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Panorama: Gruppenselbstmord: Sprung in die Hölle

Blumen, Kerzen und ein Foto kennzeichnen die Stelle, wo in der Nacht zum Sonntag der grausige Fund gemacht wurde. Es war gegen ein Uhr, als die Polizei gerufen wurde.

Blumen, Kerzen und ein Foto kennzeichnen die Stelle, wo in der Nacht zum Sonntag der grausige Fund gemacht wurde. Es war gegen ein Uhr, als die Polizei gerufen wurde. Am Fuße der 78 Meter hohen Göltzschtalbrücke im Vogtland, der größten Backsteinbrücke der Welt, einem Baudenkmal aus der Pionierzeit des Eisenbahnbaus, waren die Leichen von drei Jugendlichen entdeckt worden, die aus 78 Metern Höhe in den Tod gesprungen waren. Die Toten, drei Jungen im Alter von 14, 17 und 18 Jahren, stammen aus dem nahegelegenen Reichenbach. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen von einem Suizid aus.

Die Hintergründe des Freitodes der drei Jugendlichen geben Rätsel auf. Der Jüngste und der Älteste der drei waren an den Füßen gefesselt. Bekannt ist, dass die drei Kontakte zu satanischen Sekten unterhielten, eine direkte Sektenmitgliedschaft aber soll nicht bestanden haben. Zudem gilt ein Gruppenselbstmord in satanischen Sekten als eher "untypisch". Auch Alkohol oder Drogen waren nachweislich nicht im Spiel. Vage Hinweise enthält nur ein Abschiedsbrief, der am Ort des Geschehens gefunden wurde und in dem Unzufriedenheit mit dem Leben geäußert wird. Sie hätten sich ihr Leben anders vorgestellt, heißt es dort. Das spricht dafür, dass die Ursache des Freitodes eher im sozialen Umfeld der Jugendlichen zu suchen ist. Die Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt in alle Richtungen.

Die 150 Jahre alte Göltzschtalbrücke, die in der Zeit ihrer Erbauung als Wunderwerk galt, ist für zahlreiche Selbstmorde bekannt. Die genaue Zahl, wie viele Menschen hier bei einem Sprung in die Tiefe ihr Leben verloren haben, kennt niemand. In den Schulen wird vor der Brücke gewarnt, Schilder mit Warnhinweisen sind aufgestellt, der BGS führt regelmäßig Kontrollgänge durch. Vor einigen Jahren wurde sogar versucht, an der Göltzschtalbrücke einen Mord zu vertuschen. Die Täter hatte ihr Mordopfer am Fuße der Brücke niedergelegt, so dass die Polizei automatisch von einem Selbsmord ausging. Erst ein Zufall brachte die Ermittler noch auf die richtige Spur.

"Todeschats im Internet"

Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) zeigte sich über den Freitod der drei Jugendlichen bestürzt und sprach den Angehörigen sein Beileid aus. Es müsse herausgefunden werden, welch zerstörerischer Einfluss auf die Jugendlichen gewirkt habe, sagte Biedenkopf. Immer mehr Jugendliche interessieren sich nach Auffassung des Berliner Sektenexperten Matthias Pöhlmann für Satanismus. "Er ist Protestmittel und Anschauung zugleich", sagte Pöhlmann am Montag. Der Satanismus diene als Provokation gegen die Erwachsenen. Oft fänden sich hier Menschen wieder, die für ihr eigenes Leben keine Chance mehr sehen. Ihn überrasche nicht, dass Jugendliche ihre Situation als aussichtslos empfänden, sagte Pöhlmann, Referent bei der evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin. "Die jungen Menschen werden immer mehr Einflüssen ausgesetzt, wobei sie gar nicht alles verarbeiten können und irgendwann die Orientierung verlieren." Die Szene der deutschen Satanisten sei nur schwer zu überschauen. "Laut Schätzungen gibt es zwischen 3000 und 7000 Anhänger", sagte Pöhlmann.

Als problematisch sieht er "Todeschats" im Internet. Auf Webseiten tauschen sich Lebensmüde in Foren anonym über ihre Gefühle und Ängste sowie Möglichkeiten des Sterbens aus. "Hier entsteht durch die Eigenart des Mediums ein geschlossener Zirkel, der sektenartige Züge annimmt", befürchtet Pöhlmann. Trotz des tragischen Falls von der Göltzschtalbrücke warnt er vor Dramatisierung: "Man muss es nüchtern betrachten, darf es aber auf der anderen Seite nicht unterschätzen."

Ralph Hübner

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