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Inneneinrichtung: Wie wohnt Deutschland?

Offene Küche? Holz? Gardine und Teppich? Antworten über Stil und Vorlieben gibt die größte Studie seit 20 Jahren – die gerade präsentiert wurde.

Wie modern wohnen die Deutschen? Wenn es nach Einrichtungsmagazinen geht, lautet die Antwort: Familien in München, Berlin und Osnabrück leben offen, hell und weiträumig, in einem Mix von Designermöbeln und erlesenen Vintage-Stücken. Das Möbelunternehmen Interlübke wollte es genau wissen – und beauftragte das Bielefelder Forschungsinstitut Emnid mit einer umfassenden Studie. Der Kultursoziologe Alphons Silbermann hatte mit Emnid bereits 1961 und 1989 einen Blick in deutsche Wohnzimmer geworfen. In Weiterführung der Silbermann-Studie wurden nun erstmals auch Ostdeutsche darüber befragt, was ihnen daheim wichtig ist.

WAS FÜR UNS DEUTSCHE WIRKLICH ZÄHLT

Am Dienstag stellte Emnid-Geschäftsführer Klaus-Peter Schöppner die Ergebnisse von „Deutschland privat – So wohnen und leben die Deutschen 2012“ vor. Er hatte bereits Ende der 80er Jahre an der Silbermann-Studie mitgearbeitet. Das wichtigste Resümee: „Es gibt nichts, womit sich die Deutschen mehr befassen als mit ihrer Wohnung. In Zeiten der Verunsicherung durch unruhige Finanzmärkte, die Globalisierung und eine immer älter werdende Gesellschaft sind die eigenen vier Wände ein wichtiger Rückzugs- und Wohlfühlort.“ Nicht etwa das Auto ist den Deutschen hoch und heilig, sondern ihr Zuhause. Für 68 Prozent der Deutschen ist ihre Wohnung wichtiger als Freizeit, Auto, Urlaub, Internet und Kleidung. Kein Wunder, dass ein deutscher Werbespruch so geht: „Eigenheim, Glück allein.“

DER SCHÖNSTE ORT VON ALLEN: DAS ZENTRUM DES LEBENS

Der liebste, meist genutzte und wichtigste Raum der Wohnung ist nach wie vor das Wohnzimmer, und in seiner Popularität hat es seit 1989 sogar noch zugelegt. Liegt es daran, dass die Wohnräume immer größer und vielgestaltiger werden? So suggerieren es wenigstens Hochglanzmagazine. In ihnen wird zwischen Esstisch und Sitzgruppe, Küchentheke und Kochinsel mit Familie und Freunden geredet und gelacht, während das Vollinduktionskochfeld verhindert, dass das Pastawasser überkocht. Diese Verschmelzung von Wohnzimmer und Küche ist zwar in Zeitschriften und Prospekten von Immobilienentwicklern allgegenwärtig, in der Realität bleibt sie aber die Ausnahme. 51 Prozent der Wohnzimmer werden als reine Wohnräume genutzt: zum Entspannen oder Fernsehgucken. Nur sechs Prozent der Befragten nutzen einen offenen Raum zum Wohnen und Kochen. Weitaus mehr, nämlich 40 Prozent, essen mit Familie oder Freunden im Wohnzimmer, nur die multifunktionalen Räume, in denen das Wohnen mit der Arbeitsecke, dem Schlafraum oder der Küche konvergiert, sie bleiben im einstelligen Bereich. Das Trendthema „offenes Wohnen“ hat sich in bundesdeutschen Haushalten noch nicht durchgesetzt. „Das kann daran liegen, das die Architektur in vielen Fällen die Nutzung von Räumen vorgibt“, erklärt Klaus-Peter Schöppner. „Schließlich leben die meisten Deutschen in Altbauten, in denen sich offene Wohnküchen und auch Wellness-Badezimmer nur unter aufwendigen Baumaßnahmen realisieren lassen würden.“ Nur wer neu baut, scheint ein größeres Interesse für amerikanische Küchen und Kochinseln zu haben. Das könnte sich in der nächsten Studie als Trend herauskristallisieren.

GANZ NORMAL UND ALLES ALTBEWÄHRT

Die Möblierung des deutschen Wohnzimmers hat sich seit den 80er Jahren nur unwesentlich verändert. Hier steht die Sitzgarnitur (95%) unangefochten an erster Stelle der Einrichtung. Darauf folgen der Fernseher, Pflanzen und der niedrige Couchtisch. Eine große Überraschung: An hiesigen Fenstern hängen mehrheitlich weiterhin Gardinen (77%). Für mehr als die Hälfte aller Deutschen sind außerdem Tapeten, Teppich und eine Schrankwand essenziell im Wohnzimmer. Einzig der Computer konnte seine Präsenz im Wohnbereich seit 1989 von drei auf 22% versiebenfachen – eine nicht verwunderliche Zahl angesichts des Internetaufstiegs. Das durchschnittliche Wohnzimmer der Nation sieht gar nicht so anders aus, als es die Hamburger Werbeagentur Jung von Matt 2004 entworfen hat: fleckenunempfindlicher Veloursteppich, beige Sitzgruppe mit gläsernem Couchtisch, Raufasertapete und eine hellholzige Schrankwand, in deren Zentrum der Fernseher thront. Die Agentur richtete sich so einen Konferenzraum ein, um „auf Augenhöhe“ mit den Müllers von nebenan über Kampagnen für Fertiggerichte, Putzmittel und Versicherungen nachdenken zu können. Wenn es nach der Studie geht, kann Jung von Matt unbedenklich weiter in diesem Ambiente an Ideen basteln.

