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Panorama: Hässlichkeitssyndrom: Ganz schön krank

"Ich war immer überzeugt, ich sei der hässlichste Mensch der Welt - wie Frankensteins Monster. Die Schule hab ich abgebrochen, weil ich mich so hässlich fühlte.

"Ich war immer überzeugt, ich sei der hässlichste Mensch der Welt - wie Frankensteins Monster. Die Schule hab ich abgebrochen, weil ich mich so hässlich fühlte. Es war einfach zu schmerzhaft, mich anderen zu zeigen. Alle sagten mir zwar, ich sehe gut aus, aber ich dachte, die wollten nur nett sein. Es ist schwierig zu erklären, was für ein Horror diese innere Hölle ist ..." (Don)

Jeder, räumt die amerikanische Psychiaterin Katherine Phillips ein, fühlt sich mal hässlich. Mehr oder weniger. Aber wie Frankensteins Monster? Und so abgrundtief, dass man befürchtet, den Mitmenschen Schmerzen zu bereiten? Es scheint schon eine ganz andere Kategorie der Selbstverachtung zu sein, die Menschen wie Don das Leben schwer macht.

Das Empfinden, das sie quält, ist keine Laune, sondern chronisch. Und das kränkende Gefühl der eigenen Hässlichkeit greift grundlegend in den Alltag der Betroffenen ein. "Dieses Bedenken gegenüber dem eigenen Äußeren gerät in Konflikt mit Arbeit oder Schule, indem es die Betroffenen ablenkt und deprimiert", sagt Phillips. "Das geht so weit, dass sie nicht mit anderen in Kontakt treten möchten, weil sie das Gefühl haben, sie würden nicht gut aussehen." Nicht selten kommt es zu Panikattacken, Schweißausbrüchen, Atemnot.

Für Experten wie Phillips stellt der Psycho-Masochismus schlicht eine Krankheit dar: "Body Dysmorphic Disorder" (BDD) - das Hässlichkeitssyndrom. Die Psychiaterin glaubt, dass von 50 Menschen einer an diesem Syndrom leidet. Männer sind dabei in gleichem Ausmaß betroffen wie Frauen. Als berühmtester Fall von BDD gilt Michael Jackson, der über 30 kosmetische Operationen hinter sich hat.

Tatsächlich haben die Betroffenen alle Anzeichen einer Krankheit. Die Symptome erinnern am ehesten an eine Zwangsneurose. Statt sich alle fünf Minuten die Hände zu waschen, schauen die Patienten alle fünf Minuten in den Spiegel. Andere wiederum vermeiden Spiegel wie die Pest.

Auch die Psyche ist fest in der Hand obsessiver Gedanken: Mindestens eine Stunde am Tag beschäftigen sich die Patienten mit ihrem negativen Aussehen.

Damit nicht genug, haben die gleichen Medikamente, die bei Zwangsneurotikern helfen, doch auch positive Wirkungen auf Menschen mit dem Hasslichkeitssyndrom. Offensichtlich ist etwas mit dem Serotoninspiegel im Hirn nicht ganz in Ordnung. Zumindest helfen Substanzen, die diesen Hirn-Botenstoff wieder auf Trab bringen, wie beispielsweise das Modemedikament Prozac.

Doch die chemische Unterstützung allein reicht nicht aus. Im Fachbereich für klinische Psychologie an der niederländischen Reichsuniversität Groningen wurde deshalb kürzlich der Kurs "Wie sehe ich mich selbst? Umgehen mit BDD" ins Leben gerufen. "Jeder Aspekt des Äußeren kann ein Gegenstand zur Sorge werden", heißt es von den holländischen Psychologen. "Meist sind es die Nase, das Haar, die Haut und die Augen. Oder man findet sich zu klein, zu lang, zu weiblich oder zu männlich.

Kurse und Gruppentherapien sind nicht zuletzt deshalb hilfreich, weil sie die Isolation der Betroffenen brechen. Zum ersten Mal entdecken die vermeintlich Hässlichen, dass sie nicht allein mit ihren Gefühlen sind. Und vor allem: dass häufig nicht der Kopf hässlich ist, sondern die Hässlichkeit im Kopf sitzt.

Bleibt das Hässlichkeitssyndrom unbehandelt, kann das katastrophale Konsequenzen haben. "Ich habe mein ganzes Leben unter BDD gelitten, und manchmal war der Schmerz so groß, dass ich nicht mehr leben wollte. Ich habe sogar ein paar Mal versucht, mich wegen meines Aussehens umzubringen." (Jennie) Selbstmordgedanken sind beim Hässlichkeitssyndrom an der Tagesordnung.

Sogar zum Mord ist es schon gekommen: Im Mai 1999 betrat ein 26-jähriger Patient die Hals-Nasen-Ohrenklinik in Ludwigshafen und erschoss den Chefarzt. Der junge Mann hatte seit Jahren mit seiner angeblich krummen Nase gerungen, die er für die Misserfolge in seinem Leben verantwortlich machte. Nach einer ersten Operation hatten die Ärzte auf eine psychische Störung getippt und dem Mann zu Therapie statt Chirurgie geraten. Der junge Patient aber schlug den Rat in den Wind und legte sich noch einmal unters Messer. Die Operation veränderte zwar die Nase, nicht aber seine Krankheit. Schließlich rächte sich der Mann an dem Chef der Chirurgin, die die erste Operation durchgeführt hatte.

Dabei ist eine Therapie alles andere als aussichtslos. Don, der Mann, der sich lange für Frankensteins Monster hielt, meint heute: "Ich habe eine Behandlung bekommen und fühle mich definitiv besser. Die Obsession auf mein Gesicht hat sich gelegt, es ist einfacher, mit Menschen zusammen zu sein." Für geheilt hält er sich aber nicht. Die Psyche in den Griff zu bekommen, ist, wie es scheint, zwar die erfolgreichere Strategie, aber die mühsamere Operation.

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