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Hurrikankatastrophe: Bergung der Leichen hat begonnen

Die meisten Überlebenden des Hurrikans "Katrina" haben New Orleans verlassen. Jetzt durchleben die Rettungskräfte Gruselszenen in einer "Totenstadt". In der Bürokratensprache beginnt "Phase 2".

Washington/New Orleans (04.09.2005, 21:08 Uhr) - Eine Woche nach dem Killer-Hurrikan «Katrina» hat die US-Regierung erstmals öffentlich eingeräumt, dass mehrere tausend Menschen bei der größten Naturkatastrophe der USA gestorben sind. In der besonders schwer getroffenen Stadt New Orleans begannen Hilfskräfte am Sonntag parallel zu weiteren Rettungseinsätzen mit der schrecklichsten Phase der Bergungsarbeiten. Sie durchkämmten die überfluteten Straßen und Häuser nach Leichen. In der weithin verwüsteten Südstaatenmetropole strömte ein bestialischer Verwesungsgeruch aus vielen Gebäuden.

US-Gesundheitsminister Michael Leavitt warnte die verbliebenen Einwohner vor Krankheiten, Seuchen und dem besonders lebensgefährlichen West-Nil-Virus. Die Einsatzkräfte kündigten Haus-zu-Haus-Durchsuchungen an, um die verbliebenen Einwohner notfalls unter Zwang aus der Stadt zu bringen. Bürgermeister Ray Nagin sagte dem Nachrichtensender CNN, dass sich nach der Evakuierung von 50.000 Menschen noch weitere 50.000 bis 60.000 Einwohner in den gefluteten Stadtteilen aufhalten könnten. Viele Bewohner - wie die im historischen «French Quarter» - weigerten sich, die Stadt zu verlassen, obwohl es nach Angaben der Armee bis zu drei Monate dauern kann, bis das Wasser aus der ganzen Stadt abgepumpt ist.

In der bislang größten Rettungsaktion in der Geschichte der Vereinigten Staaten hatte die US-Armee innerhalb eines Tages Zehntausende obdachlos gewordene Menschen mit Flugzeugen, Helikoptern, Bussen und Bahnen aus New Orleans in Sicherheit gebracht. Die beiden größten Notunterkünfte, der Superdome und das Convention Center, sind nach US-Medienberichten komplett geräumt. Vor den Absperrungen trafen allerdings auch am Wochenende weiterhin Hilfesuchende ein. Fernsehreporter berichteten, dass sich zurückgelassene Hunde auf den Straßen zu Rudeln zusammenrotteten und die Abfallberge in der Stadt durchstöberten.

US-Präsident George W. Bush dankte am Sonntag den vielen tausend freiwilligen Helfern, die in einer einmaligen Welle der Solidarität helfen, damit die Betroffenen des Hurrikans wieder «Boden unter die Füße bekommen».

Albtraumhafte Bilder

Auch im Umfeld von New Orleans begann am Sonntag die systematische Suche nach Opfern. Die Einsatzkräfte müssen albtraumhafte Bilder verkraften. Sie brachen Gebäude auf und fanden vielfach ganze Familien, die sich zum Schutz vor dem Hurrikan verbarrikadiert hatten und dann in ihren eigenen vier Wänden elendig ertranken. Die Leichen sollen zunächst in Kühllastwagen aufbewahrt werden, ein Gefängnisgebäude wurde zur Leichenhalle umfunktioniert. Mit Gesundheitsminister Leavitt räumte am Sonntag das erste Regierungsmitglied ein, dass die US-Behörden inzwischen mit vielen tausend Toten rechnen.

Zugleich verschärfte sich am Sonntag die politische Auseinandersetzung über die Schuld an dem Rettungsdesaster. US-Präsident Bush will nach heftiger Kritik an seinem Krisenmanagement das Katastrophengebiet an diesem Montag zum zweiten Mal binnen weniger Tage besuchen.

Vor dem Start der groß angelegten Rettungsaktion hatten US-Kongressmitglieder beider Parteien die Reaktion der Bundesbehörden auf die Katastrophe kritisiert und eine Untersuchung angekündigt. Bereits in dieser Woche sollen die Ermittlungen beginnen, sagten die Senatoren Susan Collins (Republikaner) und Joseph Lieberman (Demokraten). «Wir fordern Antworten auf die Frage, wie es zu dem immensen Versagen gekommen ist», heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.

Rassismus-Vorwürfe

Mehrere schwarze Kongressabgeordnete lasteten der US-Regierung außerdem mehr oder weniger deutlich an, dass die Schwarzen, die hauptsächlich von dem Unglück betroffen sind, wie Menschen zweiter Klasse behandelt würden. «Wir können es nicht zulassen, dass eines Tages gesagt wird: Der Unterschied zwischen jenen, die den Sturm überlebten und denen, die starben, lag in nichts anderem als in der Armut, im Alter oder der Hautfarbe», sagte der Parlamentarier Elijah Cummings.

Eine Woche nach dem Hurrikan, der nach Angaben von Bush ein Gebiet so groß wie Großbritannien verwüstete, stehen die Behörden vor einer humanitären Katastrophe. Rund eine Million Einwohner in drei Bundesstaaten verloren ihr Zuhause. Die Gesamtschäden werden auf bis zu 100 Milliarden Dollar (80 Milliarden Euro) geschätzt. Etwa 345.000 Menschen wurden laut CNN bis Sonntag in Notunterkünften untergebracht, davon 50.000 in Louisiana. Mindestens 350.000 Häuser wurden nach Behördenangaben zerstört.

Auch Iran bietet Hilfe an

Nach der Ankündigung der USA, internationale Hilfe für die Katastrophenregion anzunehmen, sagten bis Sonntag rund 55 Staaten ihre Unterstützung zu. Auch Iran bot Hilfe an. Das Land bedauere zutiefst den Tod vieler Amerikaner durch den Hurrikan, sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Teheran.

Die Bundeswehr schickte einen weiteren Airbus mit Lebensmitteln für die Hurrikan-Opfer in die USA. Nachdem der US-Behörde für Katastrophenmanagement (FEMA) schon am Vortag 10 Tonnen Feldverpflegungspakete übergeben worden waren, sei am Sonntagmittag eine weitere Maschine mit 15 Tonnen in Richtung Pensacola (Florida) gestartet, teilte das Verteidigungsministerium in Berlin mit.

Nach Medienberichten freuten sich die Amerikaner bei der Ankunft des ersten Flugzeugs aus Deutschland über den «German Rosinenbomber». Die legendären US-«Rosinenbomber» hatten nach dem Zweiten Weltkrieg die eingeschlossene Berliner Bevölkerung über eine Luftbrücke versorgt. (tso/dpa)

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