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Der Tsunami ließ auch eine Moschee in Palu zusammenbrechen.

© AFP/Jewel Samad

Indonesien nach dem Tsunami: „Eine Frage von Leben und Tod“

In Indonesien benötigen nach dem Tsunami 191 000 Menschen Hilfe. Die Behörden rechnen mit mehr als tausend Toten.

Angesichts der aktuellen Notlage in seinem Land bittet Indonesiens Präsident Joko Widodo um internationale Hilfe. Es ist keine einfache Entscheidung für den Staatschef eines 260-Millionen-Einwohner-Landes, der nächstes Jahr wiedergewählt werden will. Doch das Ausmaß der Schäden nach der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe vom Freitag lässt ihm offenbar keine andere Wahl. Indonesien hat mit Naturkatastrophen zwar Erfahrungen, doch wäre allein wohl überfordert. Deutschland stellte in einem ersten Schritt 1,5 Millionen Euro zur Verfügung. Das Geld wird dringend benötigt.

Die Opfer

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen brauchen insgesamt 191 000 Menschen Nothilfe. Unter den Betroffenen seien 46 000 Kinder und 14 000 ältere Menschen, wie das UN-Büro für die Koordinierung der Nothilfe (Ocha) am Montag mitteilte. Viele der Betroffenen lebten weit entfernt von den Zentren, auf die sich die Hilfe der Regierung meist konzentriere. Bei der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe auf Sulawesi am Freitag waren amtlichen Angaben zufolge mehr als 840 Menschen ums Leben gekommen. Die Behörden fürchten, dass die Zahl der Toten weiter massiv steigen könnten, da einige Gebiete mit tausenden Bewohnern nach wie vor von der Außenwelt abgeschnitten sind.

Am Montag wurden auch erste Massengräber für die Toten ausgehoben. In den Hügeln von Palu wurden die ersten Opfer bestattet – ein AFP-Reporter sah, wie von drei Lastwagen Leichensäcke geladen wurden. Die Behörden gaben Anweisung, genügend Platz für 1300 Opfer zu schaffen. Mit den Massenbeisetzungen wollen die Behörden die Ausbreitung von Krankheiten verhindern.

Die Hilfe

Auch am Montag hatten die Helfer Probleme, über zerstörte Straßen, Brücken und Häfen zu den Hilfsbedürftigen vorzudringen. In den meisten Gebieten gab es nach wie vor keinen Strom, lebenswichtige Medikamente wurden knapp. Oftmals fehlte schweres Räumgerät, um Überlebende aus eingestürzten Gebäuden zu bergen. Allein in den Trümmern eines Hotels der verwüsteten Küstenstadt Palu wurden bis zu 60 Verschüttete vermutet. Bisher konnten zwei von ihnen lebend geborgen werden.

Auch Lebensmittel, Wasser und Treibstoff gingen zur Neige. In ihrer Not plünderten Einwohner die Geschäfte, während die Polizei tatenlos zuschaute. „Es gibt keine Hilfe. Wir brauchen Lebensmittel, uns bleibt keine andere Wahl“, sagte ein Einwohner von Palu, während er seinen Korb mit Waren aus einem leerstehenden Laden füllte. Andere schwer traumatisierte Überlebende suchten unterdessen verzweifelt nach vermissten Angehörigen. Zu ihnen gehört Adi, dessen Frau von einer Welle fortgerissen wurde. Sie wurden am Strand von Palu vom Tsunami überrascht. Sie hätten sich umarmt, doch „als die Welle kam, verlor ich sie“, berichtete Adi. „Sie trug mich 50 Meter fort, ich konnte nichts mehr halten.“

Die Häftlinge

Eine Vertreterin des indonesischen Justizministeriums sagte, insgesamt seien aus drei Haftanstalten der betroffenen Insel Sulawesi rund 1200 Insassen geflohen. Zwei der Gefängnisse befinden sich in der verwüsteten Stadt Palu. „Ich bin sicher, sie sind geflüchtet, weil sie Angst hatten, vom Erdbeben betroffen zu sein“, sagte Ministeriumsvertreterin Sri Puguh Utami. „Für die Häftlinge ist das sicherlich eine Frage von Leben und Tod.“ Die meisten Häftlinge waren wegen Korruption und Drogendelikten verurteilt worden.

Das Warnsystem

Beim Tsunami am Freitag in der Provinz Zentralsulawesi hat das Warnsystem offenbar versagt, das nach dem tödlichen Tsunami von 2004 in Südasien installiert worden ist. Die indonesischen Behörden hatten nach dem Beben der Stärke 7.4 wohl eine Warnung herausgegeben, diese aber wieder aufgehoben. Mangels ausreichender Daten sei eine anfängliche Warnung aufgehoben und kein umfassender Alarm ausgegeben worden gab die zuständige Behörde für Meteorologie, Klimatologie und Geophysik (BMKG) zu.

BMKG gab an, sich an das Standardverfahren gehalten zu haben. Demnach befand sich die am nächsten gelegene Messstation rund 200 Kilometer von Palu entfernt, der Hauptstadt der Provinz Zentralsulawesi. „Wir haben keine Messdaten in Palu“, sagte Rahmat Triyono, Leiter des Erdbeben- und Tsunami-Zentrums im BMKG. „Also mussten wir die vorhandenen Daten nutzen und aufgrund von diesen die Lage einschätzen.“

Die Messstation habe einzig einen Meeresanstieg erkannt, der auf eine „unbedeutende“ Sechs-Zentimeter Welle schließen ließ, die Palu treffe. „Wenn wir in Palu einen Gezeitenmesser oder korrekte Daten hätten, wäre es natürlich besser gewesen. Das ist etwas, das wir für die Zukunft bewerten müssen“, sagte Triyono. Er wusste allerdings nicht, ob seine Behörde die Warnung aufgehoben hatte, bevor oder nachdem die Flutwellen die Küsten erreicht hatten. Triyono sagte: „Basierend auf den Videos, die in sozialen Medien zirkulieren, denken wir, dass der Tsunami passierte, bevor die Warnung offiziell beendet wurde.“ Triyono äußerte zudem die Vermutung, dass das Erdbeben Strom- und Telefonleitungen zerstört habe und betroffene Gebiete gar keine Warnungen per SMS hätten erhalten können.

Indonesiens Tsunami-Warnsystem befindet sich seit Jahren in einer „Testphase“. Berichten zufolge blockiert Jakarta zudem die Installation eines neuen Hightech-Systems aus Meeresbodensensoren, Glasfaserkabeln und datenbeladenen Schallwellen, das das System ersetzen sollte, das 2004 installiert worden war. Ein US-Team wollte seit geraumer Zeit ein neues System installieren, das 2016 erfolgreich getestet worden war. Die Nationale Wissenschaftsstiftung der USA hatte den Prototyp mit einem Fonds von 4,1 Millionen Dollar entwickelt. Die Installation des Systems, das voll betriebsfähig gewesen wäre, hätte nur 95 000 Dollar gekostet, kam aber aufgrund von behördenübergreifendem Gerangel und mangelnder Finanzierung nicht vom Fleck. Jakarta gab an, nicht genügend Geld zu haben – auch, weil die indonesische Rupie in letzter Zeit an Wert verloren hat. (mit AFP/dpa)

Daniel Kestenholz

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