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Panorama: Hollywood: Keine Zeit für Schurken

"Je besser der Schurke, desto besser der Film." Was Alfred Hitchcock sagte, hat sich Hollywood seit Generationen zu Herzen genommen.

Von Andreas Oswald

"Je besser der Schurke, desto besser der Film." Was Alfred Hitchcock sagte, hat sich Hollywood seit Generationen zu Herzen genommen. So wimmelte es von intelligenten und dummen Schurken, von häßlichen und schönen, von durchtriebenen und bemitleidenswerten. Die Bandbreite reichte von Schwulen, Japanern, Deutschen, Arabern, Kommunisten, Mafiosi, korrupten Polizisten, Drogendealern, Perversen, Außerirdischen und Kannibalen bis zu Gentlemen und Märchenhexen. Doch jetzt hat Hollywood ein Problem. Die Nation hat einen global operierenden Schurken als Feind.

Der ist kaum zu toppen. Und ihn als Filmschurken zu verwenden, hieße, ihn nicht ernst zu nehmen. Filme in der Vergangenheit haben Untaten und Katastrophen ähnlich derer vom 11. September vorweggenommen, aber - darauf weist der Drehbuchautor Stephen Gaghan hin, der für "Traffic" einen Oscar gewann - "die Zuschauergefühle bei diesen Filmen waren wie ein Cartoon verglichen mit denen, die die Menschen hatten, als sie die Live-Bilder sahen".

Die Drehbuchautoren müssen eine neue Grenze definieren zwischen dem, was real und was fiktiv ist. Nach dem Ende des Kalten Kriegs schieden Russen und ihre Parteigänger schnell aus. Fiese US-Offiziere, die ihre Soldaten quälen, sind im Moment auch nicht angesagt. Und islamische Fanatiker? Moslems werden zur Zeit geschont, soll doch jeder Eindruck verhindert werden, Moslems seien der Feind. Ohnehin scheidet in der emotional aufgeladenen Zeit alles aus, was auch nur entfernt von einer Gruppe als herabsetzend interpretiert werden könnte. Diese Situation ist zwar nicht ganz neu, aber die Toleranzschwelle ist noch einmal deutlich gesunken. Die Situation sei paradox, schrieb die "New York Times". Jahrelang habe das Publikum in Amerika einen "riesigen Appetit auf monumentale Schufte gezeigt und zugleich nach der Gewaltanwendung gegiert, die deren Bekämpfung zu rechtfertigen schien, doch nun schrecken die Story-Erfinder zurück". Schon in dem Film "Pearl Harbor" waren die Japaner sehr zurückhaltend dargestellt worden. Ganz im Gegensatz zu damals. Hollywood reagierte einst auf die Angriffe schnell mit einer Reihe von Filmen, in denen die Japaner als primitive Schlitzaugen dargestellt wurden. Jetzt regiert die Selbstkontrolle wie selten zuvor, stellt die "New York Times" fest. Zahlreiche bereits fertiggestellte Filme bleiben in den Giftschränken.

Wie könnte ein Schurke heutzutage aussehen? Er müsste weiß sein, dürfte keiner Religionsgemeinschaft angehören und dürfte kein falsches Wort sagen. Er dürfte kein Trinkwasser vergiften, keine Viren aussetzen, keine Häuser sprengen, keine Bomben werfen, keine Flugzeuge entführen, keine Geiseln nehmen, er dürfte nicht einmal humanitäre Hilfsorganisationen erpressen. Jedes Drehbuch würde die Pietät verletzen. Einer der Filme, die im Archiv bleiben, ist "Tick-Tock" mit Jennifer Lopez. Sie spielt darin eine Bombenentschärferin. Schon das geht zu weit, Bomben sind tabu. Ganz abgesehen davon, dass der Bombenbastler, dessen Bomben entschärft werden, ausdrücklich als nichtislamisch bezeichnet werden müsste.

"Buffalo Soldiers" gehört zu den Filmen, die dem Publikum vorerst vorenthalten werden. Vor einigen Wochen hatte der Streifen um Korruption und Drogengeschäfte in der US-Army auf dem Filmfestival in Toronto großen Beifall bekommen. In der Versenkung ist auch "Black Hawk Down" verschwunden. In dem Streifen von Ridley Scott geht es um den fehlgeschlagenen US-Militäreinsatz Anfang der 90er Jahre in Somalia. Ein ganz heißes Eisen. An diese Niederlage gegen wildgewordene Warlords wollen die USA im Moment nicht erinnert werden. Außerdem leben dort Moslems.

Vielleicht bricht bald eine neue Zeit an. Die der liebenswerten Schurken. Aber für Komödien ist es noch zu früh.

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