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Panorama: Halbes Tempo, voller Ehrgeiz

Boris Becker und John McEnroe können immer noch nicht verlieren - ihr Schaukampf in Hamburg war gemächlich, aber verbissen wie alte Davis-Cup-Schlachten

John McEnroe sah aus, als wollte er den nostalgischen Trip durch eine Kostümierung ironisch unterstreichen. Sein milchweißes und langärmliges Hemd schmiegte sich eng um den sehnigen Körper – mit so etwas ist Oma wohl früher durch kalte Nächte gekommen. Warme Unterwäsche und aufgewärmte Emotionen: Das konnte ja heiter werden am Hamburger Rothenbaum, wo gut 10 000 Zuschauer auf die Tennisgrößen von einst warteten.

Wobei „einst“ nicht gerade zu Omas Zeiten war, sondern etwa beim Daviscup 1987, als Boris Becker in Hartford/Connecticut in sechseinhalb Stunden McEnroe niederrang und anschließend – wenig diplomatisch, aber mit dem Recht des jugendlichen Eroberers – mit einer deutschen Flagge durch die tobende Menge rannte. Ein Symbol für die Goldenen Zeiten des Tennis – aber die sind einstweilen, oder gar unwiederbringlich, vorüber. Genau deshalb waren sie in Hamburg: Beckers Firma BCI hat die Vermarktung des am Montag beginnenden „Masters“-Turniers übernommen, das bei einem weiteren Defizit vom Aus bedroht ist. „Tennis allein langt nicht mehr“, hat Becker erkannt, „wir brauchen zusätzliche Elemente.“ Also musste der Chef selbst noch einmal zum Schläger greifen und ein paar alte Feinde einladen: John McEnroe, dessen jüngeren Bruder Patrick, sowie den einstigen Lieblingsrivalen Michael Stich. „Remember Hartford“ lautete das Motto des zweitätigen Revivals, das am Freitag Abend zu Ende ging.

Was Becker unter „Showelementen“ versteht, muss ihn zuweilen selbst erschreckt haben. Natürlich nicht Nena, seine Mit-Ikone der 80er Jahre, die am Nachmittag charmant aber mit halbem Erfolg versuchte, das eher distinguierte Rothenbaum-Publikum in Wallung zu bringen. Wohl aber eine von Beckers Firma angeheuerte Stimmungskanone, die den Chef mit überschlagender Stimme mehrfach als „lebende Legende“ anpries. Becker, mit seinen 35 Jahren durchaus noch ohne Gehgestell unterwegs, versuchte zu mäßigen; ohne Erfolg. „Keine Cheerleader oder so was“ hatte Becker über das anvisierte Format des Unterhaltungsprogramms gesagt; und prompt hüpften die Cheerleader des örtlichen Footballteams ins Stadion, wo sie ein unbestreitbar jugendliches und elastisches Element beisteuerten.

Gerade im Vergleich mit Michael Stich (34) und Patrick McEnroe (36), die zum Auftakt recht beschaulich die Bälle schlugen. Günther Bosch, Beckers sportlicher Ziehvater, raunte etwas vom „anderen Tempo, das heute gespielt wird“. Freundlicher Applaus für die Nebendarsteller, der nervöse Stich hatte gewonnen.

Dass der erste Abend doch noch standesgemäß in „Standing Ovations“ endete, lag an einem Charakterzug von Boris Becker und John McEnroe, der ihnen schon früher sehr geholfen hat: Die Herren konnten einfach nicht verlieren, und sie können es immer noch nicht. Der 44 Jahre alte McEnroe gewann den ersten Satz mit 6:3 und zeigte in seinem weißen Schlafanzug hinreißende Schläge; Beckers Wut wuchs. Das nun doch begeisterte Publikum hat über ein Jahrzehnt geübt, seine Körpersprache und Gesten zu deuten, und sah die Steigerung kommen: mächtige Hiebe mit der Vorhand, 6:1 im zweiten Satz und 10:4 im abschließenden Tiebreak. „Wir haben beide nur an den Wettkampf gedacht“, erklärte Becker, „und wir haben gutes Tennis gezeigt, wenn auch einen halben Schritt langsamer als früher.“ Wer noch an der Ernsthaftigkeit des Unternehmens zweifelte, musste nur hören, wie McEnroe später minutenlang über vergebene Chancen räsonierte.

In verlangsamtem Tempo alte Rechnungen zu begleichen, mag eine seltsame Werbung für aktuelles Spitzentennis sein: unterhaltsam ist es doch. Montag beginnen am Rothenbaum die jungen Haudraufs, die viel schneller spielen, aber eben keine emotionale Geschichte haben. Mit alten Rechnungen gingen Becker und Stich übrigens die ganze Woche hausieren. In einer wahren Parforcetour durch Talkshows, PR-Termine und Sponsoren-Events offenbarten sie freimütiger denn je, dass sie sich eigentlich nie ausstehen konnten.

Raim, Witkop[Hamburg]

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