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Panorama: Hochzeitstage 2001: Stürmische Zeiten

Manche flüchten sich in schwarzen Humor. Drei Jahre, 167 Tage und zwei Stunden betrage mittlerweile die durchschnittliche Lebenserwartung einer Beziehung zwischen Mann und Frau, spottete der Schriftsteller Peter Schneider in seinem Roman "Paarungen".

Manche flüchten sich in schwarzen Humor. Drei Jahre, 167 Tage und zwei Stunden betrage mittlerweile die durchschnittliche Lebenserwartung einer Beziehung zwischen Mann und Frau, spottete der Schriftsteller Peter Schneider in seinem Roman "Paarungen". Verantwortlich dafür sei "irgendein Trennungsvirus", das offenbar immer heftiger grassiert.

Jede dritte Ehe geht mittlerweile in Deutschland vorzeitig auseinander. Allein 1998 kamen auf 420 000 Eheschließungen 190 000 Scheidungen, vier Mal mehr als 1960. In keiner Epoche zuvor waren die Scheidungsraten so hoch wie heute. Wie viel Verletzungen und ohnmächtige Wut, wie viel Verzweiflung, Angst und Trauer in den betroffenen Familien sich hinter diesen Zahlen verbergen, kann man nur vermuten. Nicht selten empfinden Menschen das Scheitern ihrer Ehe als die schwerste und vielleicht einzig wirkliche Niederlage ihres Lebens. Ähnlich hart trifft es auch die Kinder. Jahr für Jahr kommen 175 000 Kinder, die von einer Scheidung betroffen sind, hinzu. Inzwischen wachsen rund zwei Millionen in Familien mit einem Elternteil auf, etwa 85 Prozent bei der Mutter, der Rest beim Vater.

Immer mehr verkrachte Eheleute greifen nach dem Rettungsanker Paartherapie. Beratungsstellen sind überlaufen und können den Ansturm der Leidenden kaum noch verkraften. In Großstädten betragen die Wartefristen in der Regel mehrere Monate. "Paartherapie hat nicht Hochkonjunktur, sondern höchste Konjunktur", sagt der Hamburger Paarpsychologe Michael Cöllen. Auch die Bereitschaft von Männern, sich in Lebenskrisen Rat bei professionellen Helfern zu holen, sei deutlich gestiegen, weiß Norbert Wilbertz, Leiter der Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle im Bistum Münster.

In den scheidungsfreudigen USA ist die Lage noch etwas düsterer. Ganze neun Prozent der Ehen sind rundum glücklich, fand der amerikanische Familiensoziologe David H. Olson von der Universität Minnesota heraus. 75 Prozent der Paare dagegen sind mehr oder weniger frustriert, wenigstens einer der beiden Partner hat bereits die Möglichkeit einer Scheidung erwogen. Man bleibt vorerst zusammen, weil ein Alternativpartner fehlt oder die Kinder noch zu klein sind.

David H. Olsen ist der Erfinder so genannter Prepare-Tests, die die Übereinstimmung zwischen Heiratswilligen messen, die Stärken und Schwächen ihrer Beziehung ergründen und das Scheidungsrisiko abschätzen sollen. Nicht etwa die Liebe zwischen Eheleuten will der Test ermitteln, wehrt Olsen ab, sondern ihre Fähigkeit, miteinander zu reden, über Gefühle zu sprechen, Konflikte auszuhalten und Probleme zu lösen. Bei den US-Kirchen stieß Prepare auf breites Interesse. So haben sich in 120 amerikanischen Städten christliche Pfarrer zu einer "konzertierten Aktion für das Eheglück" zusammengeschlossen. Sie trauen Paare nur, wenn diese den Test und ein obligatorisches Konfliktlösungstraining gemacht haben.

In Deutschland bieten die Beratungsstellen interessierten Paaren so genannte EPL-Programme an - die Abkürzung steht für "Ein partnerschaftliches Lernprogramm". Entwickelt wurde das Kommunikationstraining von dem Braunschweiger Psychologie-Professor Kurt Hahlweg und dem Institut für Forschung und Ausbildung in Kommunikationstherapie. Nach den Erfahrungen der Beratungsstellen haben Paare, die dieses Training mitmachen, eine deutlich geringere Scheidungsprognose. Allerdings klopft nur eine Minderheit vor der Eheschließung beim Psychologen an. "Erst wenn die Leute in der Tinte sitzen, ist der Wunsch, etwas zu lernen und sich beraten zu lassen, außerordentlich hoch", sagt Norbert Wilbertz.

Angesichts solcher Erfahrungen warnen Ehe-Therapeuten jedoch vor der landläufigen Ansicht, die heutigen Ehen seien schlechter als früher. Ein tief greifender gesellschaftlicher Wandel - vor allem die Individualisierung und Frauenemanzipation - aber auch die drastisch gestiegene Lebenserwartung habe die Basis des Zweierbunds völlig umgekrempelt. Während früher der Tod die Ehen bereits nach zehn bis zwanzig Jahren beendete, müssen sich heutige Gatten durch viele Lebensphasen hindurch oftmals 40 bis 50 Jahre lang ertragen, bis dass der Tod sie scheidet.

