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Panorama: „Ich hatte öfter Gänsehaut“

„Die sind echt“, sagt Sönke Wortmann über die Fußballer in seinem WM-Film

Herr Wortmann, Heinrich Heine schrieb einst in seinem Wintermärchen von einem hölzernen, pedantischen Volk im traurigen Monat November, das noch immer den eingefrorenen Dünkel im Gesicht trage. Hätte Heine im Sommer 2006 mehr Spaß in Deutschland gehabt?

Keine Ahnung, ob er Fußball gemocht hätte. Aber Deutschland war 2006 ein Sommermärchen. Das war in erster Linie ein Verdienst der Mannschaft. Und die Deutschen als Gastgeber haben das auch sehr gut gemacht.

Ist der Film eine Jubelarie?

Es ist ein Jubelfilm, aber nicht, weil ich es zu dem gemacht habe, sondern, weil das, was passiert ist, zum Jubeln war. Das ganze Land hat ja gejubelt. Das war ja so.

Ist der Film das letzte Kapitel des Sommermärchens?

Ich habe das Gefühl, dass die Deutschen ein normaleres Verhältnis zu sich selbst gefunden haben. Das ist mir besonders bei den Nationalhymnen im Stadion aufgefallen. Wir mussten die andere Hymne gar nicht mehr niederbrüllen, weil wir mit der eigenen Frieden geschlossen haben.

Kriegen wir Deutschen es hin, dass das so bleibt?

Ich glaube, da bleibt eine Menge. Die Menschen haben sich ja mit sich selbst sehr wohl gefühlt.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen solchen Film zu machen?

Ich hätte nie gedacht, dass es möglich ist, so nah an die Mannschaft ranzukommen. Aber es gibt ein Vorbild aus Frankreich, den Dokumentarfilm Lex Yeux dans les Bleus. Da hat ein Kollege ein ähnliches Projekt mit den Franzosen 1998 gemacht. Als ich das gesehen habe, wollte ich auch so was machen.

Und wie haben Sie den DFB überzeugt?

Es gab dort zunächst Stimmen, dass man so etwas vielleicht in Frankreich machen könne, aber doch nicht in Deutschland. Mein Glück war dann der Trainerwechsel. Oliver Bierhoff und Jürgen Klinsmann waren sehr offen. Und dann muss ich mal die Fifa loben, das macht ja sonst keiner. Die waren extrem kooperativ und hilfsbereit.

Haben Sie von Ihrer Arbeit am „Wunder von Bern“ profitiert?

„Das Wunder von Bern“ war sicher die Voraussetzung dafür, diesen Film machen zu dürfen.

Beim Freundschaftsspiel in Nordirland waren Sie dann dabei ...

... ja, dort und beim Confed-Cup haben wir das ausprobiert. Das hat gut funktioniert. Nach der 1:4-Niederlage im März gegen Italien haben wir beschlossen, das Projekt zu machen. Es war der Wunsch der Spieler, dass die Erlöse an die SOS-Kinderdörfer gehen.

Sie haben früher selbst in der Regionalliga gespielt. Wie war es, plötzlich bei der Nationalmannschaft zu sein?

Na ja, dass ich es im hohen Alter doch noch auf die Bank der Nationalmannschaft schaffe, macht mich sehr zufrieden. Bei der WM habe ich dann genauso viel gespielt wie Timo Hildebrand, und Thomas Hitzelsperger stand nur zehn Minuten länger auf dem Platz als ich. Das ist keine schlechte Bilanz.

Gab es für Sie Tabuzonen?

Ich durfte überall hin. Wir hatten allerdings die Verabredung, dass ich ein Zeichen bekäme, wenn irgendeiner meinte, ich würde stören. Das ist aber nicht vorgekommen. Selbst nach dem Spiel gegen Italien, als viele Spieler weinten, hat keiner gesagt, ich solle die Kamera ausmachen.

Welche Szene hat Sie selbst am meisten bewegt?

Ich hatte öfter Gänsehaut, jedes Mal, wenn ich ins Stadion kam, wenn Jürgen Klinsmann vor der Mannschaft gesprochen hat oder bei Joachim Löws Taktikbesprechungen.

