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Panorama: Immer im Rampenlicht bleiben

Silvio Berlusconi ist bei einer Rede zusammengebrochen – Italien entdeckt, wie sehr es auf ihn fixiert ist

„Technisch ist er beinahe unsterblich.“ Das pflegte sein Leibarzt über ihn zu sagen – nun aber hat Silvio Berlusconi einen Schwächeanfall erlitten, und in den „zehn Minuten ohne Berlusconi“ – so ein Zeitungstitel – hat ein aufgeschrecktes Italien entdeckt, wie sehr es auf „Ihn“ fixiert ist. Berlusconi war am Sonntag in der Stadt Montecatini Terme während einer Rede vor Anhängern seines Mitte-rechtsBündnisses ohnmächtig geworden. Daraufhin wurde der 70-Jährige in eine Klinik eingeliefert. „Die Ärzte haben im Elektrokardiogramm (EKG) so etwas wie einen ungleichmäßigen Herzschlag gefunden“, erklärte Berlusconi am Sonntagabend. „Deshalb wollen sie mich für 24 Stunden unter Beobachtung haben.“ Am Montag war er noch im Krankenhaus.

Berlusconi hat sich immer schon als Gesamtkunstwerk inszeniert. Die Kosmetik, das doppelte Lifting, die Haartransplantation, die sportliche Sonnenbräune, das galante Balzen gehörten dazu. „Falls Sie einen Schönheitschirurgen brauchen“, sagte er einer Journalistin, die ihn etwas ganz anderes gefragt hatte: „Ich hätte da eine exzellente Adresse …“

Von Spezial-Joghurt-Diäten à la Tibet, Seidenstraße oder Vietnam ließ er raunen; sein Leibarzt will eigens am Toten Meer – erfolgreich – nach dem Jugendlichkeits- und Schönheitsöl der Königin Kleopatra geforscht haben.

Von allfälligen Krankheiten erfährt die Öffentlichkeit üblicherweise nichts, aber wenn Berlusconi einmal einem unbequemen Auftritt wegen „Hexenschuss“ ausweicht oder ein riskantes politisches Streitgespräch wegen „bronchitisch bedingter Stimmlosigkeit“ schwänzt, dann sind die Zeitungen voll mit medizinischen Facherklärungen und anatomischen Schaubildern zu Ischias und Aphasie. Alle wissen zwar, dass Berlusconi dann nur kokettiert – aber er hat die Aufmerksamkeit wieder einmal auf seiner Seite. Seine Gegner, die ihn in der politischen Konfrontation stellen wollten, gehen regelmäßig leer aus.

Noch im September prahlte Berlusconi, im Kurzstreckenlauf habe er einen Leibwächter abgehängt, und nachdem sie ihn Anfang November am Meniskus operiert hatten, sagte er: „Meine Fußballer-Champions beim AC Milan brauchen in solchen Fällen vier Tage, bis sie wieder einen Fuß auf den Boden setzen; ich habe die Krücken schon nach 24 Stunden weggeworfen.“

Aber Silvio Berlusconi, auch wenn er davon nichts hören will, ist am 29. September siebzig Jahre alt geworden; nach der Wahlniederlage vom April hat sich weder seine Partei noch sein Oppositionsbündnis berappelt, und Berlusconi spürt nun offenbar doch, dass in Politik und Biologie die Zeit gegen ihn arbeitet. Bei einer Privatparty vor einer Woche ließ er sich gehen: Allein gelassen hätten ihn Koalitionspartner und Abgeordnete; so werde man die Regierung Prodi „weder heute noch morgen“ zu Fall bringen: „Mir fehlt ein Killer.“ Die Politik habe er satt, sagte Berlusconi: „Mir reicht’s.“ Das Dementi, das er auf jenen Zeitungsbericht folgen ließ, klang mehr als künstlich.

„Lieber Silvio, ich bin beunruhigt und voller Sorge …“ Die erste Beileidsbekundung nach dem Schwächeanfall erhielt Berlusconi von seinem größten Gegner, von Regierungschef Romano Prodi. Und es spricht viel dafür, dass sie ernst gemeint war. Prodi weiß, dass sein Neunparteienbündnis praktisch nur durch die Angst vor einem Comeback Berlusconis zusammengehalten wird.

Angst vor einem vorzeitigen Ausfall Berlusconis erfüllt – spiegelbildlich – auch die rechten Parteien. Noch haben sie keinen Nachfolger, unter dem sie zu einer schlagkräftigen Einheit zurückfinden könnten. Gerade auch Berlusconis eigene Partei, die Forza Italia, deren Identitätskrise der Chef bei seinem Auftritt am Sonntag zu beheben gedachte – mit einem Sammelappell an die Jugend – stünde gänzlich vaterlos da.

Stünde. Berlusconi lag zwar am Montag noch in einem Mailänder Krankenhaus – zur medizinisch begründeten Beobachtung ebenso wie zu dem Zweck, seinen Lieblingsfeinden, den Mailänder Richtern, wieder mal eins auszuwischen: Heute, Dienstag, sollte ein Prozess wegen Bestechung und Steuerdelikten im Zusammenhang mit Fernsehrechten gegen Berlusconi beginnen. Die Verhandlung ist bereits verschoben. Aber eines will Berlusconi nicht ausfallen lassen: die große Protestdemo gegen die Regierung am kommenden Samstag. Ein Fehlen dort kann er sich nicht leisten. Damit würde er ja zugeben, dass er alt geworden ist …

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