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Grönland: Das geht runter wie Öl

Grönland feiert seine weitgehende Autonomie – doch die Insel ist darauf angewiesen, dass bald das schwarze Gold gefunden wird.

Ausgelassenen Jubel und glänzende Augen gab es in Nuuk und vor den Fernsehschirmen Grönlands, als am Sonntag Königin Margrethe II. von Dänemark dem Parlament die Autonomieurkunde übergab. Ihr Prinzgemahl Henrik würdigte Grönland mit zwei selbstverfassten Gedichten – „Die Ode an Grönland“ und „Die Eiskappe“, in denen er die Schönheit und Einzigartigkeit der Insel und ihrer Menschen beschreibt. Das mehrheitlich indogene Volk der Grönländer kann nun erstmals alleine über die in seinem Boden steckenden Öl-, Gas- und Mineralienvorkommen verfügen.

Vor allem Öl und Gas soll dort Schätzungen zufolge in enormen Mengen vorhanden sein. Die Insel könnte also ähnlich wie Norwegen zu einem nordischen Ölland werden. Damit könnte das zu über 50 Prozent auf Zahlungen aus Dänemark angewiesene Land in 15 bis 20 Jahren auch finanziell unabhängig werden. Auch das Schiffsregister, die Justiz, die Polizei und die Grenzkontrollen sollen, so weit es die bislang noch sehr eingeschränkten Kapazitäten der sehr armen Insel zulassen, von den dänischen Kolonialherren übernommen werden.

30 Jahre Korruption

Grönland freut sich nicht nur über die weitgehende Autonomie, sondern auch über die seit einer Woche im Amt sitzende neue Linksregierung unter dem charismatischen Premierminister Kuupik Kleist. Nach 30 Jahren Vetternwirtschaft und Korruption unter den Sozialdemokraten soll er die großen Probleme des Landes lösen. Da ist die überraschend große Armut, der Alkoholismus, der schlechte Bildungsstand, die zahlreichen Selbstmorde Jugendlicher und der sexuelle Missbrauch von Kindern.

Kleist ist ein bärenstarker und gleichzeitig sensibler Mann. Grönländer sind oft sehr aufrichtig und direkt. „Ich bin schon etwas nervös. Die Erwartungen an mich sind groß“, sagt der Regierungschef und lacht. Bei einem Rockkonzert zum Nationaltag tritt er kurz auf, die Jugendlichen sind begeistert. Kleist ist ihr Rockstar. Er soll tatsächlich auch singen können. „Mit der Unabhängigkeit und dem vielen Öl kann ja noch einiges schiefgehen, aber Kleist wird hier einiges umkrempeln. Er ist ein Grund für uns Jüngere in Grönland zu bleiben oder aus Dänemark zurückzukommen um unser Land aufzubauen“, sagt Freddy Christensen. Der 22-Jährige studiert Politik an der noch immer teils im Bau befindlichen Uni von Nuuk und arbeitet nebenbei an der Kasse im kleinen Kunstmuseum der Hauptstadt.

Nicht alle sehen die Zukunft positiv

Parlament und Regierungssitz sehen aus wie unscheinbare zweistöckige deutsche Neubaugrundschulen aus den 70er Jahren. „Grönland wird ein tolles Land, da bin ich mir sicher“, sagt Freddy. „Die Leute glühen vor Erwartungen und Hoffnungen“, sagt auch eine junge Frau im Flugzeug nach Grönland. Sie lacht und gibt etwas später zu, dass sie Arnakkuluk Kleist ist, die Tochter des Premiers. Eigentlich wollte sie das gar nicht sagen. Die Grönländer sind recht zurückhaltend.

Nicht alle sehen die Zukunft positiv. Auch wenn über 72 Prozent beim Volksentscheid für die Loslösung von Dänemark stimmten, waren 24 Prozent dagegen. Einer von ihnen ist der Fischer Harald Gram. Er trinkt schon ganz gerne etwas, wenn er von seiner harten Arbeit auf dem Meer zurückkommt. Aber auf die Unabhängigkeit trinken will er nicht. Er muss am Montag wieder früh raus. „Gier“, dieses Wort benutzt er oft. „Die Leute sind so gierig geworden. Es geht um Öl und Reichtum. Dabei wissen wir nicht einmal, ob wir an das Öl unter dem Eis rankommen. Mein Vater war schon Fischer, und hat mir beigebracht, dass man hart arbeiten muss für sein Geld. Ich arbeite hart. Das ganze Gerede, das hat doch keinen Boden. Wir sollten auf das setzen, was wir haben. Aber die neue Regierung ist wenigstens besser als die alte“, sagt er.

Angst vor der Unabhängigkeit

Auch der Chef der sozialliberalen Demokraten und Infrastrukturminister Jens Fredriksen, der als kleiner Koalitionspartner in die neue Regierung geht, ist nicht ganz so optimistisch. Seine Partei war die einzige, die gegen die Unterzeichnung des Autonomievertrages war. „Es ist nicht sicher, ob das Öl durch das nun vom Klimawandel schmilzende Eis erreichbar wird für die Ölfirmen. Es gibt da viele Wenns“, sagt er.

Fredriksen ist viel offener und eher bereit, die Probleme auf seiner Insel zu beschreiben als die früheren Regierungsmitglieder. „Wir wurden gewählt, um endlich unsere großen sozialen Probleme zu lösen. Aber dafür brauchen wir jetzt Geld und nicht erst in 25 Jahren. Mit dem Abkommen sei es unmöglich geworden, Dänemark um mehr Geld zu bitten. Aber die Leute haben mit dem Herzen gewählt und wir respektieren das“, sagt er. „Sehr viele Kinder bei uns gehen jeden Abend hungrig ins Bett, weil ihre Eltern Alkoholiker sind und deshalb kein Geld für Essen haben.“

„Ich habe etwas Angst vor der Unabhängigkeit. Ich weiß nicht, ob wir da wirklich zurecht kommen mit unseren 56 000 Einwohnern“, sagt die frischgebackene Abiturientin Nana Christensen. Am Freitag hatte sie ihre letzte Prüfung. Nun sitzt sie mit Großmutter Karoline, Eltern und Freunden beim Kaffee zuhause. Nachher will sie in den Nachtclub „Manhattan“ gehen, zusammen mit den anderen Abiturienten. Nana, die jetzt erstmal ein Jahr lang in Nuuk als DJane beim Radio jobben will, hat eine Abi-Mütze, wie sie alle dänischen Abiturienten tragen, wenn sie ihren Abschluss bekommen. Sie hat noch die dänische Flagge.

André Anwar[Nuuk]

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