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Panorama: Heiße Spur im Fall Madeleine

In Portugal verdächtigt die Polizei einen Briten, mit dem Verschwinden der Vierjährigen zu tun zu haben

Männer mit weißen Schutzanzügen hasten auf das Gelände. Millimeter für Millimeter suchen sie dann im Haus und im Garten nach Hinweisen auf die vierjährige Madeleine. Uniformierte Polizisten sperren die Villa „Casa Liliana“ ab. Hier, hinter dem Polizeikordon, befindet sich offenbar eine erste heiße Spur im Fall des britischen Mädchens, das vor zwei Wochen aus dem nahe gelegenen Hotelappartement ihrer Eltern entführt wurde. Ihre zweijährigen Geschwister Sean und Amelie fanden die Eltern, die zum Essen ausgegangen waren, friedlich schlafend in ihren Betten vor.

Ein 33 Jahre alter Brite, der in dem Haus mit seiner Mutter lebt, ist ins Visier der portugiesischen Polizei geraten und wird nun von den Ermittlern als „Verdächtiger“ bezeichnet, aber nicht festgenommen. Die Polizei war angerückt, nachdem eine britische Reporterin die Polizei auf das „merkwürdige Verhalten“ des Mannes aufmerksam gemacht hatte. Der Engländer sei immer wieder am Tatort, dem „Ocean Club“ in dem portugiesischen Algarvedorf Praia da Luz aufgetaucht und habe gegenüber Journalisten erzählt, er habe in Großbritannien eine kleine Tochter, die Madeleine sehr ähnlich sei.

Nach stundenlangem Verhör und akribischer Suche auf dem Grundstück verließen die Ermittler das Haus mit Säcken und Kartons, in denen sich offenbar Kleidung befand, die untersucht werden soll. Zuvor war auch der Pool geleert worden, um auf dem Grund des Schwimmbades Spuren zu suchen. Die Familie des Mannes, welcher der Polizei in den ersten Tagen sogar als Übersetzer zur Hand gegangen war, beschwor die Unschuld des Verdächtigen. Am Abend des 3. Mai, als Madeleine verschwand, sei er zusammen mit seiner Mutter zu Hause gewesen.

Bisher waren die Ermittler davon ausgegangen, dass die kleine Madeleine von ihren Kidnappern bereits in ein anderes Land verschleppt wurde. Auch von einem internationalen Pädophilenring war die Rede. Im Dorf Praia da Luz und Umgebung hatte ein riesiges Polizeiaufgebot tagelang jeden Stein umgedreht, ohne eine Spur zu finden. Seit dem Verschwinden des Mädchens vor zwei Wochen ist in dem Urlaubsort an der portugiesischen Atlantikküste nichts mehr wie zuvor. In dem verschlafenen Fischerdorf, parkt eine Flotte von Übertragungswagen britischer Fernsehanstalten vor dem vermeintlichen Tatort. Als Gerry McCann, der Vater Madeleines, mit seiner Frau Kate aus dem Hotel tritt, richten sich Dutzende Kameras auf sie. Fast täglich haben sie sich seit „Maddies“ Verschwinden in ihrer Verzweiflung an die Öffentlichkeit gewandt. Solange Madeleine nicht wieder auftaucht, sagt Kate mit zitternder Stimme, „können wir nicht einmal daran denken, nach Hause zurückzukehren“. Gerry dankt für die Unterstützung und finanzielle Hilfe, die wie „hier und aus aller Welt“ erhalten haben. „Das macht uns stark.“ Und die beiden machen sich Hoffnung und Mut mit den Worten: „Solange wir keine konkreten Anhaltspunkte für das Gegenteil haben, glauben wir, dass Madeleine sicher ist und versorgt wird.“ Auch wenn die beiden der Polizei „voll vertrauen“, haben sie beschlossen, die Öffentlichkeit Europas für die Suche nach ihrer Tochter zu mobilisieren. Ihr Hilferuf findet vor allem in Großbritannien riesigen Anklang, wo nicht nur die Boulevardzeitungen seit Tagen auf der Titelseite über Madeleine berichten. Ein Spendenaufruf in England brachte bisher 3,6 Millionen Euro zusammen. Das Ärzteehepaar will mit dem Geld einen Hilfsfonds gründen, um private Ermittlungen zu finanzieren. All diese Aktionen dienten dazu, „Madeleine schneller zu uns zurückzubringen“.

Hunderttausende Poster und T-Shirts mit dem Foto Madeleines wurden vor allem in Portugal und Großbritannien unter die Bevölkerung gebracht. Eine Ketten-E-Mail von Madeleines Tante Philomena McCann durchrast die virtuelle Welt mit der Suchbotschaft: „Wir glauben nicht, dass Madeleine sich noch in Portugal befindet, und wir müssen ihr Bild und ihre Geschichte so schnell wie möglich durch ganz Europa tragen.“ Vor dem „Ocean Club“ hängen an einem Zaun Fotos der verschwundenen Madeleine. Unbekannte legten Plüschtiere mit der Botschaft „Bringt sie zurück“ ab. Gelbe Bändchen flattern im Wind als Zeichen der Hoffnung.

Derweil fragen sich nicht wenige Menschen in Portugal, ob das Verschwinden eines einheimischen Kindes ähnlich viel Wirbel ausgelöst hätte. Die allgemeine Antwort auf der Straße lautet: „Nein.“ Im portugiesischen Fernsehen erinnert Filomena Texeira an ihren elfjährigen Sohn Pedro, der vor neun Jahren plötzlich von der Bildfläche verschwand und nie mehr gesehen wurde. Damals hätten nur „eine Handvoll Polizisten“ nach dem Kind gesucht.

Ralph Schulze[Faro]

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