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Panorama: Hero und Leander sind nicht ertrunken

Die dramatische Rettung der Gemälde im Dresdner Zwinger – Berliner Museen schickten sofort 15 Entfeuchter

Von Moritz Schuller, Dresden

So standen die Kuratoren noch nie vor ihren Bildern: Im dunklen Keller des Depots, bei Kerzenlicht, knietief im stinkenden Wasser. „Bilder tragen wir oft", sagt Uta Neidhardt, „aber nicht so." All die Rembrandts und Raffaels und Tintorettos, sie wurden einfach dem Nächstbesten in die Hand gedrückt. „Da kann man nicht fragen: Wer sind Sie eigentlich? Da waren Leute dabei, die ich noch nie gesehen hatte", sagt sie. Dem einen oder anderen rief sie noch hinterher, wie er die kostbaren Bilder tragen solle, nicht über der Schulter, sondern mit den Armen am Rahmen. An mehr war nicht zu denken. Auch ein Rubens ist so in Sicherheit gelangt und lehnt nun in der ersten Etage, in der Galerie der Holländischen Malerei, lässig an der Wand: „Hero und Leander ertrinken in den Fluten." Das ist das Bild zur Katastrophe, sagt Uta Neidhardt.

Früh am vergangenen Dienstag war Alarm ausgelöst worden im Dresdner Zwinger, wo sich eine der bedeutendsten Sammlungen Alter Meister befindet. Die unterirdischen Depots des Museums begannen voll zu laufen. Die Weißeritz, nicht die Elbe, hatte den Zwinger-Innenhof und die Keller der Semperoper geflutet. Auch Uta Neidhardt, die Kuratorin für die holländische und flämische Malerei, war gekommen, um zu retten, was zu retten war. Auch sie stand in der Brühe, die so dreckig war, dass das Museum seine Mitarbeiter gegen Hepatitis impfen ließ. In kürzester Zeit evakuierten sie so 4000 Gemälde, doch irgendwann, als das Wasser immer weiter stieg, muss ihnen bewusst geworden sein, dass sie fünf Bilder aus dem voll laufendem Depot nicht mehr würden retten können: Die Werke sind so groß, dass sie nur der Lastenaufzug transportieren kann und der war ausgefallen. Im ganzen Haus gab es keinen Strom. In der Dunkelheit hängten die Helfer die fünf Bilder, darunter Paolo Veroneses „Raub der Europa", noch unter die Decke. Dann brachten sie sich selbst in Sicherheit, „um fünf sind wir raus", sagt Uta Neidhardt.

Am Abend ging die Kuratorin nach Hause, in dem Gefühl, alles für die Bilder getan zu haben, was möglich war. Die Lage entspannte sich, der Innenhof des Zwingers trocknete auch wieder aus. „Man dachte, es hätte sich entspannt. Doch dann kam alles wieder." Am Freitag stieg dann die Elbe und damit die Sorge um die fünf verbliebenen Werke im Depot. Am Vormittag kletterte der technische Leiter des Museums noch einmal hinab, das Wasser stand ihm bis zum Bauch, doch die Bilder waren trocken.

Dann stieg die Elbe weiter und nun hieß es, den Wasserstand im Depot durch Abpumpen von der Decke fern zu halten. Zweimal, erzählt Uta Neidhardt, entzog der Krisenstab dem Zwinger die Pumpen, und zu allem Überfluss begann das benachbarte Hotel Kempinski, seine Keller auszupumpen – direkt in den Innenhof des Zwingers. Der Kampf ging weiter.

In Dresden denke man immer an Hochwasser, sagt Uta Neidhardt, dennoch kam die Überflutung der Depots überraschend. Schließlich waren sie erst 1992 unter dem Theaterplatz völlig neu gestaltet worden. Mit Kleinlastern konnte man nun direkt in die Lager hinunterfahren und die Außenmauern bestanden aus einer geschlossenen Betonwanne. Die sei wasserdicht, hieß es damals. Nur nicht beim Wasser der Weißeritz. „Keiner hat daran gedacht, dass das Wasser von hinten kommt", meint Neidhardt.

