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Im Notaufnahmelager. Das Museum zeigt anschaulich, wie es Flüchtlingen ergeht – zum Beispiel auf den Feldbetten.

© promo

Humanity House in Den Haag: Auf virtueller Flucht

Im Humanity House in Den Haag können sich Besucher in die Rolle von Bürgerkriegsflüchtlingen hineinfinden.

„Nimm den Brief und nimm ihn mit, er erlaubt dir, in Zone B überzuwechseln“, schnarrt die Stimme aus dem Lautsprecher, als plötzlich ein Umschlag durch den Briefschlitz in der Tür auf den Boden flattert. Wir befinden uns in einer unscheinbaren Wohnung und wissen nicht so recht, was uns erwartet. Also gehen wir weiter durch eine Tür. Scheinwerfer blenden uns, Stimmen brüllen auf uns ein, Hunde kläffen, eine äußerst ungemütliche Atmosphäre. „Weitergehen!“, blafft eine Stimme, und so folgen wir dem Pfeil und öffnen die nächste Tür.

Auf den ersten Blick ein niederländisches Wohnzimmer, das Radio dudelt, der Tisch ist gedeckt, scheinbar alles normal. Doch ein Weinglas ist umgekippt und liegt in der Suppe. Auf dem Boden verstreute Kleider, ein nicht zu Ende gepackter Koffer. Es sieht nach überhasteter Flucht aus. Das Radioprogramm wird plötzlich unterbrochen: „Bürger von Den Haag. Verlassen Sie sofort Ihr Haus. Dies ist ein Aufruf des Ministeriums für nationale Sicherheit“, dröhnt die Stimme. Dann hört man Geschnatter, ein Hubschrauber knattert und aus dem Radio erfährt man, dass Tote am Wegesrand liegen. Nur weg von hier!

So beginnt eine Erfahrungsreise im Humanity House Den Haag, das von der Gemeinde und dem Roten Kreuz der Niederlande seit mehr als fünf Jahren als Museum und Treffpunkt betrieben wird. Wer das Museum besuchen will, muss sich registrieren lassen, wird fotografiert und bekommt eine Besucherkarte umgehängt. Dann steht man vor einer blinkenden roten Lampe. Die wechselt auf Grün, sobald die eigene Registriernummer angezeigt wird.

Die Reise beginnt – als Flüchtling. Es geht nicht darum, warum Menschen fliehen, sondern wie sie sich fühlen, wenn sie plötzlich aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen werden. Fliehen kann man aufgrund von Naturkatastrophen oder bewaffneten Konflikten. Keiner weiß, was einen erwartet, und so geht es auch dem Besucher.

Beklemmende Gefühle

Hat er die Wohnung über die Treppe verlassen, kommt er wieder an eine Tür. „Wofür entscheidest du dich? Für deine Sachen oder dein Leben“, ist in zwei Sprachen auf die Tür geschrieben, hinter der es in einen engen düsteren Gang geht. Kriegszone A. Überall Türen, immer wieder geht es um Ecken. Neue Türen, die alle verschlossen sind. Schüsse fallen. Dann zwitschern Vögel. „Erst hörten wir, dass die Kämpfe sich entfernten, weiter und weiter weg. Dann dachten wir: Sie sind weg. Es ist jetzt sicher, um unser Versteck zu verlassen“, steht auf einer Tür. Man tritt ein, steht vor einem Kamin mit einem Spiegel. Doch der Spiegel zeigt kein Spiegelbild. „Du bestehst nicht. Schau in den Spiegel!“, steht auf Niederländisch und Englisch auf einer blauen Delfter Kachel.

Vom Spiegelraum geht es in ein Labyrinth aus Regalen mit Aktenordnern bis unter die Decke. Alles fein säuberlich nach Alphabet. An zwei kleinen Schreibtischchen steht ein Locher. Hier locht man sein Registrierungsformular und heftet es unter seinen Anfangsbuchstaben selber ab. „Falls Familienmitglieder nach Ihnen suchen“, heißt es. Danach steht man in einem Raum mit vier Türen. Darüber rote und grüne Lampen. Ganz oben Stacheldraht. Grenze. Die Kabine ist sehr eng. Sofort ertönt eine Stimme: „Wo wohnen Sie? Haben Sie Familie und Freunde? Antworten Sie! Haben Sie verbotene Aktivitäten unternommen? Haben Sie nur eine Einreise vor?“ Es gibt Stempelgeräusche, irgendwie muss es weitergehen. Da ist ein Schlitz für das Visum, das man am Anfang in der Wohnung bekommen hat. Man wirft es ein und es öffnet sich die Schiebetür. Man handelt intuitiv, nicht überlegt. Beklemmend.

Ungewissheit - und Machtlosigkeit

Jetzt sind wir in Zone B. Eine fest montierte Pistole, man wird aufgefordert abzudrücken. Das eigene Bild erscheint: „Rolf, du musst dich entscheiden: fliehen oder kämpfen. Freunde werden Feinde.“ Als Nächstes landet man im Laderaum eines Lastwagens. Hier erzählt ein Flüchtling aus Jordanien von seiner Flucht in die Niederlande. 14 Tage hat er in einem Lkw verbracht. Als ihn, so erzählt er, eine blonde Frau fragte „Haben Sie Hunger?“, kamen ihm die Tränen. Nach einer weiteren Treppe kommt man in eine Notaufnahme. Feldbetten, mit Vorhängen voneinander getrennt. Eine Videowand zeigt Flüchtlinge, das eigene Bild taucht vorübergehend auf. Auf jeder Liege Kopfhörer mit Einzelschicksalen.

Am Ende des Rundgangs schlüpft man in die Rolle der Helfer. Darf ich mit einem Warlord kooperieren? Darf ich Flüchtlingen in der Wüste verseuchtes Wasser geben? Darf ich als Arzt zuerst die Schussverletzung des Jungen behandeln oder den alten Mann, der bereits stundenlang gewartet hat? Jede Entscheidung hat ein fatales Resultat. Die Folgen der eigenen Entscheidung werden an Bildschirmen angezeigt, mit Erläuterungen und Prozentzahlen. Sie stimmen nachdenklich.

Das ist das Ziel von Humanity House: zu sensibilisieren, die Rollen zu tauschen. Das Ungewisse wenigstens vorübergehend zu erfahren – und auch die eigene Machtlosigkeit.

Humanity House, Prinsegracht 8, 2512 GA Den Haag. Montags geschlossen. Eintritt 7,50 Euro. www.humanityhouse.org

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