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Zu viel Soul für die Nationalhymne? Hadise singt im Stadion.

© AFP

Hadise: Türkei streitet um schiefe Nationalhymne

Die Sängerin Hadise hat nach Ansicht vieler Türken die Nationalhymne musikalisch misshandelt. Das erregt nationalistische Gemüter und speist Ressentiments gegenüber Auslandstürken: Hadise ist in Belgien geboren.

Istanbul - Als Hadise in einem weißen Kleid und mit artig zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haaren vor ihr Publikum trat, wusste sie, dass ihr eine ganz besondere Ehre zuteil wurde. Die Sängerin durfte vor einem Spiel der türkischen Fußball-Nationalmannschaft im Stadion die Nationalhymne vortragen. Doch der Traum wurde für Hadise zum Alptraum. Schief und krumm habe sie gesungen, regen sich ihre Kritiker seit Tagen auf. In dem Streit schwingt die Verachtung vieler Türken für ihre Landsleute im westeuropäischen Ausland mit: Die in Belgien geborene Hadise könne nicht einmal richtig Türkisch, lautet ein Vorwurf.

Im vergangenen Jahr trat Hadise für die Türkei beim Eurovision Song Contest an

Dass Hadise singen kann, war vor dem Freundschaftsspiel der Türken gegen die Tschechische Republik im US-Bundesstaat New Jersey am vorigen Wochenende eigentlich Konsens in der Türkei. Schließlich vertrat die 24-jährige Sängerin, die mit vollem Namen Hadise Acikgöz heißt, ihr Land im vergangenen Jahr beim Eurovision Song Contest und schnitt mit dem vierten Platz auch sehr respektabel ab.

Doch dann kam Hadises Auftritt während der derzeitigen USA-Reise der türkischen Nationalmannschaft. In türkschen Stadien kommt die Hymne stets instrumental von einer Kapelle oder vom Band, doch in den USA entschied man sich für eine A-Cappella-Version, also eine reine Gesangsdarbietung ohne Begleitung. Dabei nennen die Türken ihre Hymne den „Unabhängigkeits-Marsch“, und entsprechend militärisch wird sie auch meistens vorgetragen.

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Zuviel Gefühl, nicht genug Tschingderassabumm

Allein der Verzicht aufs Tschingderassabumm dürfte so manchem strammen Nationalisten missfallen haben, der zu Hause in der Türkei bei der Live-Übertragung vor dem Fernseher saß. Als Hadise während ihrer gefühlsbetonten Interpretation dann auch noch hier und da ein paar an Blues und Soul erinnernde Töne einstreute und in den hohen Passagen der Hymne ein wenig ins Schwimmen geriet, war es ganz aus.

„So eine postmoderne Hymne habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört“, meinte der Schlagerkomponist und Musikproduzent Sezen Cumhur Önal. Kein anderes Land leiste sich eine solche „Schande“. Önals Kollege Garo Mafyan, der in den achtziger Jahren einige türkische Eurovisions-Beiträge schrieb, warf der Sängerin vor, alle musikalischen Regeln eines Marsches über den Haufen geworfen zu haben.

Mikrofon fast verschluckt

Scharfe Kritik an Hadise kam auch von einer Kollegin, Isin Karaca. Hadise habe genuschelt und das Mikrofon so nah an ihren Mund gehalten, dass sie es fast verschluckt habe, sagte sie. Aufgeschreckt von der Kritik, distanzierten sich hochrangige Vertreter des türkischen Fußballverbandes rasch von dem Auftritt. Das Ganze sei eine Idee der Amerikaner gewesen, gab Vize-Verbandschef Lütfü Aribogan zu Protokoll.

Hadise reagierte dennoch gelassen. „Ich habe meinem Land gedient, ohne dafür einen Gegenleistung zu erwarten“, erklärte sie in den USA. „Wenn das eine Schande ist, dann sage ich: Ja, ich bin eine Schande.“

Schwieriges Verhältnis zu den im Ausland lebenden Mitbürgern

Es geht aber nicht nur um die Frage, ob Hadise nun schräg gesungen hat oder nicht. In den Streit über Hadises Hymnen-Version mischen sich Töne, die mit dem nicht ganz einfachen Verhältnis der Türken zu ihren Mitbürgern in westeuropäischen Ländern wie Deutschland zu tun haben. Vielen Türken in der Türkei sind die Auswanderer aus dem armen Ost- und Nordanatolien, die ab den 1960er Jahren zur Arbeitssuche nach Europa gingen, bis heute einfach nur peinlich. Sie betrachten die Migranten als ungehobelte, wenn auch neureiche Bauern. In Witzen erscheinen die Türken in Westeuropa als eine Art türkische Ostfriesen. 

Dass Hadise als Tochter einer ostanatolischen Familie in Belgien zur Welt kam, spielte in der Debatte über ihren Auftritt in Internetforen eine große Rolle. „Was will die eigentlich hier?“ fragte ein Leser der Online-Ausgabe der Zeitung „Hürriyet“ in einem Kommentar. „Sie ist nicht einmal Türkin, ihr Türkisch ist schlecht, und von türkischer Kultur hat sie keine Ahnung.“ Ein Gleichgesinnter riet Hadise, sie solle nach Hause gehen – nach Belgien.

Diese Schmähungen wollten die Auslandstürken nicht auf sich sitzen lassen. Sinan Akerman, ein Türke, der nach eigenen Worten seit 21 Jahren im Ausland lebt, schrieb auf der „Hürriyet“-Website, die Türken in der Türkei machten der Auswanderer immer nur schlecht. „Dabei würden diese Menschen ihr Leben für ihr Land geben.“ Die Auslandstürken seien als kulturlos verschrien, tatsächlich aber „kultivierter als die meisten Leute in der Türkei“, hieß es in einem anderen Kommentar.

Unterstützung erhielt Hadise auch von eigenen Experten in der Türkei. Der Rundfunk- und Fernsehproduzent Izzet Öz etwa sagte, es sei nicht die Schuld der Sängerin, wenn die türkische Hymne etwas schief geklungen habe. „Der Unabhängigkeitsmarsch hat musikalische Macken“, sagte Öz. „Wir alle singen die Hymne deshalb eigentlich immer falsch."

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