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Erzählen von ihrer Rettung. Die Berlinerin Ilse Kischlat und ihr Lebensgefährte Helmut Buttkus aus Zehlendorf.

© Thilo Rückeis

Havarie vor der toskanischen Küste: "Costa"-Überlebende: „Nicht ohne meinen Mann“

Die Zehlendorferin Ilse Kischlat ließ nicht zu, dass ihr Lebensgefährte zurückbleiben sollte – Überlebende der „Costa Concordia“ erzählen, wie sie ihre Rettung vor der italienischen Küste erlebt haben.

Die Furcht sitzt noch immer tief. Ilse Kischlat läuft auch am Montag noch betont langsam über den Bürgersteig vor ihrer Wohnung. „Wissen Sie“, erklärt sie, „seit diesem Unglückstrip habe ich das Gefühl, es könne jeden Augenblick wieder etwas passieren.“ Die 75-jährige Zehlendorferin hat gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Helmut Buttkus (76) die Havarie des Kreuzfahrers „Costa Concordia“ erlebt. Bereits eine Woche lang waren sie mit dem Luxusliner von Savona bei Genua aus rund ums Mittelmeer unterwegs. Am Freitagabend, als das Schiff den Felsen rammte, wollten sie am Ende ihrer Traumreise noch einmal gemütlich zusammensitzen – doch dann hörten sie beide gegen 21.45 Uhr einen lauten Knall. „Ich bin ja nicht abergläubisch“, sagt Ilse Kischlat, „aber es war Freitag der dreizehnte.“

Helmut Buttkus stand zu diesem Zeitpunkt vor der „Schokoladenbar“ auf Deck 5, seine Partnerin hatte auf dem darunterliegenden Deck 4 gerade die Kabine abschlossen. „Die Costa Concordia“ legte sich plötzlich stark zur Seite“, erzählt Buttkus, Gitarren und eine Zither der Bar-Kapelle flogen auf ihn zu, er schützte sich hinter einer Säule, an der er sich festklammerte. „Das ist mehr als eine heftige Welle“, schoss es ihm durch den Kopf. Dann richtete sich das Schiff wieder etwas auf, die Lichter fielen aus, Notlampen beleuchteten spärlich die Szenerie. Er rannte wie viele andere zu seiner Kabine, nahm bewusst nicht den Lift, „falls der stecken bleibt“.

Ilse Kischlat erlebte derweil den ersten Ausbruch von Panik im Gang vor den Kabinen. „Mehrerer Russinnen schrien hysterisch“, erzählt sie. Um sie herum war ein heilloses Durcheinander. „Jetzt musst du funktionieren“, dachte sie und redete beruhigend auf ihre Nachbarn ein. Schließlich war sie nach ihrer Pensionierung noch jahrelang auf Kreuzfahrtschiffen als Reisebegleiterin tätig gewesen.

Von der Brücke kam die Durchsage in fünf Sprachen: „Bewahren Sie Ruhe.“ Es sei ein Motorschaden, man habe bald alles im Griff. Inzwischen war Helmut Buttkus angekommen, die Passagiere bangten eine halbe Stunde, viele drängten unterdessen noch zu den Kabinen, Frauen mit High Heels und schulterfreien Blusen, die beim Dinner überrascht wurden; Leute mit Badehose und Handtuch, die gerade im Pool waren. Doch die meisten kamen nicht mehr in ihre Kabinen und an ihre Sachen heran. Durch den Stromausfall fielen auch die elektronischen Türöffner aus sowie die Schlösser der Kabinentresore.

Die beiden Paare Birgit und Gerhard Looft aus Wilster sowie Telse und Herbert Rohwedder aus Nortorf.
Die beiden Paare Birgit und Gerhard Looft aus Wilster sowie Telse und Herbert Rohwedder aus Nortorf.

