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Panorama: „Hass, Wut und Glück“

Zum Beginn des Kannibalen-Prozesses in Kassel schildert der Angeklagte ausführlich seine Tat und seine Fantasien

Wenn er geahnt hätte, wohin ihn seine Obsession führen würde – Armin Meiwes hätte irgendwann zu sich selbst wohl leise „Stopp" gesagt. Ein Mensch würde wohl noch atmen, und Meiwes seine sexuellen Fantasien als harmloses Rollenspiel durchleben. So aber sitzt der 42-jährige Computertechniker in Untersuchungshaft. Am Mittwoch hat vor dem Kasseler Landgericht sein Prozess begonnen, an dessen Ende eine lebenslange Gefängnisstrafe für ihn stehen könnte.

Kein normaler Prozess. Der Fall Armin Meiwes ist kein normaler Fall, er ist in der internationalen Kriminalhistorie bislang einmalig. Jeffrey Dahmer, Fritz Haarmann oder Joachim Kroll waren psychopathische Verbrecher, die ihre Opfer getötet und gegessen haben. Das ist selten, aber nicht ungewöhnlich. Das unglaubliche des Falles Meiwes ist, dass sein Opfer getötet und gegessen werden wollte. Ein sadistischer Mord? Eine strafmildernde Tötung auf verlangen? Oder nur ein Verstoß gegen die guten Sitten?

Meiwes ist Kannibale, ein Menschenfresser. Hört man ihn reden, dann stößt ihn wenig daran ab. Er hat sein Leben lang damit gelebt. Mal obsessiver, mal unterdrückter. Bis zu jenem Tag, an dem die Lust daran alle Herrschaft über ihn gewann.

Der Staatsanwalt findet dafür Worte, die in eigenartigem Kontrast zu seiner Anklage stehen. Meiwes soll wegen Mordes büßen, Mord und kein Totschlag, weil er sich an der Tat sexuell berauscht haben soll. Der Jurist spricht von „Schimpflichkeit" der Tat, von „Pietätlosigkeit". Sonst pflegen Ankläger bei solchen Angelegenheiten die Grausamkeit der Tat und ihrer Gesinnung zu verdammen.

Meiwes wirkt befreit. Ein grundanständiger, bescheidener Mann, so wirkt er, mit freundlichen Augen. Er hat den Prozess herbeigesehnt, um klar zu machen, dass er kein Mörder ist. Und schildert seine Fantasien. In der Pubertät hat es begonnen. Viel allein sei er gewesen, ein häufiges Gefühl der Leere. Der Vater hatte die Familie verlassen, seine älteren Brüder waren ausgezogen. Zurück blieben nur er und die Mutter.

Er hat sich einen jüngeren Bruder imaginiert, den er Franky nannte. Franky sollte immer bei ihm bleiben. Aber irgendwann reichte das nicht mehr. „Ich stellte mir vor, jemand sollte ein Teil von mir werden", erzählt er dem Gericht. Fasziniert hat ihn die Figur des Jungen „Sandy" in der US-Serie „Flipper", ein blonder, braun gebrannter Junge. So einer sollte es sein, den er essen wollte. Das erregte ihn, wenngleich er vor Gericht darauf beharrt, seine Menschenfresser-Fantasien seien nicht sexuell motiviert. Es ging darum, nicht allein zu sein, sagt er.

Meiwes ist bisexuell, hatte Kontakte mit Männern und Frauen. Ganz normal, sagt er, kurze Beziehungen, One-Night-Stands. Ein paar Monate war er verlobt. Mit Menschenfressen hatte er dann immer nichts im Sinn. „Wenn ich einen Partner hab, fürs Bett, dann habe ich ihn fürs Bett und nicht zum Schlachten". 1996 tat er einen für ihn verhängnisvollen Schritt – ins Internet. Im Elektro-Schrott hatte er ein Modem gefunden. „Anfangs habe ich gesurft wie jeder andere", erzählt er.

Bald aber nicht mehr. Nach dem Tod der Mutter drei Jahre später wurde er endgültig zum Besessenen. Nächtelang wühlte er sich durch den Cyberspace auf der Suche nach Menschen, die seine Neigungen teilten. Und die gab es. Auch solche, die gefressen werden wollen. „Hunderte sind es, ja Tausende", sagt er den ungläubigen Richtern.

Meist sind es nur Männer, die ihre Fantasien ausleben, aber nicht zum Ende führen wollen. „Junge, gut gebaute, sympathische Männer für reale Schlachtung und Verspeisung gesucht", so inseriert Meiwes als „anthropophagus". Es melden sich Menschen, die sich anpreisen. Mit fünf von ihnen trifft sich Meiwes. Aber es bleibt bei sexuell aufgeladenen Spielen, bei „Schlachtuntersuchungen", wie Meiwes es nennt, bei denen er die bevorzugten Teile seiner Opfer mit Tusche markiert. Ein junger Mann wollte nach Meiwes Schilderungen wirklich sterben – aber Meiwes wollte ihn nicht. Er war ihm zu dick, und er habe nicht ernsthaft genug gewirkt.

Dann meldet sich Bernd Brandes aus Berlin. Er meinte es ernst. Regelt seinen Nachlass, bricht alle Brücken hinter sich ab, verlässt spurlos die Stadt. Trifft in Kassel Armin Meiwes. Was dann am 10. März 2001 geschieht, berichtet Meiwes, als erzähle er von seine Urlaubserlebnissen. Mit jedem Detail. Es geht über Stunden, ein Hin und Her, einmal steht Brandes schon wieder rückfahrbereit am Bahnhof. Aber irgendwann, tief in der Nacht, nach Alkohol, Schlaftabletten und Hustensaft und einer grausamen Verstümmelung tötet Meiwes seinen „Freund", wie er sagt. Er ersticht ihn und fühlt „Hass, Wut und Glück gleichzeitig".

Der Ausgang des Prozesses, der auf 14 Verhandlungstage angesetzt ist, ist ungewiss. Fast vierzig Zeugen sind geladen, drei Wissenschaftler legen Expertisen vor. Wahrscheinlich müssen auch die Videos gezeigt werden, die Meiwes von seiner Tat gemacht hat. Denn die Ankläger wollen belegen, dass sein Geschlechtstrieb ihn beherrschte. Meiwes Anwalt dagegen will auf „Tötung auf Verlangen" plädieren, was mit maximal fünf Jahren Haft bestraft wird. Grund für solche Milde wäre die Rücksichtnahme auf die Konfliktsituation eines Täters, helfen zu wollen, aber töten zu sollen, etwa einen Sterbenskranken. Meiwes jedoch war nicht im Konflikt. Er war am Ziel, er verwirklichte einen Lebenswunsch. Die Staatsanwälte sagen zudem, Brandes sei nicht Herr seiner Sinne gewesen.

Das Verfahren wird fast zwangsläufig Rechtsgeschichte schreiben. Und es gehört schon jetzt zur bizarren Seite des Kommunikationsfortschritts. Dass ein derartiges Angebot auf eine derartige Nachfrage stößt, wäre ohne das Internet undenkbar gewesen. Jetzt ist es denkbar, doch es bleibt: Unfassbar.

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