HOLZ IN DEN HÜTTEN, DAS WAR FRÜHER

Nur ein Aspekt ändert sich langsam, aber sicher in deutschen Haushalten: Während 1989 noch fast die Hälfte aller Befragten angab, sich am liebsten mit sanften Farben und Holztönen zu umgeben, sind es heute nur noch 38%. Im Gegenzug ist die Lust an der Helligkeit gestiegen. Der Anteil der Menschen, die in den eigenen vier Wänden die Farbe Weiß bevorzugen, ist um 17% gestiegen.

WO ICH MICH BETTE, DA RUHE ICH UND SONST NICHTS

Wo das Bett steht, da ist für viele der Lebensraum klar abgegrenzt. Die Mehrheit von 85% nutzt ihr Schlafzimmer genau dafür: zum Schlafen. Nur ein Zehntel holt sich die Arbeit in den Ruhebereich und kombiniert das Bett mit einer Arbeitsecke im selben Zimmer. Noch weniger trennen den Wohn- nicht vom Schlafbereich. Und ein verschwindend geringer Teil der Deutschen will sich neben Bett oder Matratze noch körperlich ertüchtigen – und hat sich das Schlafzimmer als Fitness- oder Wellnesszone mit Hanteln oder Heimtrainer auserkoren. Was sich geändert hat, das ist die Nutzung des Raums. Er ist nicht mehr nur der Ort für den Austausch von Intimität oder zum Lesen, sondern wird vielfach genutzt, um persönliche Gespräche zu führen oder tagsüber zu entspannen. Weniger als ein Drittel sieht im Schlafzimmer fern, noch weniger beschäftigen sich im Bett mit ihrem Computer.

MEIN FERNSEHER, MEINE HIGH-TECH-ANLAGE, MEIN STROMVERBRAUCH

Dank des Siegeszuges von Internet und Breitbandleitungen haben sich in den vergangenen 20 Jahren unsere Wohnzimmer rasant entwickelt: von „guten Stuben“ zu kleinen Heimkinos, die in einigen Fällen mit Dolby-Surround-Soundsystemen und hauchdünnen Flachbildschirmen aufgerüstet sind. Das Wohnen wird dank der Forschritte in der Unterhaltungsindustrie technologieorientierter. In neun von zehn Wohnzimmern steht inzwischen ein Fernseher. Computer finden sich in jedem fünften Wohnzimmer, jeder achte Schlafraum verfügt ebenfalls über so ein Gerät – und fast genauso viele Computer stehen mittlerweile in Kinderzimmern.

GESCHMACK IST, WAS MIR GEFÄLLT UND MEINER MUTTI

Die Magazine können sich noch so viel Mühe geben, zwischen Nordsee und Alpen regiert die Skepsis. Modetrends sind den Deutschen in ihren Wohnungen herzlich schnuppe – man könnte auch sagen: Sie sind beratungsresistent. Denn 95% der Befragten geben an, sich ganz nach ihrem persönlichen Geschmack einzurichten, was natürlich nichts über den vermeintlichen Stil aussagt. Nur der Rest orientiert sich an aktuellen Trends. Beim Kauf von Möbeln achten die Deutschen vor allem auf Dinge, die mit Gestaltung und Form wenig zu tun haben: Funktionalität steht bei so gut wie allen Käufern an erster Stelle, dicht gefolgt von Langlebigkeit. Der dritte Faktor, der den Kauf eines neuen Möbelstückes beeinflusst, ist der Preis. Erst danach kommen Umweltverträglichkeit des Produktes und ganz am Ende der Bekanntheitsgrad der Marke. Für den Auftraggeber der Studie, die Firma Interlübke, muss das ein kleiner Schock sein. Dementsprechend fällt die Reaktion im Hauptsitz in Rheda-Widenbrück aus. „Es war für uns überraschend zu erfahren, wie konservativ die Deutschen heute wohnen“, sagt Geschäftsführer Leo Lübke. Vielleicht sollte der Möbelhersteller einfach genauer darauf achten, wen die Deutschen zu Rate ziehen, wenn sie ein neues Bett oder Sofa kaufen möchten. Umfassend beraten lassen sich alle. Nur ihre Tipps holen sich 83% der Befragten aus der eigenen Familie oder vom Partner. In Katalogen recherchieren fast drei Viertel, die Hälfte schaut im Internet nach – und noch weniger lassen sich von Zeitschriften inspirieren.

Dorothea S, ergeld

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