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Panorama: Haie mögen keine Menschen

Nach Angriffen in Florida sagen Experten: Die Raubfische beißen zu, weil sie sich verhören

Vor der Westküste Floridas ist es in den vergangenen Tagen zu einer Reihe von Hai-Angriffen auf Menschen gekommen. Der erste und schwerste dieser Unfälle führte zum Tod einer 14-jährigen Amerikanerin, zwei weitere Teenager wurden nur Tage später zum Teil schwer verletzt. Eine Biologin und Haiexpertin vor Ort erklärte den tödlichen Angriff des Haies, der als Bullen- oder Stierhai identifiziert wurde, mit einem Missverständnis. Der Hai habe das auf einem Schwimmbrett paddelnde Mädchen vermutlich mit einer Schildkröte verwechselt.

Trotz gegenteiliger wissenschaftlicher Erkenntnisse hält sich dieser Verwechslungs-Mythos hartnäckig, selbst unter Hai-Experten. Jede Saison bekräftigen sie nach Hai-Attacken, dass die Tiere die Surfer, Schwimmer und Taucher mit Robben oder Schildkröten verwechselt hätten. Erich Ritter, führender Haiforscher und Leitender Wissenschaftler am Shark Research Institute an der Universität von Florida und Leiter der Pro-Hai-Initiative Sharkeproject, ist da anderer Meinung: „Ein Bullenhai würde einen Surfer nie für etwas anderes als ein unbekanntes Objekt halten.“ Seine Versuche mit dem Großen Weißen Hai vor Südafrika zeigen unter anderem, dass sich Haie eher einer Plastikbox nähern, die pulsierende Geräusche von sich gibt, als einer naturgetreuen Robbenattrappe. Nicht die Silhouette ist interessant, sondern das Geräusch. Deshalb sind Hai-Attacken keine Folge optischer Verwechslung. Ritters Erklärung des jüngsten tödlichen Unfalls ist eine gänzlich andere. Er vermutet, dass Beutefische unter oder um den Körper des Mädchens einen jagenden Bullenhai angelockt haben. Konkurrenzverhalten und Stress hätten dann die tödlichen Bisse ausgelöst.

Das Risiko, Opfer eines Haiunfalls zu werden, ist verschwindend gering. Haie sind vorsichtige Räuber, außerdem gehören Menschen nicht zu ihrem natürlichen Beutespektrum. Im Jahr 2004 beispielsweise wurden nach Angaben des „Global Shark Attack File“ – einer wissenschaftlichen Datenbank – weltweit 74 Hai-Unfälle registriert, zehn verliefen tödlich. 31 Unfälle meldeten die USA, elf davon vor Floridas Küsten. Bei einer geschätzten Zahl von jährlich über zehn Millionen Strandbesuchern allein in diesem Bundesstaat wird deutlich, wie selten Menschen durch Haie zu Schaden kommen. Im Mittelmeer hat es seit Jahren keinen Haiunfall gegeben. Allerdings muss auf Grund der Tatsache, dass immer mehr Menschen das Meer zu sportlichen oder Erholungszwecken aufsuchen, mit einer grundsätzlichen Zunahme von Mensch-Hai-Begegnungen gerechnet werden. Und das, obwohl die weltweiten Haibestände stark zurückgehen und viele Haiarten mittlerweile am Rand des Aussterbens stehen.

Den Menschen, denen beim Gedanken an Haie vor allem Horrorvisionen einfallen, steht eine seit Jahren wachsende Hai-Fangemeinde gegenüber. Vor allem Taucher und Schnorchler, aber auch Schwimmer und Surfer suchen in allen Teilen der Welt den engen Kontakt mit den eleganten Meeresräubern in deren natürlicher Umgebung. Sie betrachten die Haie nicht als Feinde, sondern als gleichberechtigte Lebewesen, mit denen sie sich das Meer in Küstennähe teilen. Mehrere Tausend Teilnehmer genossen beispielsweise im Rahmen der so genannten „Shark school“, die Erich Ritter seit 1992 veranstaltet, die Nähe zu verschiedenen Haiarten in der Karibik, die berüchtigten Bullenhaie eingeschlossen. Begegnungen dieser Art werden, neben speziellen Forschungsprojekten, auch in Zukunft dazu beitragen, das Verhalten von Haien zu verstehen und potenzielle Konfliktsituationen frühzeitig zu erkennen.

Elke Bojanowski

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