Länger als jemals zuvor

Den modernen Rekordscheidungen zum Trotz ist die gelebte Ehedauer keineswegs kürzer geworden. Im Gegenteil: Ehen dauern heute im Durchschnitt länger als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Noch im letzten Jahrhundert beispielsweise war die nachfamiliäre Phase der Paare, also die Zeit, nachdem das letzte Kind die Familie verlassen hat, auf wenige Jahre beschränkt. Heute dauert diese Zeitspanne oft mehr als zwei Jahrzehnte und stellt ganz neue Ansprüche an die beiden Partner. Kein Wunder, dass so manche Ehe speziell in diesem Abschnitt später Zweisamkeit scheitert.

Die Individualisierung wiederum hat Jahrhunderte alte religiöse, familiäre und weltanschauliche Stützfaktoren der Ehe aufgeweicht. Der wirtschaftliche und moralische Druck auf Paare, eine unglückliche Ehe aufrechtzuerhalten, existiert kaum noch. Vor allem Frauen ziehen immer öfter Konsequenzen. Wilbertz drückt es so aus: "Früher gaben die Frauen die Hoffnung auf und hielten an der Ehe fest, heute halten sie an der Hoffnung fest und geben die Ehe auf."

Den Eheberatungsstellen haben diese Entwicklungen zwar eine beispiellose Nachfrage beschert. Trotzdem haben sie Mühe, von den Stadtkämmerern mehr Geld zu bekommen. Fünf bis zehn Milliarden Mark geben die Kommunen dagegen jährlich für Folgekosten von Scheidungen aus. Ein Drittel aller Sozialmittel - Sozialhilfe, Wohngeld und Kosten für Heimunterbringung - fließen an Geschiedene und ihre Kinder. Für Ehe- und Lebensberatung dagegen, also für die Prophylaxe solch privater Lebenskatastrophen, schlägt lediglich ein mageres Prozent dieser Summe zu Buche. Dieses Missverhältnis setzt sich auch an anderer Stelle fort. So gibt es in Nordrhein-Westfalen derzeit 420 für die Auflösung von Ehen zuständige Familienrichter. Die Zahl der Ehe- und Partnerschaftsberater in dem bevölkerungsreichsten Bundesland dagegen beläuft sich auf weniger als die Hälfte. "Es ist ein Skandal, dass Menschen, die nach einer Möglichkeit suchen, ihre Partnerschaft zu retten, monatelang warten müssen, bis sie wirksame Hilfe kriegen", kritisiert Norbert Wilbertz. "Und das in einem Land, dessen Grundgesetz Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt."

Wilbertz vermutet dahinter eine Tabuisierung durch Politik und Gesellschaft. "Was der BSE-Skandal kostet, das weiß man sofort", sagt er. Wie teuer aber Trennung und Scheidung in unserem Lande sind, da schaue niemand gerne hin. Den Beratungsstellen gehe es nicht darum, Ehen unter allen Umständen zu erhalten, betont er. Sie wollten Paaren vielmehr helfen, eine befriedigendere Beziehung zu leben. Nachbefragungen von Beratungsklienten belegen den Erfolg dieses Konzeptes: Zwei Drittel der Paare geben an, ihre Partnerschaft laufe besser und sei stabiler geworden.

Vielfach geht es in den Sitzungen mit einem Therapeuten darum, einfache Regeln des Zusammenlebens zu erarbeiten und einzuüben. "Das Gelingen dauerhafter Partnerschaft erfordert neue persönliche Kompetenzen der Partner und neue gesellschaftliche Stützen", erläutert der Eheberater. Zerstrittenen Paaren empfiehlt er fünf Regeln, die - obwohl auf den ersten Blick platt und schlicht - in Krisensituationen erstaunlich positive Wirkungen entfalten können

Morgens sich zwei Minuten austauschen, was jeden der beiden am Tag erwartet.

Sich täglich fünf Minuten Zeit nehmen für eine positive Rückmeldung an den anderen. Was finde ich an ihm nett? Wofür möchte ich ihm danken? Jeder der Partner nimmt sich Zeit, über die positiven Seiten des anderen nachzudenken.

Sich fünf Minuten Zeit nehmen für Körperkontakt. "Das ist etwas enorm Bindendes", sagt Wilbertz, "und hat erst einmal nichts mit Sexualität zu tun."

Den anderen täglich zwanzig Minuten "andocken lassen", für ihn innerlich präsent und zugewandt sein. Man redet miteinander, nichts Tiefschürfendes, plaudert wie etwa bei einem Abendspaziergang um den Häuserblock.

Ein Mal in der Woche ein einstündiges, tiefgreifendes Gespräch, "wo man sich wirklich unterhält und Dinge miteinander klärt".

Für Frischverliebte mag es abenteuerlich wirken, dass solche einfachen Regeln nicht selbstverständlich sind. Aber man sollte den Alltag nicht unterschätzen.

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