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Hinweise auf geplante Anschläge: Terroristen unter Beobachtung

Nie zuvor hat es so etwas gegeben: Eine weltweite Reisewarnung für alle US-Bürger. Aus Angst vor Terroranschlägen schließen Botschaften in arabischen Ländern. Die Hinweise seien sehr konkret, heißt es. Und doch bleibt die Bedrohung seltsam diffus.

Für acht Uhr am Samstagmorgen war die Abfahrt angesetzt. Im leichten Regen warteten die Begleiter des Präsidenten auf die Abfahrt. Etwas verzögert sie. Spannung liegt in der Luft, das Reiseziel ist nicht allen bekannt. Nur, dass der Präsident um 14 Uhr 30 in Camp David erwartet wird. Aber nicht Friedensverhandlungen stehen auf seinem Terminplan, auch keine Beratungen mit Kongressabgeordneten über das Haushaltsdefizit – sondern die Geburtstagsfeier des Präsidenten, der am Sonntag 52 Jahre alt wurde. Zuvor wollte Barack Obama noch gemeinsam mit Freunden golfen. Doch ein entspanntes Geburtstagswochenende wurde es nicht.

Noch bevor der US-Präsident mit seinen Begleitern wenige Minuten nach acht am Weißen Haus aufbrach, hatte ihn seine Antiterrorberaterin Lisa Monaco schon mit den neuesten Nachrichten versorgt. Laufend wurde der Präsident am Wochenende informiert, auch auf dem Golfplatz. Barack Obama nimmt sie sehr ernst, diese Terrordrohung, die der Öffentlichkeit so plötzlich und massiv zu Beginn des Wochenendes bekannt wurde.

Am Freitag hatte die US-Regierung vor möglichen Angriffen der Al Qaida gewarnt. Bis Ende August und „vor allem im Nahen Osten und in Nordafrika“ sei die Gefahr eines Anschlags wahrscheinlich. Im Visier seien nicht nur US-Bürger und -Einrichtungen, sondern auch sämtliche Verbündete Amerikas.

Noch nie zuvor haben die Vereinigten Staaten eine so spektakuläre Terrorwarnung für weite Teile der islamischen Welt erlassen. 22 Botschaften und Konsulate bleiben am Sonntag und teilweise auch für die nächsten Tage geschlossen – quer durch Nordafrika, den gesamten Nahen Osten bis herunter an die Südspitze der Arabischen Halbinsel sowie in Afghanistan und Pakistan. Kanada schloss seine Vertretung in Bangladesch. Allen US-Bürgern wurde per weltweiter Reisewarnung nahegelegt, bis Ende des Monats speziell in Touristengegenden besonders vorsichtig zu sein.

Zwar gingen nicht alle westlichen Nationen gleich genauso vor, doch zumindest in Jemens Hauptstadt Sanaa, aus der offenbar die konkreten Hinweise zu geplanten Anschlägen auf „amerikanische und westliche“ Ziele kommen, blieben auch die deutsche, französische und britische Mission vorerst verriegelt. Eine gewöhnliche Reaktion ist das nicht, bis eine Botschaft geschlossen wird, muss schließlich einiges passieren – oder drohen.

Vor den geschlossenen Botschaftsgebäuden in Sanaa patrouillierten am Wochenende einheimische Sicherheitskräfte. Auch Schützenpanzer fuhren auf. Einem Reporter der Nachrichtenagentur AFP sagte ein Polizist: „Wir waren bereits im Alarmzustand, aber wir haben unsere Wachsamkeit noch verdoppelt.“

Die Wachsamkeit mag daher rühren, dass schon seit Wochen Bewegung im Terrornetzwerk herrscht. Am Samstag jedenfalls gab auch die internationale Polizeiorganisation Interpol eine weltweite Anschlagswarnung heraus – und berief sich auf Geschehnisse der vergangenen Wochen. Mehrere hundert Terroristen und Kriminelle waren während dieser Zeit aus Gefängnissen in Irak, Libyen und Pakistan ausgebrochen. Es müssen groß angelegte Aktionen gewesen sein, denn auf Bildern, die es von Schäden an einem Gefängnis in Pakistan gibt, sieht es so aus, als hätten die Gefangenen die Wand einfach niedergerannt. Interpol vermutet, dass Al-Qaida-Mitglieder Ausbruchshelfer gewesen sein könnten.