© dpa

Plötzlich erklang dann das internationale Notsignal – siebenmal ein kurzer Sirenenton, einmal lang. Da brach die Panik aus, es wurde gerempelt, Kinder schrien, Menschen versuchten verzweifelt, doch noch in ihre Kabinen zu kommen, weil sich darin die Schwimmwesten befanden. Dann rannten alle über die Notwege zu den Rettungsbooten und griffen sich Schwimmwesten, die von der Mannschaft verteilt wurden. Aber die reichten nicht. Ilse Kischlat: „Ich sah einige, die haben sich um Westen geprügelt.“

Schließlich erreichte das Zehlendorfer Paar auf Deck 4 ein erstes Rettungsboot. Aber das war schon „übervoll besetzt.“ Sie hasteten weiter zu einem zweiten Boot. Ilse Kischlat kam als eine der Letzten durch den schmalen Eingang in die Kabine des für etwa 100 Passagiere zugelassenen Bootes hinein. „Basta, basta!“ wehrten die Besatzungmitglieder ihren Partner ab. Doch sie schrie: „Nicht ohne ihn“. Da durfte er noch an Bord. „Das Boot war nach unserem Eindruck völlig überladen“, erzählt Buttkus. Und als die Matrosen begannen, „es dilettantisch zu Wasser zu lassen“, waren beide erneut schockiert, „wie chaotisch sich die Mannschaft verhielt“, wie schlecht sie für Notsituationen geschult war. Es gab niemanden, der Anweisungen erteilen konnte, und etliche der meist philippinischen Matrosen sprachen kaum Englisch.

Das Rettungsboot war schwer zu Wasser zu bringen, weil man es langsam über die geneigte Rumpfwand des schräg liegenden Schiffes hinablassen musste. Es waren die schlimmsten Minuten in Ilse Kischlats Leben. Das Boot hing schräg in der Luft, drohte dachüber ins eiskalte Wasser zu stürzen. Eine schwangere Frau im fünften Monat klammerte sich schreiend an ihr fest, Passagiere und Matrosen versuchten das Boot mit Stangen zu stabilisieren, bis es endlich, nach 15 Minuten, aus mehreren Metern Höhe ins Wasser plumpste. Dabei stürze Ilse Kischlat, eine Menschentraube fiel auf sie, zwei ihrer Rippen brachen. Eine halbe Stunde später erreichte das Rettungsboot die Pier der Insel Giglio. Mehr als tausend Gerettete drängelten sich schon am Ufer, etliche barfuß, nur leicht bekleidet. Bei vier Grad Lufttemperatur froren sie und stürzten sich auf die Decken und Pullover, die zahlreiche Inselbewohner heranschleppten. „Diese Menschen waren ausgesprochen hilfsbereit“, erinnert sich Helmut Buttkus.

Das Paar verbrachte die Nacht auf zwei Stühlen in einer offenen Kirche. Hunderte Passagiere lagerten am Boden. Bitterkalt war es in dem ungeheizten Gotteshaus, zumal die Türe ständig offen stand. Am nächsten Morgen brachte eine Fähre die Zehlendorfer zur Halbinsel Monte Argentario – und von dort fuhr man sie mit dem Bus nach Mailand. Dort kümmerten sich die beteiligten Reisebüros um tausende Flugumbuchungen und Sondertickets.

Für Gerhard und Birgit Looft aus Wilster, ihre Schwester Telse und ihren Mann Herbert Rohwedder aus Nortorf (Kreis Steinburg) hatte der Abend entspannt begonnen. Noch einmal schlafen, dann hieß es Abschied nehmen von der „Costa Concordia“. Nach einem genüsslichen Abendessen lockte eine Magico-Show im Theatersalon auf Deck 5. „Plötzlich spüren wir einen gewaltigen Rumms“, erzählt der 49-jährige Gerhard Looft. Der Zauberkünstler sei sofort von der Bühne gerannt, als das Licht ausging und sich die Notbeleuchtung einschaltete. Unruhe machte sich breit, das Schiff neigte sich. Die vier Norddeutschen hatten nur noch einen Gedanken: Hoch in die Kabine auf Deck 8, und dann weitersehen. „Nicht in die Fahrstühle“, schrie Looft seine Begleiter an, und so rannten sie dicht gedrängt mit all den anderen die nur mit Schummerlicht ausgeleuchteten Treppen hoch. In der Kabine angekommen – sie konnten sie noch betreten –, griff sich jeder flugs Pullover und Jacke, dann noch die Papiere, und schon ging es wieder die Treppen runter auf Deck 4.

