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Panorama: Illegale Schule – ein Bremer Experiment

14 Jahre lang haben es Eltern geschafft, eine nicht genehmigte Grundschule zu betreiben. Jetzt kam es heraus

14 Jahre lang haben Eltern in Bremen mit Tricks eine illegale Grundschule betrieben. Unter den Eltern sollen auch Lehrer staatlicher Schulen gewesen sein, die ihre Kinder lieber in die eigene illegale Schule schickten. Die Schulverwaltung merkte lange nichts. Jetzt flog alles auf. Wie war es möglich, dass das System 14 Jahre lang funktionierte?

Die Grundschule war in einer Villa im linksalternativen Ostertor-Viertel untergebracht. Die Eltern, die meisten von ihnen Akademiker, hatten sich zusammengetan und insgesamt über 250 Kinder selbst unterrichtet oder unterrichten lassen. In der vergangenen Woche berichtete die Bremer Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) von der illegalen Grundschule. „Wir sind 14 Jahre lang betrogen worden“, klagte sie.

Die selbst gemachte Grundschule konnte vor allem deshalb so lange unauffällig existieren, weil sie im selben Gebäude wie ein – genehmigter – freier Kindergarten untergebracht war. Viele Kinder, die diesen besuchten, wechselten später einfach in die Grundschule im oberen Stockwerk.

Als dies nun öffentlich bekannt wurde, witterte die oppositionelle CDU eine Verschwörung zwischen Alt-68ern in der Schulbehörde und den eigensinnigen Eltern. „Es ist unfassbar, dass die Bildungsbehörde das nicht schon früher gemerkt haben will. Die Kinder sind schließlich alle irgendwann in die fünfte Klasse gekommen“, sagt der bildungspolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion Claas Rohmeyer.

Der Bremer Rechtsanwalt Matthias Westerholt vertritt eine Gruppe der Grundschul-Eltern. „Ich verstehe überhaupt nicht, warum die Senatorin die Sache plötzlich als großen Skandal der Öffentlichkeit auftischt. Die Behörde wusste schon seit Anfang des Jahres von der Sache.“ In der Tat gab es im Frühjahr ein Einigungsverfahren zur Auflösung der privaten Schule. Die illegale Schule war durch einen erst seit kurzem möglichen Abgleich der Melderegister- und Schulverwaltungsdaten aufgeflogen. Damals wurden dort noch acht Kinder unterrichtet. „Die Vorwürfe gegen meine Mandanten wurden einvernehmlich geklärt“, sagt Westerholt. Der damalige Bildungssenator Willi Lemke (SPD) wollte nach dem Auffliegen der illegalen Schule das Thema so kurz vor der Landtagswahl aus den Schlagzeilen heraushalten. Und so vereinbarte er mit den Eltern Stillschweigen. Die Kinder mussten nach der Vereinbarung auf reguläre Schulen wechseln, ihre Eltern ein Bußgeld von 200 Euro an gemeinnützige Einrichtungen zahlen. Und sie mussten verraten, wie die vielen Eltern vor ihnen es geschafft hatten, ihre Kinder ohne offizielle Zeugnisse nach der illegalen Grundschule auf weiterführende Schulen zu schicken. Dabei kam heraus, dass die Eltern bei der Anmeldung angaben, die Kinder seien in freien Schulen in Niedersachsen, die aus Prinzip keine Schülerakten führten und keine Zeugnisse ausstellten, zur Grundschule gegangen. Hakten die Schulen weiter nach, versuchten die Eltern es einfach an einer anderen Schule.

Das Ostertor-Viertel, in dem sich die Schule befand, gilt als alternativ, aber bürgerlich. Der Ausländeranteil ist gering, der Anteil an Akademikern und Grünen-Wählern hoch. Bei der Aktuellen Stunde im Parlament am Dienstag warf die Bildungssenatorin Jürgens-Pieper den Eltern daher vor, einem „elitären Anspruch der Entmischung“ anzuhängen. Der damit angedeutete Vorwurf, die Eltern hätten ihre Kinder nicht in schlechtere staatliche Schulen mit hohem Ausländeranteil schicken wollen, weisen die eher linksliberalen Eltern zurück. Matthias K. und seine Freundin haben die beiden Töchter insgesamt fünf Jahre auf die illegale Schule geschickt. „Wir selbst haben nicht so gute Erfahrungen mit staatlichen Schulen gemacht. Für unsere Kinder wollten wir etwas anderes.“ 180 Euro pro Kind sei ihnen das im Monat wert gewesen. Elitär, so sagen sie, sei ihr „kleines Experiment“ nicht gewesen. „Der Vorwurf ist zu schematisch. Man darf solche Inseln nicht gegen das schulpolitische Ganze stellen. Wir waren sehr wohl für soziale Durchmischung – und die haben wir auch praktiziert. Die Gebühren waren sozial gestaffelt, es gab Sozialplätze.“ Mit der Angst, eines Tages könne alles auffliegen, haben die Eltern sich arrangiert. „Es ist ja 14 Jahre alles gut gegangen. Wenn die Nachbarskinder mal gefragt haben, haben unsere Kinder geantwortet ,Kinderschule‘. Das reichte. Und die Erwachsenen im Stadtteil wussten eigentlich ohnehin Bescheid“, sagt Matthias K.

Auch der ehemalige Staatsrat Christoph Hoppensack, der das Moderationsverfahren zwischen Eltern und Behörde leitete, sieht die Sache eher positiv. „Materiell“, sagt er, „kann man die Sache eher nicht als Schulverweigerung bezeichnen.“ Er habe „an keiner Stelle den Eindruck gewonnen, dass die Kinder nicht gekriegt haben, was sie brauchen.“

Christian Jakob[Bremen]

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