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Hausboote: Ankerklausen

Sie sind Einsiedler der Großstadt: ohne festen Boden unter den Füßen und immer im Konflikt mit Behörden. Einige leben schon seit Jahrzehnten in Hausbooten: an der Havel, der Spree oder am Landwehrkanal. Zu Besuch in drei schwimmenden Wohnungen.

GERDA, 63, UND BERNHARD FÜHR, 72, SEELEUTE

CARSTEN BRAATZ, 31, KÜNSTLERAGENT

„Meine Oma hat mir das Geld für ein Hausboot gegeben, damit ich ein Dach über dem Kopf habe“, sagt Carsten Braatz. Bis sie zum Pflegefall wurde, lebte er mit seiner Großmutter in einer Wohnung in Reinickendorf. „Eigentlich wollten wir zusammen auf ein Schiff ziehen.“ Vor einem Jahr kaufte er sich in Mainz ein gebrauchtes Boot und schipperte damit bis in den Westhafen von Berlin. Von seinem „Agenturboot“ aus, das mit Gartenzwergen und Kunstpflanzen dekoriert ist, vermittelt er Schauspieler, Künstler und Filmcrews. „Für mich ist wichtig, dass mein Wohnbüro zentral liegt“, sagt er. Einen festen, ruhigen Platz mit Strom und fließend Wasser hat Braatz bisher nicht gefunden – vor vier Monaten blieb er mit einem Motorschaden an der Halbinsel Stralau liegen. „Manchmal kommen Tretbootfahrer vorbei und gucken mir ins Wohnzimmer.“

„Ich kann es an Land nicht aushalten“, sagt Bernhard Führ. Als 13-Jähriger heuerte der Berliner als Seemann an. Sieben Jahre später ging er zur Fremdenlegion. „Ich spreche Englisch, Französisch und Platt“, sagt er. Ein tätowierter Anker auf dem Unterarm zeugt von seiner Zeit auf See. „Eines morgens, nach einer Kneipentour auf der Reeperbahn, bin ich aufgewacht und mir tat der Arm weh. Da war der Anker da.“ Seit 22 Jahren lebt Führ mit seiner zweiten Frau Gerda auf einem Boot. „Die erste Ehe ist an der Seefahrt gescheitert. Während der Hochzeit bekam ich ein Telegramm von der Reederei und musste weg“, sagt Führ. Mit Gerda übernahm er 1985 das Restaurantschiff „Sabine II“ in Pichelswerder. Doch das Boot brannte ab. Jetzt wohnen die Führs auf der „Sabine III“. Sofaecke, Couchtisch, Satelliten-TV – von innen wirkt das umgebaute NVA-Schiff wie eine normale Wohnung. Nur die mit Spinnweben verhangenen Luken, die eisernen Türen und das leise Plätschern zeugen vom Leben auf dem Wasser. Die vier Zimmer teilen sich die Führs mit zwei Hunden, drei Katzen, dem Papagei Rico „und 45 Flöhen“, sagt Gerda und lacht. „Die Fische draußen sind auch zahm“, erzählt ihr Mann.

EDGAR SCHMIDT VON GROELING, 45, HOTELIER

„Im Winter muss man aufpassen, dass die Wasserleitungen nicht einfrieren“, sagt Schmidt von Groeling. „Manchmal hört man ein seltsames Klopfen. Das sind die Enten, wenn sie die Fliegen von der Bordwand picken.“ Seit 14 Jahren lebt der Architekt auf der „African Queen“ am Landwehrkanal, mitten im Tiergarten. „Eigentlich war das Hausboot eine Notlösung, als ich Anfang der 90er keine günstige Wohnung fand“, erzählt er. Heute lebt er gerne auf dem Wasser und betreibt das Hotelschiff „Eastern Comfort“ am Ostbahnhof. Weil das so weit weg ist, will Edgar Schmidt von Groeling die „African Queen“ jetzt verkaufen. Mitnehmen an die Spree kann er sie nicht. „Es ist fast unmöglich, einen Liegeplatz zu bekommen, weil so viele Behörden zuständig sind“, sagt er. Noch einmal möchte er den Bürokratie-Aufwand nicht betreiben.

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