppten Sonja in Wirtz’ Wohnung, wo sie an ein Bett gefesselt und von beiden Tätern während zwei Tagen mehrmals abwechselnd vergewaltigt wurde.

Sonja stirbt in einem Waldstück bei Blankenheim: Lewendel versucht das Mädchen mit einer Paketschnur zu erdrosseln, Wirtz drückt ihr mit beiden Händen den Hals zu. Oberstaatsanwalt Balke attestiert beiden Tätern eine „besondere Schwere der Schuld“. Folgt das Gericht dieser Einschätzung, können Lewendel und Wirtz bei einer Verurteilung zu einer lebenslangen Haftstrafe nicht nach 15 Jahren, sondern erst nach 25 Jahren mit einer Freilassung auf Bewährung rechnen.

Robert Esser[Aachen]

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