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Düstere Stimmung. Organisationschaos, Mobbing, Eifersucht, Vertuschung: Die jüngsten Enthüllungen lassen den Vatikan in keinem guten Licht erscheinen. Foto: Reuters

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Panorama: Heilige Indiskretion

Ein Buch mit vertraulichen Dokumenten von Papst Benedikt XVI. sorgt für Furore im Vatikan.

Enthüllungen über „geheime Machenschaften“ im Vatikan gibt es schon immer: Misstrauen, Intrigen und Todesfälle haben hunderte Romanautoren inspiriert – nicht nur Dan Brown. Doch was seit etwa einem halben Jahr in kontinuierlichem Tröpfeln an die Öffentlichkeit sickert, ist neu: Es sind Originaldokumente unmittelbar vom Schreibtisch des Papstes. Sie belegen heftige Streitigkeiten in der Kurie, Organisationschaos, Mobbing und Eifersucht und das alles – ganz kirchenunüblich – in zupackender Sprache, ohne Verbrämung mit religiösen Floskeln.

Italienische Zeitungen veröffentlichen seit Jahresbeginn, von Leuten aus dem Vatikan gezielt munitioniert, immer wieder einzelne Dossiers. Das Buch des 43-Jährigen Fernsehjournalisten Gianluigi Nuzzi setzt allem die Krone auf: Unter der Briefanrede „Sua Santità“ („Eure Heiligkeit“) versammelt es auf gut 300 Seiten aktuelle Dokumente und Briefwechsel, die außer Benedikt XVI. und seinem Privatsekretär Georg Gänswein nur wenige Menschen in der Hand gehabt haben können.

Wer sie ihm zugespielt hat, verrät Nuzzi nicht. Der Vatikan meint, in Paolo Gabriele, dem Butler des Papstes, den Verräter gefunden zu haben. Der 46-Jährige sitzt in Untersuchungshaft. Nuzzi aber behauptet, er habe mehrere Informanten gehabt: „eine Gruppe von Vatikanbürgern und -beschäftigten“, die „unter Gefahr für Arbeitsplatz, persönliche Beziehungen und Leben“ das strenge Bürogeheimnis verraten hätten. Sie fühlten sich „frustriert, weil machtlos gegenüber widerrechtlichen Übergriffen, persönlichen Interessen und unterdrückten Wahrheiten“.

Es beginnt mit Mobbing. Im Sommer 2009 druckte ein italienisches Berlusconi-Blatt eine ominöse „Gerichtsakte“, die gegen einen der mächtigsten Männer des kirchlichen Medienwesens gerichtet war: Dino Boffo, Chefredakteur der Bischofszeitung „L’Avvenire“, wurde homosexueller Übergriffe beschuldigt. Binnen weniger Tage war Boffo abgesägt. Genauso schnell stellte sich heraus, dass das Dokument vor der Veröffentlichung den Vatikan mindestens passiert hatte, wenn es nicht gleich dort verfasst worden ist.

Der Journalist Gianluigi Nuzzi liefert jetzt erstmals die Briefe, in denen Boffo dem päpstlichen Privatsekretär seine Ermittlungen in eigener Sache zuspielt. Demnach war es Gian Maria Vian, der Chefredakteur der Vatikanzeitung „L’Osservatore Romano“, der den Schmähbrief an die Berlusconi-Zeitung gegeben hat; „Vian konnte aber damit rechnen, den Willen seines Chefs zu interpretieren.“ Und damit sind wir direkt bei der Figur, um die sich die meisten vatikaninternen Konflikte heute drehen: Bei Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, dem „Zweiten Mann“ im Kirchenstaat.

Nuzzi veröffentlicht die Briefe an den Papst, in denen sich Kurienbischof Carlo Maria Viganò „auf Knien“ gegen eine Beförderung wehrt: Er soll Apostolischer Nuntius, Botschafter in Washington werden. Viganò allerdings sieht sich strafversetzt. Von Bertone 2009 als Verwaltungsreformer in die Büros der Vatikanstadt geschickt, habe er „ein ungeahntes Desaster“ vorgefunden. „Verschwendung, Korruption, Unfähigkeit, Eigeninteressen, Chaos“ habe er aufgedeckt, dazu ein Finanzloch von 7,8 Millionen Euro; bei seiner Säuberung hätten ihn die alten Kräfte „beständig boykottiert“, schreibt Viganò.

Als sich Viganò nach knapp zwei Jahren genügend Feinde gemacht hatte, wollte offenbar Bertone selbst den Unbequemen loswerden. Er lobte Viganò in die USA weg. Und alle Briefe an den Papst, selbst eine Privataudienz, im April 2011, halfen Viganò nicht. Dafür hielt sich Bertone im Sattel, auch wenn namhafte Kardinäle – unter ihnen der Wiener Erzbischof Christoph Schönborn – den Papst schon 2009 drängten, Bertone zu entlassen. Benedikt XVI., schreibt Nuzzi, habe darauf nur eisig geantwortet: „Der Mann bleibt, wo er ist.“

Aus dem ihm zugespielten Archiv eines verstorbenen Kurienbeamten hat Gianluigi Nuzzi vor drei Jahren ein Buch über die dubiosen Finanzgeschäfte der Vatikanbank IOR bis in die neunziger Jahre hinein geschrieben („Vatikan AG“). Damit hat er sich offenbar bei den Dissidenten in der Kurie empfohlen – bestochen, versichert Nuzzi, habe er niemanden.

Nuzzi liefert auch die apokalyptische Warnung des kürzlich gefeuerten Präsidenten der Vatikanbank Ettore Gotti Tedeschi direkt an den Papst: In der aktuellen Weltkrise würden „die noch nicht christianisierten Länder reich, während die christlichen verarmen – mit Folgen für die Finanzen der Kirche“.

Nuzzi druckt die Nummer des Zehntausend-Euro-Schecks, mit welchem ein italienischer Fernsehmoderator um eine Privataudienz bei Benedikt XVI. bat; er belegt das Wettrennen diverser Automarken beim Versuch, dem Papst einen Wagen „nach seinen Bedürfnissen“ spenden zu dürfen. Bei Nuzzi steht jetzt auch – von Benedikts eigener Hand – zu lesen, wie sich der Papst über Angela Merkel geärgert hat. Im Januar 2009 hatte er die vier Bischöfe der reaktionären Piusbruderschaft rehabilitiert, unter ihnen den Holocaustleugner Richard Williamson. Die Bundeskanzlerin vermisste daraufhin „von Seiten des Papstes und des Vatikans“ die „sehr eindeutige Klarstellung, dass es hier keine Leugnung geben kann.“ Des Papstes Botschafter in Berlin hatte sich gegen Merkels Kritik zwar gewehrt, das war aber dem Papst „zu schwach“. In einer Notiz an seine Chefpolitiker schreibt Benedikt: „Nötig gewesen wäre ein klares Wort des Protests gegen diese Einmischung in Fragen der Kirche.“

Nuzzis Buch, das in Kürze auch auf Deutsch erscheinen soll, ist teilweise höchst amüsant: Jener Bericht an den Papst etwa, in dem das Staatssekretariat nach Benedikts Deutschlandreise im Herbst 2011 die protestantischen Reaktionen zusammenfasst. Voller Empörung zitieren Benedikts Männer den Satz der Vertreterin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Katrin Göring-Eckardt, beim evangelisch-katholischen Treffen in Erfurt „haben wir Protestanten den Altersdurchschnitt eindeutig gesenkt“. So etwas weist Rom als „beißende Bemerkung“ zurück.

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