Niemand weiß, was sicher ist und was nicht

Noch am Tag der Interpol-Meldung traf im Weißen Haus unter Führung von Sicherheitsberaterin Susan Rice der Sicherheitsausschuss zusammen. Der Stabschef des Weißen Hauses war dabei, Außenminister John Kerry, Verteidigungsminister Chuck Hagel, Heimatschutzministerin Janet Napolitano, Geheimdienstchef James Clapper und jeweils die Direktoren der Geheimdienste FBI, CIA, NSA.

„Spezifischer“ als zu früheren Gelegenheiten soll die Bedrohung nun sein, was auch immer das heißen mag. Jedenfalls sorgt sie für ein diffuses Unwohlsein, weil niemand weiß, was sicher ist und was nicht, wem zu glauben ist – und was. All dies zu einer Zeit, in der sich vor allem in den arabischen Ländern viele Muslime mit Freude auf Eid al Fitr vorbereiten, das Fest am Ende des Ramadan Mitte der Woche. Die muslimische Fastenzeit berechnet sich nach dem Mondkalender, beginnt und endet daher von Jahr zu Jahr unterschiedlich und 2013 eben am kommenden Mittwoch, dem 7. August. Auch das ein Grund zur Sorge für Interpol.

In ihrer offiziellen Mitteilung erinnert die Organisation daran, dass sich an diesem Mittwoch die verheerenden Synchronangriffe auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania zum 15. Mal jähren. Damals wurden 223 Menschen getötet und über 4000 verwundet – das erste globale Doppelattentat von Al Qaida. Auch Anschläge in Mumbai und Jakarta geschahen jeweils im August.

Nach einem Bericht der New York Times beruht die Gefahrenanalyse, die schließlich Grundlage für jede Warnung war, auf abgefangener elektronischer Kommunikation aus der vergangenen Woche zwischen hochrangigen Al-Qaida-Aktivisten. Die hätten über Angriffe gegen US-Einrichtungen im Mittleren Osten und Nordafrika gesprochen. Die Rede sei sowohl von öffentlichen als auch von privaten Zielen möglicher Anschläge, auch von öffentlichen Verkehrsmitteln, Flugzeugen, Schiffen und Tourismuseinrichtungen. Besonders im Jemen.

Die abgehörte Kommunikation, heißt es, sei weit mehr als das übliche Gerede gewesen. Nach den Enthüllungen des Ex-NSA-Mitarbeiters Edward Snowden sind inzwischen die Analysemethoden und der Abhöraufwand des US-Geheimdiensts NSA weltweit bekannt. Es ist anzunehmen, dass die Informationen von dort stammen.

Dass die Regierung so offensiv mit der Terrorwarnung umgeht, dafür kursieren in Washington drei Erklärungsansätze. Erstens: Die Bedrohung muss sehr konkret sein, wenn so viele Botschaften für einen langen Zeitraum geschlossen werden und eine solch deutliche Reisewarnung ergeht.

Zweitens: Der Druck auf die Obama-Administration nach dem Angriff auf die diplomatische Vertretung in Bengasi im vergangenen Jahr, bei dem auch US-Botschafter Christopher Stevens getötet worden war, veranlasst die Regierung zu den Schritten.

Drittens: Eine durch die NSA aufgeklärte, am besten verhinderte terroristische Bedrohung setzt auch die sehr umstrittenen Abhörbefugnisse des Geheimdienstes in ein anderes Licht.

Und vielleicht ist auch Wahrheit an dem, was der Demokrat Dutch Ruppersberger der „Washington Post“ am Freitag verriet. Die Warnungen zu veröffentlichen, sagte er, zeige auch denjenigen, die Anschläge planten: Die Regierung weiß Bescheid. Im sommerlichen Washington ist vom ernsten Gerede hinter geschlossenen Türen sonst nichts zu spüren, keine speziellen Sicherheitsvorkehrungen sind zu sehen, nicht mal am Weißen Haus. Die Bedrohung ist anderswo.

