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Panorama: "Il cielo cade": Wenn der Himmel einstürzt

Etwas Zerbrechliches, Kindliches geht von ihr aus. Und doch ist die über 60-Jährige Lorenza Mazzetti auch von einer entschlossenen Resolutheit.

Etwas Zerbrechliches, Kindliches geht von ihr aus. Und doch ist die über 60-Jährige Lorenza Mazzetti auch von einer entschlossenen Resolutheit. Schon früh mit ihrer Zwillingsschwester zu Waisen geworden, wuchs sie in der Toskana bei ihrem Onkel Robert Einstein auf, einem Cousin von Albert, dem berühmten Physiker. Eine behütete, eine schöne Kindheit. Die abrupt mit zehn Jahren endete, als ein Trupp deutscher Soldaten auf dem Rückzug in San Donato in Collina, vor den Toren von Florenz, ein Massaker anrichtete: Onkel Robert und Tante Nina sowie die Cousinen Annamaria und Luce wurden umgebracht. "Wir haben all die Freuden des Lebens mit ihnen geteilt", sagt Lorenza heute, "nur im Tode hat man uns getrennt, weil wir Katholiken waren und sie Juden." Das klingt fast ungläubig. Als wenn sie den geliebten Verwandten, die ihr zu Eltern und Geschwistern geworden waren, gerne jenen Liebesbeweis erbracht hätte: mit ihnen in den Tod zu gehen.

Anfang der 60er Jahre, nach einem Filmstudium in London, wo sie mit anderen die "Free Cinema"-Gruppe gründete, kam Mazzetti zurück in die Toskana. Eine Landschaft, die sie bis heute schwer ertragen kann. Weil vor den sanften Hügeln voller Weinreben und Zypressen all die Erinnerungen an jenen Abend wieder aufsteigen, an dem die deutschen Soldaten beschlossen, jene Verwandten auszurotten, die den Namen Einsteins trugen. Um sich von den Albträumen zu befreien, die ihr den Schlaf raubten, setzte sie sich hin und schrieb. Und erzählte die Geschichte ihrer Kindheit unter dem blauen toskanischen Himmel, der ihr an jenem Abend im Jahr 1944 auf den Kopf fiel. "Il cielo cade", der Himmel fällt, erhält nach dem Erscheinen 1961 den "Premio Viareggio". Auch Fellini ist begeistert: "Ich glaube es würde sich wirklich lohnen, daraus einen Film zu machen." 40 Jahre später ist es soweit: Gestern hatte "Il cielo cade", mit Isabella Rossellini als Tante Nina auf der Berlinale Premiere. Heute stellt Mazzetti ihr nun im Goldmann Verlag erscheinendes Buch in Berlin vor.

Wer "Der Himmel fällt" liest, ist überrascht. Keine Anklage, nicht einmal Wut. Stattdessen: Das Italien Mussolinis, gesehen mit den Augen eines Kindes. Das sich fragt, ob es nun den Duce mehr liebt als Jesus und wie der Onkel vom Fegefeuer erettet werden kann. Schließlich ist der laut Aussage des Pfarrers ein Ungläubiger und deswegen zur Hölle verdammt. Zusammen mit ihrer Zwillingsschwester, die später auch überlebt, denkt sie sich Selbstkasteiungen aus, die die Seele des geliebten Onkel retten sollen. "Ich musste den Nebel erst einmal durchschneiden, der sich vor meine Erinnerung gelegt hatte", sagt Mazzetti. "Es war dann einfacher, alles mit den Augen des Kindes zu schreiben." Es ist eine magische Welt, die Mazzetti da schildert. Die nichts weiß von den Bedrohungen des Krieges, die zuletzt über die toskanische Idylle hereinbrechen. Mazzetti wollte sich die schönen, unbeschwerten Jahre nicht nehmen lassen. Hat sie eingesponnen in einen Kokon von kindlicher Unschuld, der erst zum Schluss des Buches zerreißt. So hat sie ihre Kindheit verteidigt gegen die, die sie zerstörten. Und: Die Albträume verschwanden.

Als Mazzetti ihr Buch schrieb, war sie schon eine bekannte Regisseurin. "Together" war als britischer Beitrag in Cannes gestartet und gewann 1956 den "Prix de Recherche". Preisgekrönte Dokumentarfilme folgten. Doch dann hängt sie die Filmerei an den Nagel. Tourt jahrzehntelang mit einer Theatertruppe durch Italiens Schulen. Später hilft sie Unterschichtkindern mit der Drama-Therapie Erlebnisse mitzuteilen und zu verarbeiten. Denn sie weiß aus eigener Anschauung: Traumatische Erlebnisse können künstlerisch verarbeitet werden.

Heute begeistert sie die Kinder in Rom mit ihrem "Puppet Theatre". Ein "Eine-Frau-Unternehmen", denn Mazzetti gibt alle Rollen selbst. Stülpt sich bei Rotkäppchen die Maske des Wolfes oder der Großmutter über den Kopf und spielt die anderen Puppen mit den Händen. Dabei blinzelt sie immer zu den kleinen Zuschauern: "Man kann sie immer noch in den Bann ziehen, trotz Fernsehen", sagt sie mit jenem Schalk in den Augen, der sie so jugendlich erscheinen lässt.

Nach "Der Himmel fällt" schrieb Mazzetti noch zwei Romane. "Con rabbia" ("Wütend") beschreibt jene Zeit unmittelbar nach dem Krieg, "als die Welt vergessen zu haben schien, was passiert war". Damit die Welt nicht vergisst, ist Mazzetti mit dem Film der Gebrüder Frazzi jetzt wieder auf Tour durch Italiens Schulen. Auch um zu erklären, wie der Judenhass der katholischen Kirche den Boden bereitete für die Rassengesetze Mussolinis. Und um zu beweisen, dass beides geht: Sich an eine wunderschöne Kindheit zu erinnern ohne den Moment zu verdrängen, an dem diese brutal zu Ende ging.

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