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Gestörte Idylle. Eine Maschine setzt über dem Örtchen Longford zur Landung in Heathrow an.

© REUTERS

Heathrow wird ausgebaut: London will vorerst keinen Großflughafen

London wird statt eines Großflughafens lieber neue Landebahnen in Heathrow bauen – das gibt Ärger. Die Bevölkerung im Westen der Stadt wehrt sich gegen einen Ausbau.

In London wurden gestern die ersten Salven in einem neuen Startbahn-Krieg abgefeuert, der Massenproteste mobilisieren und die politischen Parteien vor der Wahl 2015 ins Kreuzfeuer der Meinungen stellen wird. Ohne Wenn und Aber hat die „Flughafenkommission“ in einem Zwischenbericht entschieden, dass London bis 2030 eine zusätzliche, einsatzbereite Startbahn benötigt. Bis 2050 werde vermutlich noch eine Startbahn gebraucht.

Nun beginnt erbitterter Streit um das Wo und Wie. Umweltschützer und Anrainer stehen gegen Unternehmer und Wirtschaftsverbände, die schon lange über Londons zu knappe Kapazitäten klagen – London hat mit 125 Millionen Passagierbewegungen im Jahr den größten Flugreisemarkt der Welt. Es stehen aber auch Pragmatiker, die auf eine billige und risikoarme Lösung drängen, gegen Visionäre wie Londons Bürgermeister Boris Johnson, der den gordischen Knoten auf einen Schlag mit dem Bau eines futuristischen Großflughafens in der Themsebucht lösen will.

Drei Vorschläge nahm die von dem Wirtschaftsprofessor Howard Davies geleitete Kommission in die engere Wahl: Der Bau einer zweiten Startbahn in Gatwick, oder zwei Lösungen in Heathrow, dem Flughafen mit den meisten Passagierbewegungen der Welt und dem großen Gewinner des Berichts. Eine „Startbahn Nordwest“ würde sich Richtung Windsor Castle, den Wohnsitz der Queen heranschieben. Alternativ könnten die bestehenden drei Kilometer Startbahnen auf sechs Kilometer verlängert und gespalten werden: Auf jeder Startbahn könnten Flugzeuge gleichzeitig starten und landen. Dagegen schob die Kommission „Boris Island“ auf die lange Bank. Bis Ende 2014 soll entscheiden werden, ob ein neuer Großflughafen überhaupt machbar ist und in die engere Wahl kommen kann.

Laut der Kommission würde der von Boris Johnson gewünschte neue Großflughafen östlich von London am Südrand der Themsebucht 112 Milliarden Pfund kosten, fünfmal so viel wie andere Lösungen. Neben dem Flughafen müssten Eisenbahn- und Straßenzubringer gebaut und das wirtschaftliche Umfeld, das sich im Westen Londons um den Flughafen Heathrow aufgebaut hat, ans andere Ende der Stadt verlegt werden. Gerüchten zufolge wurde der Johnson-Vorschlag nur deshalb noch nicht ganz verworfen, weil Premier David Cameron bei einer Geheimsitzung mit Davies intervenierte. Der Premier ist um den Frieden in seiner Tory-Partei besorgt.

Johnson gibt sich nicht geschlagen: „Es wäre Wahnsinn, Heathrow auszubauen. Wir würden ein Monster in Westlondon schaffen“, sagte er. Dem Bürgermeister zufolge steht London vor einer historischen Entscheidung: „Entweder wir füttern das Biest Heathrow, einen Flughafen am falschen Platz, oder wir schaffen mit Mut und Fantasie eine Lösung, die zukünftige Generationen zufrieden stellt.“

Der Streit um eine neue Startbahn in Heathrow brachte schon vor der letzten Wahl 2010 alle Parteien in Bedrängnis. „Ohne Wenn und Aber, keine dritte Startbahn“, hatte Cameron versprochen – Umweltgruppen wie Greenpeace halten ihm das nun wieder vor. Aber nicht nur Tories und Liberaldemokraten versprachen den totalen Baustopp für Heathrow. Auch der heutige Labourchef Ed Miliband, damals Umweltminister, drohte mit Rücktritt, wenn eine dritte Startbahn genehmigt werde. In ganz Westlondon stehen Bürgerinitiativen bereit. Ein BBC-Seher witzelte per SMS, der Heathrow-Ausbau wäre, „wie wenn man einen Düsenjetmotor in einen alten Mini einbaut“.

Nun scheint sich das Rad für Heathrow wieder zu drehen und das politische Überleben von Abgeordneten mit Wahlkreisen in den Einflugschneisen hängt von der Flughafendebatte ab. „Jeder, der dem Kommissionsvorsitzenden Howard Davies zuhört, vernimmt die Worte des Flughafenbetreibers Heathrow“, schimpfte der Tory-Abgeordnete Zac Goldsmith aus dem Wahlkreis Richmond, wo die Flugzeuge im Minutentakt über die Häuser donnern. Er drohte bereits mit Rücktritt und Aufgabe des Wahlkreises. Anders als in Deutschland werden die Londoner Flughäfen alle von Privatunternehmen betrieben und finanziert. Jede Lösung, die von der Kommission vorgeschlagen wird, muss deshalb auch wirtschaftlich sein. Die größten Anteilseigner an der privaten „Heathrow Airport Holding“ sind die spanische Ferrovial mit 25 Prozent und der Staatsfonds von Katar mit 20 Prozent.

Zwar haben Briten keine grundsätzliche Angst, dass Großprojekte schiefgehen könnten, wie das beim Berliner Flughafen BER der Fall ist. Architekten wie Norman Foster haben überall in der Welt erfolgreich Großflughäfen gebaut. Sie bewiesen ihre Kompetenz mit Infrastrukturvorhaben wie Olympia 2012, der Jubilee Line oder dem Bau der neuen Crossrail-Untergrundbahn durch London, derzeit Europas größte Baustelle. Aber Briten scheuen Kosten und wirtschaftlichen Größenwahn. Das schlägt sich auch in Umfragen nieder. Nur 13 Prozent unterstützen den „Boris-Island“-Plan. Gleichzeitig wollen nur 12 Prozent, dass Heathrow expandiert. Die Wähler wollen also, dass sich gar nichts ändert. Dann würde Heathrow irgendwann kollabieren. Das wollen sie wohl auch nicht.

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