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Panorama: In der Seele getroffen

Sieben Schüler sterben auf dem Weg zu den Paralympics – ein neuer Schlag für die Griechen im Jahr der Spiele

Die Paralympics 2004, sie waren ein Fest der Integration, der menschlichen Größe, der Jugend. Doch die Weltspiele der Behinderten in Athen mit 3800 Athleten aus 136 Ländern endeten nach einer guten Woche mit einer Tragödie: Am letzten Wettkampftag verunglückte an der Ostküste Griechenlands ein Reisebus mit Schülern auf dem Weg zum Stadion. Ersten Berichten zufolge gab es mindestens sieben Tote und zwölf Schwerverletzte. „Das ist eine nationale Tragödie", sagte eine Pressesprecherin des Organisationskommittes Athoc in Athen. Wegen des Unglücks wurde das Unterhaltungsprogramm der Abschlussfeier am heutigen Dienstag abgesagt. Nun werden nur Reden gehalten, die Fahne an Peking übergeben, das Feuer gelöscht.

Bereits gestern hingen die Fahnen an den Wettkampfstätten auf Halbmast, die Musik aus den Lautsprechern wurde leiser gedreht. Alle Sportler legten eine Schweigeminute ein. In ganz Griechenland wurde die Nachricht vom folgenschweren Unfall entsetzt aufgenommen, Fernsehsender unterbrachen ihr Programm für Sondersendungen.

Es ist die Tragik der Griechen, dass sich dieses Unglück in eine längere Kette einreiht: Die Olympischen Spiele standen von Anfang an im Schatten spektakulärer Doping-Fälle vor allem griechischer Sportler, die das Land und den Sport in Misskredit brachten. Vergangene Woche wurde schließlich bekannt, dass das Mitglied der Europäischen Union falsche Angaben über die Staatsverschuldung gemacht und damit den wirtschaftlichen Stabilitätspakt unterlaufen hatte. Und jetzt enden die Paralympics – ein Fest, das vor allem junge Griechen besuchten– mit dem Tod von sieben Schülern, die auf dem Weg nach Athen waren.

Griechenland trauert. Die Regierung gab am Abend bekannt, dass alle Schulen zwei Tage lang geschlossen bleiben sollen.

Am Mittag hatte die „Athens News Agency“ mitgeteilt, dass es einen Unfall mit einem Reisebus gab, der Schüler aus Kleinstädten im Norden und Westen des Landes ins Stadion bringen sollte. In dem Bus, der sich nach der Kollision überschlug, saßen neben dem Fahrer 37 Schüler und vier Lehrer. Es war einer von drei Bussen, die Schüler aus der Ortschaft Farkadona nach Athen bringen sollten. Schuld an dem Unfall war nach ersten Ermittlungen ein Lastwagenfahrer, der plötzlich ausscherte und auf die Gegenfahrbahn geriet, wie ein Polizeisprecher im staatlichen Fernsehen sagte. Vermutlich sei der Lkw zu schnell gefahren. Der Fahrer des Glaserei-Lastwagens war beinahe frontal in den Schulbus gerast. „Ich habe das aus dem Fernsehen erfahren, eine Seifenoper wurde für Liveberichte von der Unfallstelle unterbrochen“, sagt der 17-jährige Konstantinos Sergiou. Der Jugendliche der Deutschen Schule Athen hat die Paralympics selbst intensiv verfolgt, er ist einer der Chefredakteure der „Paralympics Zeitung“, die in Kooperation mit dem Tagesspiegel entstand.

Es war nicht der erste tragische Unfall mit einem Schulbus. In Griechenland ist die Sicherheit von Schulbussen ein großes Thema, seit es vergangenes Jahr ein Unglück mit über 30 jungen Todesopfern gegeben hatte. Sicherheitsmängel wie defekte Bremsen und lose Sitze hatten nach öffentlichen Diskussionen sogar zu Rücktritten von Politikern geführt.

Um Schülern die Weltspiele der Behinderten näher zu bringen, hatte das Bildungsministerium Karten für die Paralympics vom Organisationskomittee „Athoc“ gekauft und sie gratis an Schulen im ganzen Land verteilt. Seit dem 17. September hatten rund 70000 Schüler die Spiele gesehen – und teils schwerbehinderte Menschen mit „Hellas, Hellas“-Rufen angefeuert, die wegen ihrer Handicaps in Griechenland sonst eher Außenseiter sind als Idole. Viele Schüler hatten erstmals Prothesen gesehen, sich selbst in einen Rollstuhl gesetzt, stolz bunte Pin-Anstecker für ihre Akkreditierungsbänder getauscht.

Der letzte Wettkampftag sollte ein Finale der Freude werden. Für unzählige Familien, für das ganze Land, für Athleten und Zuschauer wurde es ein Tag der Tragik.

Annette Kögel[Athen]

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