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Panorama: „Ich blas’ dir dein Hirn weg“

Genie oder Gewalttäter: Musikproduzent Phil Spector steht in Los Angeles wegen Mordes vor Gericht

Die meisten Menschen hören Musik erst, wenn sie gespielt wird. Nur ein Genie hört sie schon vorher.

Phil Spector war ein Genie. Der Plattenproduzent gilt als Erfinder des „Wall of Sound“, als der erste Rockmogul, der die zahllosen Hits seiner Karriere wie „Spanish Harlem“, „Be My Baby“, „He’s A Rebel“, „Zip-a-dee-doo-dah“, „You’ve Lost That Loving Feeling“ und „Wait Til My Baby Gets Home“ selbst verfasste. US-Schriftsteller Tom Wolfe beschrieb ihn als „ersten Teenage-Tycoon Amerikas“, der Rock’n’Roll als Lebensstil betrachtete. Nun steht der 67-jährige Exzentriker der Popgeschichte in einem der spektakulärsten Mordprozesse seit O.J. Simpson für etwas vor Gericht, das auch aus einem seiner Songs stammen könnte. Am 3. Februar 2003 starb die Schauspielerin Lana Clarkson in Spectors monströser Villa in Los Angeles durch einen Kopfschuss. Die 40-Jährige habe sich versehentlich selbst mit einer Pistole erschossen, als sie „die Waffe küsste“, rechtfertigte sich der seit Jahren vereinsamt und zurückgezogen lebende Produzent.

Die Staatsanwaltschaft hält Spector für den Täter. Er hatte Clarkson zuvor in einem Nachtklub aufgegabelt, wo sie als Hostess arbeitete. Zum Jähzorn neigend soll er der Frau bei einem seiner berüchtigten Ausfälle den Revolver in den Mund gehalten und abgedrückt haben. Noch unter dem Eindruck der Geschehnisse hatte er gesagt: „Ich glaube, ich habe jemanden umgebracht.“ Allerdings litt Spector zu der Zeit an Symptomen eines Drogen-Entzugs, weshalb sein Geständnis vor Gericht keine Gültigkeit hat. Deshalb bietet die Anklage in dem vorige Woche nach langer Verzögerung begonnenen Indizienprozess eine Reihe von Zeuginnen auf, die von Spectors gewalttätigem Temperament berichten.

Als Erstes belastete Dorothy Melvin den Angeklagten mit der Schilderung, wie Spector sie 1993 mit einem Gewehr in der Hand aus dem Haus gejagt habe. Vor den Geschworenen wurde das Band des Anrufbeantworters abgespielt, auf dem sich Spector am nächsten Tag zerknirscht für den Vorfall entschuldigte. Als Melvin nicht zurückrief, wurde Spector wieder ausfallend: „Pass auf, was du sagst. Keines deiner Worte ist dein Leben wert.“

Auch Diane Ogden, eine Frau, die bis heute mit Spector befreundet sein will, beschrieb den verschrobenen Einzelgänger als unberechenbaren Kerl. 1989 habe er ihr nach einer durchzechten Nacht plötzlich die Pistole an die Schläfe gehalten und gedroht, ihr „das Hirn rauszublasen“. Ein andermal, als Ogden nach Hause fahren wollte, schrie er erbost: „Du gehst nirgendwohin. Ich habe eine Uzi und werde dich töten.“

Ob die Strategie aufgeht, aus dem Sonderling einen manischen Gewalttäter zu machen? Vom Wahnsinn hat Spector nie viel getrennt. Dem „Daily Telegraph“ sagte er 2004, dass er sich für „ziemlich verrückt“ halte. Und am meisten trifft das wohl auf seine Beziehung zu Frauen zu. Aus einigen hat er Stars gemacht, als er sie Anfang der Sechziger in Girl-Groups steckte und als sirenenhafte Diven „mit einem Keuschheitsgürtel aus Lärm umgab“, wie Willi Winkler in der „SZ“ schrieb. Seiner späteren Ehefrau Ronnie Bennett, Sängerin der von ihm geschaffenen Ronettes, gebot er, auf Reisen nachts den Telefonhörer aufs Kissen zu legen. Er war ein Kontrollfreak, besessen von Ängsten, die er als Soundmagier in das größte Versprechen verwandelte, das die Pop-Industrie bis dahin gesehen hatte.

Spector führte einen Krieg. Für ihn war Musik eine Materialschlacht, und er warf immer neue Musikerarmeen in seine Produktionen, ließ ein halbes Dutzend Gitarristen gleichzeitig spielen, bestellte Orchester und Chöre ins Studio und stieg als Meister der Echokammer zur ebenso verehrten wie angefeindeten Zentralgestalt auf. Legendär: seine Bearbeitung der „Let it be“-Sessions von den Beatles, deren Songs er auf Wunsch John Lennons mit zuckrigen Streicher-Arrangements versah. Paul McCartney machte diese Bearbeitung vor zwei Jahren wieder rückgängig.

Als Tom Wolfe das Genie 1963 traf, war dieser erst 23 Jahre alt und hatte bereits sein eigenes millionenschweres Königreich erschaffen. Sieben Alben hatte er produziert, sieben Hits. Seine opulente Überwältigungstechnik, mit der die Popkultur den Kitsch als hohe Kunst entdeckte, erlaubte ihm alles. Wolfe schilderte in seiner „Esquire“-Reportage, wie der kleine Mann von Flugangst gepackt („This plane is not gonna make it“) auf der Startbahn für einen Eklat sorgt, um aus der voll besetzten Maschine gelassen zu werden. Wie er in einer Disko jemanden, der sich über seine langen Haare mokiert, mit der Drohung abserviert, das nächste Mal werde er ihn kaltmachen, das sei ein Leichtes für ihn, den Karatekämpfer. Spector lebe, schrieb Wolfe hellsichtig, in einer Art „doldrum fury“, in stiller Wut.

Das ist vierzig Jahre her. Es folgten ein Rosenkrieg und immer wieder Szenen, in denen Revolver eine große Rolle spielten. Er sei so oft als Genie bezeichnet worden, sagt seine Ex-Frau und -Partnerin Ronnie einmal, „dass er irgendwann anfing, sich wie ein verfluchtes Genie zu benehmen“.

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