Erst sollten sich Frauen und Kinder Plätze in den kleinen Beibooten suchen, dann stiegen die Männer in die Rettungsboote. Hier trennen sich die Wege beider Familien. Während die Männer bald ein rettendes Ufer erreichen, kämpfen Birgit Looft (45) und Telse Rohwedder (53) mit der Angst. Ihr Boot hat sich verhakt und lässt sich nicht von der Kette ablassen. Als sich das Schiff so weit neigte, dass beide mit den Füßen im Wasser standen, beschlossen sie zu springen.

Mit Rettungswesten auf dem Rücken liegend paddelten sie weg vom Schiff. Dann erschraken sie beinahe zu Tode, als sie von Rettern von hinten gepackt und aus dem Wasser gezogen wurden. Während die Ehemänner verzweifelt von einer Anhöhe Ausschau nach ihren Frauen hielten, wurden diese völlig durchnässt erst einmal in eine paar Kilometer entfernte Turnhalle gebracht. Über fremde Handys, mit denen sie ihre Kinder in Deutschland anriefen, schafften sie es irgendwann wieder zusammenzukommen. „Wir haben eine große Hilfsbereitschaft von der einheimischen Bevölkerung erfahren“, erzählt Gerhard Looft. In der Turnhalle wurden mitten in der Nacht Kleidung, Kaffee und etwas Essen organisiert. Mitarbeiter der deutschen Botschaft kümmerten sich bestmöglich um die verunglückten Deutschen.

In gefährlicher Mission haben Rettungsmannschaften ununterbrochen das ganze Schiff abgesucht, bevor sie gestern ihre Arbeit abbrechen mussten, weil die „Costa Concordia“ abzurutschen begann. Die Suchtrupps, bestehend aus je zehn Feuerwehrleuten oder Mitgliedern der Küstenwache mit Spezialausbildungen unter anderen als Bergsteiger und Höhlentaucher, arbeiteten sich italienischen Berichten zufolge auf Strickleitern am riesigen glatten Schiffsrumpf hoch wie an einer Gletscherwand. Immer wieder hörte die Truppe Geräusche, die ein Klopfen sein konnten. Da das Wasser von innen wie von außen gegen die Bordwände schlägt, seien die Zeichen nicht immer klar zu identifizieren, erläutert in „la Repubblica“ der Einsatzleiter Alberto Boanini. Im Fall des mit einem gebrochenen Bein geborgenen Schiffsstewards „brauchten wir drei Stunden, bis wir ihn fanden“. Die Teams arbeiteten sich im Innern des Schiffsrumpfs Kabine für Kabine durch, ihrerseits durch Seile gesichert, um auf den schlüpfrigen, schrägen Korridoren des Wracks nicht abzurutschen. Wo Wasser ist, müssen die Taucher ran, die stets mit einem Seil verbunden sind, das ihnen den Rückweg ermöglicht. Wo Wasser in den Kabinen ist, „sind wir völlig blind“, erklärt Boanini: Dann müssen sie sich von der Kommandoeinheit draußen per Funk führen lassen: „Die, die dort die Karten des Schiffs lesen, sagen uns, ob wir nach links oder rechts müssen und was uns erwartet, wenn wir eine Tür eingeschlagen haben.“ Die Pläne des riesigen Schiffs hat die Reederei zur Verfügung gestellt.

Der Zehlendorfer Helmut Buttkus schaute Montag früh seine Mails durch, ob die verantwortliche Reederei „Costa Crociere“ bereits Ersatz für das verlorene Gepäck anbietet. Stattdessen fand er zwei Werbemails der Linie – für Kreuzfahrten im nächsten Sommer.

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