Seit Samstag fällt in Dresden das Wasser und hinterlässt eine feine braune Schlammschicht in den Straßen. In der Luft liegt der scharfe Geruch der Dieselpumpen, und die Müdigkeit der Stadt ist überall zu spüren. Doch früh am Morgen, im sanften Sonnenlicht, wirkt der geflutete Innenhof des Zwingers wie ein romantisches Bild aus der Sammlung: umspült wie ein barockes Wasserschloss. Friedlich watet der technische Direktor des Museums durch den Hof, in Gummihosen, wie sie Angler tragen. Wie voll gefressene Schlangen liegen die Schläuche herum. Von den für die Zwinger-Konzerte aufgereihten Stühlen sind nur noch die Lehnen zu sehen. „Unser technischer Direktor“, sagt Uta Neidhardt, „war seit Dienstag fast durchgehend im Museum.“ Was solle er auch zu Hause. Sein Haus ist vom Wasser umspült.

Am Sonntagnachmittag verkünden die Staatlichen Kunstsammlungen, dass die fünf Bilder nicht vom Wasser berührt wurden. „Sobald der Pegel der Elbe gesunken ist, sollen diese Werke so schnell wie möglich geborgen und restauratorisch betreut werden", wird verkündet. Die übrigen 4000 Bilder sind ohnehin in Sicherheit, nicht eines hat bei der dramatischen Rettungsaktion Schaden genommen. Getrennt durch kleine Kissen lehnen sie aufeinander. Auf dem Dach des Zwingers patroullieren inzwischen Soldaten der Bundeswehr. Nicht nur die Klima-, auch die Alarmanlage war für zwei Tage ausgefallen. „Bisher konnten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden die Kunst aus eigener Kraft retten, zukünftig brauchen wir dringend Hilfe von außen", sagt der Generaldirektor Martin Roth. Die erste Hilfe kommt aus Berlin: Am Sonntagnachmittag lieferten die Berliner Staatlichen Museen 15 Entfeuchter nach Dresden, damit das Klima in den neuen Depots besser kontrolliert werden kann. Im Gobelinsaal ist die Luftfeuchtigkeit mit etwa 60 Prozent noch etwas zu hoch. „Das geht, das werden die Bilder überleben", sagt die Kuratorin Neidhardt.

Weniger dramatisch ist die Situation im Albertinum, einige Meter flussaufwärts, wo die Neuen Meister und die Skulpturen der Dresdner Sammlung untergebracht sind. Am letzten Dienstag begann man auch dort mit der Evakuierung der Kunstwerke: 11000 Objekte wurden mit dem Hubwagen aus dem Keller in die oberen Etagen transportiert. Auch ohne Schaden. „Die sehen prima aus und haben auch ein gutes Klima", sagt Ulrich Bischof, der Direktor der Gemäldegalerie Neue Meister. Einige Liebermanns mussten gestapelt werden, um Platz für die Skulpturen der Antikensammlung zu schaffen. Doch nur die Hälfte der Galerie wird als Ausweichdepot genutzt, die andere Hälfte soll vielleicht schon nächste Woche wieder für die Besucher geöffnet werden.

Uta Neidhardt läuft an der Preistafel im prächtigen Foyer der Sempergalerie vorbei. 3,60 Euro kostet der Eintritt, verkünden die kleinen Steckbuchstaben. „Die Tafel werden wir einige Zeit nicht brauchen", sagt sie. Die 41-Jährige trägt rote Gummistiefel und ein rotes ärmelloses Hemd. Als ob es gleich wieder losgehen könne. Das Foyer ist vermüllt, auf einem klapprigen Tisch stehen Getränke für die Helfer. Im Treppengang zu den Garderoben schwimmt ein Holztisch in der dunklen Brühe. Das Wasser sinkt nun weiter, doch die Zerstörung ist – trotz der geretteten Kunstwerke – bereits vollendet: Die gesamte technische Ausrüstung des Zwingers ist zerstört. Ob die Depots überhaupt noch benutzt werden können, ist unklar. Solange werden die Gemälde gestapelt an den Wänden und den grünen Bänken lehnen. Solange wird es in der Sempergalerie aussehen wie bei einer Umzugsfirma, die noch nicht weiß, ob sie ein- oder auspacken soll.

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