Hat sich Klinsmann selbst schon so sehen können?

Ich bin für den Film zu ihm nach Kalifornien geflogen, um noch ein Interview mit ihm zu machen. Da habe ich ihm die Rohfassung gezeigt. Ich hatte schon die Befürchtung, dass er nicht alles durchgehen lassen würde, aber er war begeistert.

Ist Klinsmanns Pathos in seinen Ansprachen auch ein Grund, dass er aufgehört hat?

Bei der WM war die Rollenverteilung klar. Urs Siegenthaler hat die Mannschaft auf den Gegner eingestimmt, Löw hat hernach facettenreich erklärt, wie er gedenkt zu gewinnen. Und dann kam Klinsmann. Es war eine große Motivation, ihm zuzuhören. Aber selbst bei der WM hat er sich einiges für die entscheidenden Spiele aufgehoben. Irgendwann verbraucht sich das natürlich.

Wie haben Sie es trotz der Emotionen geschafft, Ihr Handwerk nicht zu vergessen?

Das war nicht einfach, und ich hab es auch nicht immer geschafft. Beim Tor gegen Polen jubelte ich natürlich erst mal mit. Hinterher hab ich mich geärgert, dass ich die anderen nicht gefilmt habe. Das habe ich mit der Zeit in den Griff bekommen. Beim Spiel gegen Argentinien war es mir dann aber auch egal. Beim Elfmeterschießen gibt es ja dieses Ritual, wo sich Spieler und Betreuer am Mittelkreis in den Arm nehmen. Da wollte ich nicht filmen, sondern die Daumen drücken, dass es gut ausgeht. Einmal hab ich auch die Kamera auf der Bank vergessen, zum Glück hat sie keiner geklaut. Also was das angeht, war ich ziemlich unprofessionell.

Wie echt sind Spieler und Trainer wirklich?

Die sind echt. Dafür war ich lange genug dabei. Irgendwann fiel ich gar nicht mehr auf. Ich hab das versucht wie ein Tierfilmer. Die assimilieren sich auch, pirschen sich erst mal langsam an, so wie ich beim Confed Cup. Da hatte ich die Kamera erst gar nicht mit, dann hatte ich sie dabei, habe aber nicht gedreht. Ich habe mich also langsam herangeschlichen an diese Spezies Fußballprofi. Da hat sich keiner verstellt. Vor einem WM-Halbfinale denkt auch keiner mehr darüber nach, ob die Fönwelle richtig sitzt.

Böse Zungen haben behauptet, Oliver Kahn habe die Szene vor dem Elfmeterschießen gegen Argentinien bewusst inszeniert, als er Lehmann Glück wünscht …

… man kann davon ausgehen, dass Kahn weiß, dass bemerkt wird, wenn er zu Lehmann geht. Ob er dabei Hintergedanken hatte, weiß ich nicht. Es ist aber schön, dass er das gemacht hat, ob mit oder ohne Hintergedanken. Das war ein großer Fernsehmoment. Die Geste passt aber auch zu seinem Verhalten während der WM. Der war wirklich loyal.

Die Spieler wirken im Film ruhig und abgeklärt. Hätten Sie lieber einen Stefan Effenberg oder einen Mario Basler dabei gehabt?

Dafür war Robert Huth da, und Schweini und Poldi, das sind schon auch echte Typen. Und wenn man nur Spieler wie Basler in der Mannschaft hätte, gewinnt man keinen Blumentopf. Die Mischung muss stimmen.

Wann war Ihnen klar, dass Sie den Stoff ins Kino bringen?

Vor dem Spiel um Platz drei in Stuttgart. Als das Land die Mannschaft weiter feierte und damit ein guter Verlierer war. Als klar war, dass wir trotz der Niederlage gegen Italien viel erreicht hatten, da wollte ich den Film auch im Kino sehen.

Was hätten Sie gemacht, wenn Deutschland früh ausgeschieden wäre?

Es hätte auf jeden Fall einen Film gegeben, auch einen langen, schließlich hat uns der WDR bezahlt, also kriegen die auch was dafür. Der Titel wäre wahrscheinlich ein anderer gewesen, Scheitern als Chance oder so. HB

Aufgezeichnet von Marcus Pfeil.

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