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© dpa

Großbritannien: Klatsch und Lügen

Der britische Filmemacher Chris Atkins fütterte die Boulevardpresse mit erfundenen Geschichten.

Der britische Filmemacher Chris Atkins will, dass die Klatschzeitungen in seinem Land noch lustiger werden. Wenige Tage vor der Premiere seines Enthüllungsfilms „Starsuckers“ über Großbritanniens Promi-besessenen Journalismus gibt er im Internet Ratschläge, wie man erfundene Promi-Stories an Zeitungen verkauft. „Jahrzehntelang haben die Boulevardzeitungen mit erfundenen Geschichten ein Vermögen verdient. Nun seid ihr an der Reihe“, forderte Atkins auf der „Starsuckers“-Website seine Fans auf. Besonders leicht sei es bei der Zeitung „Express“, schreibt er. „Die sind chronisch unterbesetzt, so kann man sie leicht mit Unsinn füttern.“

Erfahrung hat Atkins genug. Für den Dokumentarfilm fütterte er Zeitungen zwei Jahre lang erfolgreich mit erfundenen Geschichten. Etwa die Story, wie die Bienenkorb-Frisur der Sängerin Amy Winehouse durch Funkenflug in Brand geriet. Gleich zwei Zeitungen, der „Mirror“ und der „Star“, hatten die Geschichte, die anschließend schnell um die Welt lief, abgedruckt. Oder die Story über Sarah Harding, Sängerin von „Girls Aloud“. Eine „Starsuckers“-Mitarbeiterin rief bei der „Sun“ an und gab sich als Frau eines Umzugsarbeiters aus. Ihr Mann habe bei Hardings Umzug eine Menge Bücher über Quantenphysik und Astronomie transportiert, sagte sie. Worauf die Sun in ihrer Klatschkolumne „Bizzare“ meldete: „Sarah ist ein Superhirn. Sie liest Bücher, die einem den Schädel platzen lassen.“ Die „Sun“ rundete die Geschichte mit einem erfundenen Zitat der „Quelle“ ab: „Sarah hat viel mehr im Schädel, als man ihr zugesteht. Sie ist clever und liest unglaublich viel.“

Vier Tipps gibt Atkins für fiktive Informanten: Die Geschichte muss lustig sein, aber nicht verleumderisch, denn Zeitungen haben Angst vor dem Gericht. Der Informant muss einen Namen haben oder erfinden und eine Telefonnummer angeben. Bis zu 600 Pfund bezahle die „Sun“ für Meldungen, die in der „Bizzare“-Kolumne landen. Für eine exklusive Promigeschichte, die über mehrere Wochen laufen kann, werde bis zu 80 000 Pfund (umgerechnet 90 000 Euro) bezahlt, sagt eine Reporterin der „News of the World“, die heimlich gefilmt wurde.

Vor zwei Jahren gewann Atkins für seinen Film „Taking Liberties“ über den Vormarsch des Überwachungsstaats unter der Labour-Regierung den Preis der britischen Filmakademie. Der Film zeigt, wie der „Orwell-Staat“ die bürgerlichen Freiheitsrechte untergraben hat. Nun untersucht „Starsuckers“, wie die britische Kultur vom Promi-Kult unterwandert wurde – angefangen mit den grundlegendsten Regeln journalistischer Sorgfaltspflicht.

In einem der größten britischen Zeitungsskandale war die „News of the World“ vor einigen Jahren angeklagt worden, weil die Zeitung über Privatdetektive in Handy-Mailboxen von Hunderten von Promis eingedrungen war – vermutlich auch die von Prinz William und Prinz Harry. Nach Angaben des „Guardian“ bezahlte die Zeitung an Betroffene über eine Million Pfund in außergerichtlichen Vergleichen.

Atkins entdeckte aber auch, wo die ethischen Grenzen verlaufen. Bei seinem Versuch, Informationen aus einer Kosmetikklinik über angebliche Schönheitsoperationen von Stars wie Hugh Grant zu verkaufen, waren die Zeitungen sehr viel vorsichtiger. Atkins filmte mit versteckter Kamera Verhandlungen, um zu sehen, wie weit die Zeitungen gehen würden. Aber medizinische Informationen gelten als tabu, dafür sorgt das Presserecht. Zeitungen wie „Sun“, „Daily Express“ oder der „Mirror“, der berichtet hatte, wie „Avril Lavigne in einem Nachtclub einschlief“, äußerten sich bisher nicht zu Atkins’ Enthüllungen. Doch nicht einmal der „Guardian“, der als erstes Blatt Einzelheiten aus seinem neuen Film brachte, konnte sich dem kritisierten Promi-Kult ganz entziehen: Starfotos verkaufen eben Zeitungen. So illustrierte der „Guardian“ die Geschichte durch ein Foto von Amy Winehouse auf der Titelseite. „Welche Ironie“, kommentierte Atkins.

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