Gefährliches Terrornetzwerk im Jemen

Im Jemen, dort wo nach wie vor der Fokus der amerikanischen Terrorwarner liegt. Die Gruppe „Al Qaida der Arabischen Halbinsel“ gehört aus der Sicht Washingtons zu den gefährlichsten des Terrornetzwerks. Hier sitzen die Männer, die dafür verantwortlich sein sollen, dass im Dezember 2009 ein junger Nigerianer mit Sprengstoff, den er in seiner Unterhose versteckt hatte, in einem Flugzeug von Amsterdam nach Detroit saß. Der Anschlag misslang. Im Herbst 2010 versandten mutmaßliche islamistische Terroristen Paketbomben in Richtung USA – aus dem Jemen.

Inzwischen ist das Land deswegen auch zu einem Hauptziel der US-amerikanischen Drohnenangriffe geworden. 2012 wurden dort bereits fast so viele Angriffe geflogen wie in Pakistan. In diesem Jahr sieht es ähnlich aus: 18 Einsätze in Pakistan, 15 im Jemen. Kürzlich gelang es US-Schützen, mit dem saudischen Ex-Guantanamo-Häftling Saeed al Shihri die Nummer zwei von Al Qaida im Jemen zu töten. Ibrahim Hassan al Asiri jedoch, der Hosenbombe und Paketbomben bastelte, ist wie vom Erdboden verschluckt. Überläufer haben erzählt, er sitze in einem Versteck – und gebe Sprengstoffkurse für Nachahmer.

Doch nicht nur im Dauerkrisenland Jemen, auch in vielen anderen Nationen des Nahen und Mittleren Ostens haben sich Al-Qaida-Zellen längst fest etabliert. So massiv die jetzige Reaktion der USA auch wirken mag, so grausam sind doch die Taten der Terroristen, unter denen bei Weitem nicht nur Bürger „westlicher“ Nationen und Mitarbeiter entsprechender Einrichtungen zu leiden haben.

Als vor zwei Wochen Angreifer nahe Bagdad mit simultan gezündeten Selbstmordbomben die Gefängnistore aufsprengten, um mehr als 500 ihrer Gesinnungsgenossen zu befreien, dauerten die Kämpfe bis in die frühen Morgenstunden. „Es warten schwarze Tage auf den Irak – einige der Geflohenen waren zum Tode verurteilte Al-Qaida-Führungskader“, sagte ein hoher Sicherheitsbeamter. Diese Leute würden nun Rache üben, „wahrscheinlich durch noch mehr Selbstmordattentate“. Dabei erlebt der Irak schon jetzt die schlimmste Welle der Gewalt seit fünf Jahren. Mit 1050 Toten war der Juli der blutigste Monat seit Ende des Bürgerkriegs 2006/2007. „Wir gehen gar nicht mehr aus dem Haus. Gehst du in ein Café, kannst du getötet werden. Gehst du zu deinem Auto, kannst du getötet werden. Oder gehst du in den Supermarkt, kannst du getötet werden“, klagt ein Familienvater in Bagdad. Der Bürgerkrieg in Syrien zieht das Nachbarland Irak immer mehr hinein in einen tödlichen Strudel.

In Tunesien führt die Armee erstmals eine regelrechte Großoffensive gegen Al- Qaida-Kämpfer durch, die sich in der Bergregion Chaambi nahe der Grenze zu Algerien verstecken. Seit Tagen sind Hubschrauber und Infanterie im Einsatz. Einige der Kämpfer hatten eine Armeepatrouille in einen Hinterhalt gelockt, acht Soldaten die Kehlen durchgeschnitten und ihre Leichen grausam verstümmelt.

In Libyen dagegen richten sich die Bombenanschläge vor allem gegen Richter, Offiziere und hohe Polizisten. Vor zwei Wochen wurden 1200 Häftlinge aus dem Al-Kuifiya-Gefängnis nahe Bengasi befreit, angeblich überwiegend gewöhnliche Kriminelle, wie sich die lokalen Polizeibehörden beeilten zu erklären. Zur Ruhe kommt das Land jedenfalls nicht. Im Gegenteil: Am Sonntag legte der libysche Vizepremier Awadh al Barassi sein Amt nieder. Die Regierung funktioniere nicht mehr und sei unfähig, der wachsenden Gewalt Herr zu werden, sagte er zur Begründung.

Ein konkretes Wort in Zeiten reichlich unkonkreter Bedrohungen, die trotz aller Berichte und Vorkehrungen bleibt, was sie war: schwer zu greifen.

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