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Haiti: Das Hilfsteam in der Botschaft

Seit das Erdbeben Haiti heimsuchte, stehen die Telefone in der Botschaft an der Berliner Uhlandstraße 14 nicht still. Inzwischen helfen dort auch Landsleute mit, die normalerweise ganz anderen Berufen nachgehen.

Wer hier arbeitet, hält jetzt stundenlang durch. Ohne Pause. Bis tief in die Nacht hinein. Das Motto, das sie alle verbindet, steht auf einem rot-blauen Tuch an der Wand eines schlichten Büros im Berliner Bezirk Charlottenburg: „L’union fait la force“ (Gemeinsamkeit gibt Kraft). Es ist die Fahne von Haiti, und eigentlich stammt dieser Spruch aus dem Freiheitskrieg von 1804, als die Haitianer ihre Unabhängigkeit von Frankreich erkämpften. Doch im Januar 2010 hat der Appell zur Solidarität eine neue Bedeutung bekommen: Seit das Erdbeben ihre Heimat heimsuchte und die Telefone in der Botschaft Haitis an der Uhlandstraße 14 nicht mehr aufhören zu klingeln, helfen dort auch Landsleute mit, die normalerweise in Berlin ganz anderen Berufen nachgehen.

Zum Beispiel Lindsey P. (29), seit drei Jahren in Deutschland, Laborantin und mit einem Berliner verheiratet. Die schlanke Frau mit den müden Augen verstärkt das kleine Botschaftsteam, organisiert Medikamentensammlungen, hält Kontakte zu Hilfsorganisationen oder gibt verzweifelten Anrufern Tipps, über welche Telefonverbindungen man vielleicht eine klitzekleine Chance hat, mehr über vermisste Angehörige zu erfahren. Dabei hat sie an und für sich genug mit ihrer eigenen „Unruhe und Angst“ zu tun. Bisher weiß Lindsey P. nur, dass ihr Vater noch lebt. Von ihren drei Geschwistern und ihrer Mutter, die alle in Port-au-Prince zu Hause sind , hat sie seit dem Beben nichts mehr gehört.

„Meine Cousine, die in Kanada lebt, hatte mehr Glück als ich“, erzählt Lindsey. Sie kam per Telefon kurz durch und konnte sich gerade noch nach meinem Vater erkundigen.“ Dann brach die Verbindung zusammen. Nun versucht die junge Frau spätnachts manchmal ununterbrochen, sich von Berlin aus in die Karibik einzuwählen. Meldet sich ein Teilnehmer, dann nur für Sekunden. Etwas besser funktioniert der Austausch mit einem Freund in Port-au-Prince per Mail. Der stellt für sie Nachforschungen an. Doch er schreibt nur kurze Nachrichten. Länger traut er sich nicht, in seinem Internetcafé zu sitzen, das noch erhalten ist. Es könnte ja bei weiteren Erdstößen zusammenfallen.

Ebenso wie die anderen spontanen Helfer im sechsten Stock des marmorverkleideten Bürohauses in Ku’dammnähe hat Lindsey bei ihrem Einsatz in der „Ambassade d’Haiti“ allerdings nicht ständig Zeit, an ihre Angehörigen zu denken. „Wir müssen jetzt für alle da sein“, sagt Botschafter Jean-Robert Saget, der sich gleichfalls um Verwandte sorgt. Gut zwanzig Interviews gibt er am Tag, und unterdessen muss der kräftige Mann mit der akkurat gebundenen Krawatte sein Handy ausschalten, sonst würde es dauernd summen. Es leben zwar nur etwa vierzig Haitianer offiziell in Berlin, doch es gibt eine ganze Menge Freundschaftsbeziehungen zwischen Berlin und dem Karibikstaat. Deshalb so viele Anfragen. Aber selbst der Botschafter fühlt sich im Moment machtlos. Nur die weltweite Hilfsbereitschaft und Haitis Fahne geben ihm Mut. Darauf sind auch die Kanonen der einstigen Revolutionäre zu sehen. „Wir werden es wieder schaffen“, sagt Jean-Robert Saget.

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